K. ]. Hye-Kerkdal
Tanz als Akkulturationsproblem (Polynesien)
Die Tanzfreudigkeit ist eines der wesentlichsten Merkmale der Kultur Polynesiens.
Keine Phase des privaten Lebens kann den Tanz entbehren. Dem Staat dient er in
Frieden und Krieg. Kein Vorgang von allgemeinem Interesse ist ohne ihn denkbar.
Natur und Mensch schenkt er Fruchtbarkeit.
Unerläßlich waren Tanzen und Singen bei den religiösen Zeremonien der Polyne
sier: Wie die dargebrachten Opfergaben sollten auch sie die Götter ehren und sie zu den
Orten herbeirufen, wo ihre Anwesenheit und ihr Mana gebraucht wurden (Handy
1927, 306). So war Tanz nicht nur eine beliebte Unterhaltung; seine soziale, religiöse
und ökonomische Funktion machte ihn vielmehr zur aufschlußreichen Kulturerschei
nung.
Als Kulturerscheinung ist der Tanz den Gesetzen des Kulturwandels unterworfen,
bei dem Neuerungen übernommen oder abgelehnt werden können. Wenn auch die
Regeln dieses Ausleseprozesses nicht vollkommen bekannt sind, kann doch gesagt
werden (Bascon 1958, 2, 6 f.), daß nur die Erfahrungen, die mit vorhergehendem
„Pattern“ vereinbar sind, angenommen werden. So verleiht der Ausleseprozeß einer
Kultur eine gewisse Kontinuität. Die oftmals beobachtete „Langlebigkeit“ mancher
Tanzformen kann von diesem Aspekt her in neuem Licht erscheinen.
Um die in der Struktur des Phänomens „Tanz“ sich abzeichnenden Akkulturations-
erscheinungen zu erkennen, heißt es den Zugang finden zur Qualität dieser lebendig
bewegten Ausdrucksformen naturvölkischer Geistigkeit, die immer wieder dargestellt
werden müssen, damit sie wirklich sind. Erst eine Tanzanalyse, die sowohl der moto
rischen wie der darstellenden Funktion gerecht wird, ermöglicht eine Qualitätsunter
suchung hinsichtlich der funktionellen Position des Tanzes (Hye-Kerkdal, 1958, 1956).
Tanz ist nicht nur Motorik, Rhythmus und Ekstase, sondern auch der sinnvolle
Versuch, mit körperlichen Ausdrucksmitteln Reales und Irreales darzustellen. Diesem
Versuch, der Choreographie naturvölkischen Tanzes, wurde im allgemeinen wenig
Beachtung geschenkt. Die äußeren Anlässe des Tanzes haben das Interesse der Forscher
viel häufiger erregt als das Tanzgeschehen selbst.
Sicher ist die Langlebigkeit bestimmter Tanzformen kultisch bedingt: Seine
rituelle Funktion läßt den Tanz zur Kunstform werden, schafft feste choreographische
Ordnungsprinzipien; Formbeherrschung, wohl ausgewogene Ordnung und sinnvoller
Aufbau des Tanzes werden von grundlegender Bedeutung für Leben und Gedeihen
eines Stammes. Treueste Wiedergabe der Überlieferung wird gefordert, denn jeder
Fehler stellt Kraft und Wirkung des Rituals in Frage. In der Tanzform drückt sich
der Sinngehalt des Rituals aus. Wenn auch dieser heute nicht mehr bekannt ist, so hält
man doch äußerst zäh an den Formen des alten Rituals fest. Einem allgemeinen Kul-