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CHRISTIAN KAUFMANN
Maschenstoffe und ihre gesellschaftliche Funktion
am Beispiel der Kwoma von Papua-Neuguinea
Zusammenfassung:
Unter den primären textilen Techniken nehmen die Verfahren zur Herstellung von Maschen
stoffen in Ozeanien eine Sonderstellung ein, die erst in groben Umrissen bekannt ist. Eine
Darstellung der Maschenstoff-Typologie in der Kultur der Kwoma leitet zur Beschreibung des
bisher nicht dokumentierten Verfahrens über, in dem Kwoma-Männer die Unterlagen herstei
len, auf denen Schneckenschalen und Muscheln als Wertsymbole befestigt werden. Die Rolle
von Maschenstoffen, insbesondere des Zeremonialgelds, im Rahmen von bildhaften Zahlun
gen wird aufgezeigt; diese erweisen sich als zentrale, die Struktur der Kwoma-Gesellschaft
stabilisierende Elemente.
1. Einleitung
Die verschiedenen Klassen und Variationsformen der textilen Techniken zeigen in
Ozeanien ein ganz spezifisches Bild der Verbreitung, das zu analysieren sich lohnen
würde. Noch am übersichtlichsten steht es mit der Weberei. 1 Sie ist in einfachen
Formen auf einige Inselgruppen im Westen und im Zentrum Melanesiens
beschränkt und scheint dorthin aus Mikronesien und letztlich aus dem Kulturraum
von Indonesien bzw. Südostasien gelangt zu sein.
Demgegenüber haben die Polynesier das echte Weben wohl nicht gekannt. Aller
dings warnen von den Maori stammende Schultermäntel und andere Umhänge mit
den komplexen taniko-Bändern vor einer allzu großen Vereinfachung der Betrach
tung. Vielleicht läßt sich eines Tages eine Übereinstimmung der Ausbreitung von
echten Webtechniken und einzelnen Verfahren des Töpferns (Kombination des
Aufbauens aus Elementen mit dem Ausformen in Schlagtreibtechnik) in Ozeanien
nicht nur vermuten, sondern auch belegen.
Wesentlich schwieriger sind Verbreitung und Sonderentwicklungen des Flechtens
in Ozeanien zu deuten. Auf einen allgemeinen Nenner gebracht, läßt sich sagen,
daß geflochtene Behältnisse und andere Gerätschaften (insbes. Matten und Feuer
fächer) in allen Inselgebieten und in den Schwemmlandgebieten Neuguineas Vor
kommen. Das Flechten und Ausgestalten von Matten und Taschen hat in Teilgebie
ten einen hohen Schwierigkeitsgrad erreicht (durchbrochen gearbeitete Teile,
Reserveverzierungen).
Das in den Schwemmlandgebieten Neuguineas zu beobachtende gleichzeitige Auf
treten von geflochtenen Behältnissen wie Auswaschbehältern bzw. Tragtaschen
und von Sagoproduktion für die Ernährung gilt keineswegs durchgehend für alle
Teile der Insel. Die Bewohner der hügeligen Randzonen bewältigen die Herstel
lung von Sagomehl auch ohne geflochtene Siebe und Taschen, kennen dafür aber
eine Vielzahl von Behältnissen und weiteren Ausrüstungsgegenständen aus
Maschenstoff - wie im übrigen auch die ganze Inland- und Bergbevölkerung
Neuguineas und einiger umliegender Inseln, z.B. Neubritanniens.
Neuguinea ist zusammen mit Australien und neben Südamerika so etwas wie das
Maschenstoff-Paradies 2 : Aus den Bastfasern tropischer Sträucher und Bäume, z.B.
Hibiscus, Gnetum gnemon u.a.m., gedrillte und meist auch verzwirnte Schnüre
bilden das Ausgangsmaterial für eine noch keineswegs systematisch erfaßte Vielfalt
von Produkten aus Maschenstoff. Die bekanntgewordenen Formen reichen von