Buchbesprechungen
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Es müßten also in fast allen Stämmen Melane
siens sehr ähnliche Bewegungen aufgetreten
sein, was bekanntlich nicht der Fall ist. Eine
vage Vermutung wie die auf p. 161 über die
Nichtteilnahme der Bewohner von Orokolo an
der Vailala Madness reicht kaum aus. Im
Grunde wären Untersuchungen über Gebiete,
in denen keine „Cargo“-Bewegungen aufge
treten sind, die einzige Möglichkeit, die „Big
Mcn“-Theorie zu testen. Der Umgang mit
allen gegenteiligen Ansichten und Belegen
scheint mir In diesem Buch etwas von leichter
Hand. Das gilt etwa für die Bemerkungen
p. 154 über „cargo“ und p. 164 über anders
lautende Aussagen von Kultteilnehmern.
Zweifellos Ist mit der Einbeziehung des
Problems einer „Status-Deprivation“ in die
Reihe der Erklärungsversuche für das Auftre
ten von Cargo-Bewegungen ein wichtiger Ge
sichtspunkt nachgeholt worden, der bisher ver
nachlässigt wurde. Die „big men“ scheinen mir
dabei nur ein Sonderfall zu sein. Da aber Sta
tus-Deprivation geradezu definierend für jede
koloniale Situation zu sein scheint, ist damit
nur ein Faktor gefunden, wo ganz offenbar
viele die Voraussetzung für das Auftreten von
„Cargo-Bewegungen“ sind.
H. Fischer
RAYMOND FIRTH and HONOR MAUDE:
Tikopia String Figures. (— Royal Anthro
pological Institute Occasional Papers No.
29.) London: Royal Anthropological Insti
tute of Great Britain and Ireland. 1970.
64 S., 54 Abbildungen.
Diese kurze Arbeit zeigt einige sehr Inter
essante Aspekte. Allerdings vielleicht mehr
Aspekte zur Wissenschaft als zu den hier vor
gelegten Fadenspielen von Tikopia. In seinem
„Preface“ stellt Firth zunächst fest, daß er die
Fadenspiele bei seiner ersten Reise 1928/29 ge
sammelt hat. Sein Interesse scheint damals groß
gewesen zu sein, denn er hat nicht nur die fer
tigen Figuren aufgenommen, sondern jedes
Spiel gelernt. Daß er sie heute wieder ver
lernt hat, wird man ihm kaum vorwerfen kön
nen. Dagegen dürften seine Aufzeichnungen zu
den Fadenspielen nicht sehr gut organisiert
gewesen sein, denn das meiste, was er unter
„String Figures in Tikopia Social Life“ schreibt
(und das ist der erste interessante Aspekt), sind
Vermutungen über seine eigenen Arbeiten und
Aufzeichnungen. Ein Forscher also, der seine
eigene Schublade als Archäologe untersucht.
So schreibt er schließlich etwas hilflos (p. 4),
„I cannot unravel completely this tangle of
traditional ideas about gods and goddesses,
night, sleep and blindness in reference to
string figures on the information I have
available, and I could get no further data
from Tikopia“. Immerhin, Fadenspiele haben
in Tikopia irgend etwas mit Religion zu tun.
Vielleicht wichtiger ist die Feststellung, daß sie
eine Möglichkeit für persönliche, individuelle
Kreativität sind. Der Beitrag von Honor
Maude besteht im wesentlichen aus einigen
oberflächlichen Vergleichen der Tikopia-Figu-
ren mit solchen aus anderen Gebieten Ozea
niens. Dabei kommt kaum etwas heraus, in
welcher Hinsicht auch immer. Brauchbar sind
die (von Firth selbst gesammelten) Angaben
über die Herstellung der Spiele mit der Ter
minologie von Tikopia. Daß — wie üblich in
englischen Arbeiten — eine Anzahl wichtiger
deutschsprachiger Beiträge zum Thema fehlt,
ist kaum mehr verwunderlich. Erstaunlich ist
eigentlich immer wieder, daß wir mit der
Untersuchung bzw. der Auswertung von Fa
denspielen noch keinen Schritt weitergekom
men sind. Die Arbeit zeigt, daß ein halbes
Jahrhundert ohne sichtbaren Fortschritt vor
beigegangen ist.
H. Fischer
DAVID PITT:
Tradition and Economic Progress in Samoa.
A case study of the role of traditional social
institutions in economic development. Ox
ford: Clarendon Press. 1970. XI + 295 S.,
29 Tab. u. Diagr., 2 Ktn.
Die Arbeit von David Pitt gehört in eine
Reihe neuerer Abhandlungen, die der Theorie
entgegentreten, die wirtschaftliche Entwick
lung in unterentwickelten Ländern sei allein
eine Resultante der ausländischen Investitio
nen und der Überwindung der — ausschließ
lich als entwicklungshemmend angesehenen —
traditionellen sozio-ökonomischen Strukturen.
In der polemischen Intention stimmt Pitts Buch
mit seinem im selben Jahr erschienenen Gegen
stück aus Ozeanien überein: R. F. Salisbury:
Vunamami. Berkeley and Los Angeles 1970.
(Vgl. die Einleitungen beider unabhängig von
einander entstandenen Werke.) Pitt destruiert
am Fall W-Samoas jene Theorie, indem er die
Haltlosigkeit der Vorurteile, deren Verdich