tendierte Machtallianzen
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Bies rührt auch daher, dass Lévi-Strauss selbst,
j^ le °ben gesehen, “künstliche” Verwandtschafts-
rnten der Patenschaft oder Blutsbruderschaft als
lanzbeziehungen theoretisch nicht weiterver-
ied^ ^ nt § e § en seiner Intention legt Lévi-Strauss
§ 0c h mit seiner begrifflichen Gleichsetzung von
Wa gerschaft und Gevatterschaft, die er 1949
Ur ^ r § lss t” zu erklären, nahe, es handele sich hier
rat ^ c h wert ige Formen der Allianzbildung; Hei-
u Un d Patenschaft. Lévi-Strauss ist sich nicht
sei USSt ~ womöglich anders als die Akteure in
s Piel
oben erwähnten brasilianischen Fallbei-
dass der von ihm verwendete französische
griff “alliance” nicht nur Ehe und Verschwä-
c ^ )? n §, sondern auch Patenschaft bzw. “unnatürli-
^ ^ erwan ötschaft bedeutet. 32
be t Un Verwun dert es nicht, in ethnologischen Ar-
§le e [! ^ ^HnatürliGhe’’ Verwandtschaftsformen ver-
Sin hSWeise selten unter dem Allianzaspekt im
n 0 j e Levi-Strauss’ gedeutet zu sehen. Die Eth-
Pat°^ nnen ’ etwa die bestdokumentierte Form
pnsehaftfoher Beziehungen zumindest ansatz-
d er ^ e . a |s Allianz interpretieren, bilden eine Min-
' Bezeichnenderweise erfolgt diese In-
4 Vl 6tation zumeist ohne expliziten Bezug auf
~ l ' s trau SS ’ Allianztheorie, ein Umstand, den ich
ther» nUr dadurch erklären kann, dass der kultur
ell etls che Inhalt des Allianzbegriffes, die Idee
Se s lnte ndierten verwandtschaftlichen Bündnis-
U^genüber anderen, mittlerweile entleert ist
v er d dgemein im Sinne eines Heiratsbündnisses
re bs k ' en wird- Die inkonsequente allianztheo-
v er e Berücksichtigung rituell und mimetisch
he^^dtschaftlicher Beziehungen hat sich bis
te tilg ' Um verändert, weshalb sich hier, wo ih-
b este 0re tische Berücksichtigung eigentlich am
Me ^ raöglich sein sollte, ein ähnliches Bild
bi et ^ er allgemeinen Verwandtschaftsethnologie
Wa n ^ Plädiere dafür, jedwede Form von Ver-
v 0n Sc ^ a B als Allianz zu verstehen, den Begriff
lnern begrenzten semantischen Inhalt der
fr anz ance weist nach Sachs-Villatte, “Enzyklopädisches
bu C h,? SlSc h-de u ts c h es und deutsch-französisches Wörter-
tej- 3 .(Berlin 1963: 28), sechs Bedeutungen auf, wobei un-
ru^g), P are nté” neben “Verwandtschaft” und “Verschwäge-
Ve rvv aUc * 1 di 6 figurative Verwendung “spirituelle geistige
fr^ n „ a , n ^ tSc haft” aufgeführt wird. S. a. “Trésor de la langue
( 1789 1S f' ^'efionnaire de langue du XIX e et du XX e siècle
ce” ün ;l%0)” (Paris 1973/2: 564). Dort wird unter “allian-
^ n § a be einer Quelle von 1882 auch die “Alliance
'e Y er 6 ’ durch Taufpatenschaft entstehende spiritu-
ell,
uT Ver wandtschaft angeführt. 1074- vgl.
1 968; Esleva ,970; Chock 1974, Coy 19/4. s
Var ado 2006; 141-168.
H
r °Po s
(02.2007
Heirat und Verschwägerung auf Formen sozia
len Verhaltens auszuweiten, die sich funktional
und beziehungsbegrifflich an emisch als “ver
wandtschaftlich” verstandenen Praktiken orien
tieren. Rituelle und mimetische Verwandtschafts
praktiken gelten den Beteiligten gemäß ihres
emischen Verständnisses verwandtschaftlicher Be
ziehungen in ihrer Handlungs- und Denkpraxis als
“wirkliche” (Alvarado 2006). Die Untersuchung
der scheinbar “unnatürlichsten” Allianzbande wie
z. B. die der Patenschaft zeigt sozusagen vom
Rand aus die allgemeine Bedeutung verwandt
schaftlicher Praxis insgesamt auf. Schon weil sich
die sogenannte künstliche Verwandtschaft termino
logisch an die “natürlicheren” Allianzformen kon-
sanguinaler/affinaler Verwandtschaft anlehnt, ver
weist sie auf deren soziale Wirkmacht. Zugleich
verhindert ihre Interpretation als gleichwertige Al
lianzen, die graduell verschiedenen Formen zu
hierarchisieren.
Insofern gilt es auch die “natürliche” Ver
wandtschaft als konsanguinale Allianz zu verste
hen. Ihre Differenz zu den weiteren liegt dar
in, dass die möglichen Verbündeten prinzipiell
vorgegeben sind, sie kommen einem “Pool” an
potentiellen Verbündeten gleich. Hier entschei
det sich erst in der Praxis, ob sie ihr Bündnis
in die Handlungstat umsetzen oder ob es sozial
wirkungslos bleibt, wodurch sich die “natürli
che” Beziehung entfremdet. 34 Da auch blutsver
wandtschaftliche Bande, um aktualisiert zu wer
den, auf konvergierten Machtinteressen beruhen,
stellen sie eine intendierte Allianz insoweit dar,
als sie zwar nicht freiwillig etabliert, aber frei
willig aufrechterhalten werden, indem ihnen an
dauernd Bedeutung gegeben oder entzogen wird.
Sozial entscheidend ist das anhaltend konvergie
rende Machtinteresse von Individuen, das Alli
anzfunktionen erzeugen kann. “Natürliche” Ver
wandtschaft bedeutet nicht viel, wenn die gesell
schaftlich als “verwandt” definierten Individuen
in ihren Machtinteressen divergieren. Die poten
tielle Allianzfunktion verwandtschaftlich gestalte
ter Beziehungen gilt es immer wieder zu aktua-
34 So haben etwa Lomnitz und Perez-Lizaur zeigen können,
wie Blutsverwandte trotz der virulent geforderten Solida
rität unter Verwandten ihren emisch anerkannten Verwandt
schaftsstatus verlieren, sie aktiv aus “der” Familie aus
geschlossen werden, wenn sich ihre Machtinteressen von
denen der Familienpatrone unterscheiden. Ihr sozialer Aus
schluss geschieht z. B., indem sie nicht mehr zu Familien
feiern eingeladen werden, “with the result that such indi
viduals disappear from the kinship map of younger family
members” (Lomnitz and Perez-Lizaur 1987: 144; s. a. 87,
143 ff., 190).