Anna Hohenwart-Gerlachstein
Zum Problem der Beduinensiedlungen im Niltal
Jeder Ethnologe, der die Beduinen im ägyptischen Raum besucht, sieht sich vor
einer Fülle von Problemen. So erging es auch mir, als ich im Frühjahr 1959 meine in
Wien durchgeführten Literaturstudien durch Feldarbeiten zu ergänzen suchte. Das
äußere Gepräge der Niltalsiedlungen weist ja im großen und ganzen keine wesent
lichen Unterschiede auf. Die Kultur der seßhaften Bevölkerung, also der Feliahen,
und die der seßhaft gewordenen Beduinen ist in vieler FFinsicht ähnlich. Es erscheinen
demzufolge eingehende Untersuchungen am Platze und Dorfanalysen erforderlich,
um das heute noch echt Beduinische herausstellen zu können.
Zunächst ist es unsere Aufgabe, den Begriff „Beduine“ zu klären. Ich definiere
„Beduine“ dem ursprünglichen Sinn nach als „Wüstenbewohner“, abgeleitet von der
arabischen Wortwurzel „bedija“ = „Wüste“. Ich setze auch „Beduine“ nicht gleich
mit „Nomade“, wie es vielfach gepflogen wird. In Ägypten kann man auch heute
von Beduinen, arabischen oder arabisch überschichteten Wüstenbewohnern, sprechen,
kaum aber von Nomaden. Wir wissen, daß es bloß schweifende Gruppen gibt und
keinen einzigen Nomadenstamm. Bei der Begriffsbildung scheint mir der Umwelt
faktor — die Wüste — primär zu sein, die Wirtschaftsform hingegen sehe ich als das
Sekundäre an 1 ).
Die Beduinen stellen im gesamten Mittleren Osten einen interessanten Komplex
dar 2 ), der verschiedener Spezialuntersuchungen bedarf. Im ägyptischen Raum liegt
wenig authentisches Material vor. Forschungsreisende haben meist Fellahen besucht
und über sie berichtet. Die ägyptischen Beduinenstämme aber, die im Verhältnis zu
den Fellahen gering an Zahl sind, wurden meist nur am Rande behandelt. Monogra
phien über Beduinenstämme fehlen bis auf wenige Ausnahmen.
Meine Untersuchungen erfolgten in Oberägypten, wo ich mir zunächst einen all
gemeinen Überblick über Land und Leute zu verschaffen trachtete. Dann konzentrierte
ich mich auf die Erfassung der Probleme bei dem Beduinenstamm der ‘Ababda. Dieser
Stamm ist größtenteils seßhaft geworden und siedelt sowohl am Rande der Ost- wie
der Westwüste im Niltal. Er umfaßt rund 50 000 Seelen und zerfällt in vier Unter
stämme:
’) Vgl. in bezug auf Arabien: Josef Henninger: Die Familie bei den heutigen Bedui
nen Arabiens und seiner Randgebiete. Internationales Archiv für Ethnographie
XIII, 1943, pp. 2—3. — Walter Dostal: Zur Frage der Entwicklung des Beduinen-
tums. Archiv für Völkerkunde XIII, 1958, p. 1.
2 ) Mohamed Awad: Settlements of Nomadic and Semi-Nomadic Tribal Groups in
the Middle East. International Labour Review LXXIX, no. 1, pp. 25—56, 1959.
Oder: Bulletin de la Société de Géographie d’Egypte XXXII, pp. 1—41, 1959.