Karl Jettmar
Megalithsystem und Jagdritual bei den Dardvölkern
Das Megalithsystem
Es ist allgemein üblich, die Kafiren im Hindukusch als Megalithvolk zu betrach
ten 1 ). Tatsächlich ist bei ihnen jene charakteristische Trias erkennbar, die aus Mal
setzung, Verdienstfest und Kopfjagd (bzw. Trophäenjagd) besteht. Von vornherein
war es unwahrscheinlich, daß es sich um ein isoliertes Auftreten dieses Komplexes
handelte. Wirklich sind im nordwestindischen Grenzraum mehrere aus vor- oder früh
geschichtlicher Zeit stammende Steinkreise bzw. Menhire bekannt * 2 ). Sie liegen in
einem Gebiet, das von Darden, den Nachbarn und engsten Verwandten der Kafiren,
bewohnt wird. Die gleichen Stämme hatten einst Verdienstfeste, wie man einer älteren,
bisher kaum beachteten Quelle entnehmen kann 3 ). Auch bei den östlich anschließenden
tibetischen Gruppen finden wir Malsetzungen belegt 4 ).
Adolf Friedrich sprach bereits vor seiner Expedition die Vermutung aus, daß all
diesen Erscheinungen eine ausgedehnte megalithische Schicht zugrunde liege. Sie reiche
so weit über den Hindukusch hinaus, daß eine Verbindung mit den entsprechenden
Zentren im Osthimalaya (Sherpa) und Assam (Naga) in Erwägung zu ziehen sei.
Die Untersuchungen, die von ihm und seinen Kameraden in den Jahren 1955 und
1956 im Karakorum bei dem östlichen Dardvolk der Shin (Gilgit Agency, Nordpaki
stan) durchgeführt wurden, bestätigen seine Annahme in einem wichtigen Punkt.
Konkretes Material brachte vor allem Peter Snoy aus dem Haramosh-Gebiet 5 ).
Meine Untersuchungen während des Jahres 1958 6 ), die ebenfalls im Haramoshtal
begannen und sich dann über den größten Teil des Gilgittales ausdehnten, bestätigten
4 ) Baumann 1955, S. 370. Jensen 1956, S. 178.
2 ) Z. B. de Terra 1942. Biddulph 1880, S. 57 f.
3 ) Ghulam Muhammad 1907, S. 102 f.
4 ) Hummel 1959. Vgl. auch Tucci 1956, Tafel 16, 19, 32, 34, 37.
5 ) Über das ethnologische Ergebnis der Deutschen Hindukusch-Expedition (Teilneh
mer: Prof. Dr. Adolf Friedrich, Dr. Georg Buddrus, Peter Snoy und der Ver
fasser) gibt es infolge des tragischen Todes von Prof. Friedrich am 25. April 1956
in Rawalpindi nur Vorberichte: Jettmar 1957 a und 1957 b. Größere Arbeiten
von Snoy und Jettmar sowie das wissenschaftliche Tagebuch Friedrichs sind noch
ungedruckt.
6 ) 1958 gehörte ich zusammen mit dem Geographen Prof. Konrad Wiche und dem
Zoologen Dr. Eduard Piffl zum wissenschaftlichen Team der österreichischen
Haramosh-Expedition 1958, die von der österreichischen Himalaya-Gesellschafc
ausgeschickt worden war. Die erfolgreiche Bergsteigermannschaft stand unter Lei
tung von Heinrich Roiss. Vgl. Wiche 1958, Jettmar 1958 a, 1958 b, 1959.