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TRIBUS 35, 1986
Überlieferungen angewiesen. Lückenhaft bleibt insbe
sondere die frühe Geschichte. Das Gebiet zwischen Omo
und Bilate gehörte bis zum 13. Jahrhundert zum Herr
schaftsbereich von Damot-Ennariya, wurde dann aber
eine Provinz des äthiopischen Reiches. Ob das betreffen
de Gebiet zu dieser Zeit schon von Kambata bewohnt
war, bleibt ungeklärt, wie auch der Ursprung des Na
mens selbst nicht endgültig nachgewiesen werden konn
te. Möglich wäre die Ableitung von oromo kam bata =
wie kann man herauskommen? - von Braukämper etwas
mißverständlich mit »wie kann man entkommen?« über
setzt.
Nachweislich hat die Bevölkerung dieses Gebietes schon
im 15. Jahrhundert eine soziale Stratifizierung aufgewie
sen, die offenbar weitgehend entlang ethnischen Gren
zen verlief und die sich bis in die jüngste Zeit hinein
erhalten hat. An der Spitze standen »semitisch-sprachige
Militärkolonisten aus Nord-Äthiopien«, deren Vor
machtstellung aber wohl rein politischer Natur war und
die ansonsten in der Gesellschaft der Kambata immer
Fremde blieben. Die Darstellung der Gesellschaftsstruk
tur in Form einer Pyramide, wie sie der Verfasser durch
gehend verwendet (S. 22, 37, 72, 92) ist deshalb etwas
irreführend, weil sie auf eine Integration der einzelnen
sozialen Schichten schließen läßt, wie sie in der Realität
nie bestanden hat und die auch die soziale Position
anderer gesellschaftlicher Gruppierungen nicht hinrei
chend zu verdeutlichen vermag, wie etwa in späterer Zeit
die der Sklaven, die zwar rechtlich und ökonomisch
völlig abhängig, sozial jedoch vielfach bessergestellt wa
ren als die verachtete Kaste der Töpfer und Gerber.
Im 16. Jahrhundert gerieten die Kambata in die Ausein
andersetzungen zwischen Christen und Adal-Muslimen
und wurden dann immer stärker von den nach Norden
expandierenden Oromo bedrängt. Entscheidend für die
weitere Geschichte der Kambata war die Gründung der
Oyeta-Dynastie Ende des 16. Jahrhunderts durch Ha-
malmäl, der wahrscheinlich ein Oromo war (als solcher
wird er auch in äthiopischen Geschichtsbüchern bezeich
net), obwohl Braukämper dies bezweifelt. Völlig unver
ständlich ist, warum er die Nachfahren Hamalmäls und
seiner Frau Oyete, der Tochter eines Hadiya-Führers,
die in der Folgezeit den mächtigen Oyeta-Klan bildeten,
als »Königsklan amharischen Ursprungs« benennt (S.
37). Die Oyeta stellten bis zur erneuten Eingliederung
der Kambata in das Äthiopische Reich den König und
waren der größte und reichste Familienverband der
Kambata. Die Zeit nach der »Unification of Ethiopia« zu
Ende des 19. Jahrhunderts ist sehr ausführlich dargestellt
worden. Gut herausgearbeitet wurden vor allem die poli
tischen und sozio-ökonomischen Konsequenzen der
Machtergreifung durch amharische naftannä, insbeson
dere die Neuordnung des Verwaltungswesens, die Ein
führung des rist- und gult-Bodenrechtssystems sowie die
Einsetzung einheimischer bäläbbät-Führer - eine be
währte Taktik, deren sich die Amhara auch andererorts
bedient hatten, um sich die unterworfenen Völker gefü
gig zu machen. Eine ähnliche Strategie wandten sie auch
bei der Benennung von Provinz-Gouverneuren an, auf
die Braukämper aber nicht weiter eingeht. Hier wäre es
angebracht gewesen, die Hintergründe von Ein- und
Absetzungen der verschiedenen Gouverneure des Kam-
bata-Gebietes zu beleuchten, sowie auf die exponierte
Rolle der zahlreichen Oromo hinzweisen, ohne deren
Hilfe die Eroberungszüge Meneliks II. sicher weniger
erfolgreich gewesen wären, vor allem auch auf die Posi
tion des Oromo-Führers Ras Gobana Dace, der auch in
anderen Teilen des Landes im Namen Meneliks Kriegs
züge durchführte.
Alles in allem ist diesem Versuch, die Geschichte einer
schriftlosen Gesellschaft anhand ihrer mündlichen Über
lieferungen zu rekonstruieren, ein gebührendes Maß an
Anerkennung zu zollen. In gewohnt sorgfältiger Weise
hat der Autor alles vorhandene Material zusammgenge-
tragen. Dabei wird deutlich, wie lückenhaft und zum Teil
widersprüchlich die Angaben in frühen Chroniken und
Reiseberichten sind. Als besonders erschwerend erwie
sen sich die mangelnden Sprachkenntnisse des Autors,
der ausschließlich auf Dolmetscher angewiesen war. So
war kaum zu vermeiden, daß einiges offenbar falsch
verstanden und interpretiert wurde. Auf die fehlerhafte
Übersetzung des Namens >Kambata< wurde bereits hin
gewiesen. Bei der Einteilung des Landes in Wirtschafts
zonen (S. 11) wurde >ollöha< irrtümlich mit >Gehöft mit
Hofland< übersetzt. >OHöha< heißt wörtlich >Nachbar<.
Der richtige Begriff wäre >ke< gewesen. Auf Seite 21 wird
>häte< mit äthiopischer Königstiteh angegeben. Hier ist
der Autor möglicherweise einem Scherz aufgesessen,
denn >hate< ist m. E. eine Ableitung von oromo hatu =
Dieb.
Die Fülle des Datenmaterials ist für den Leser bisweilen
nur mühsam zu bewältigen. Hier stellt sich einmal mehr
die grundsätzliche Frage nach dem methodischen Vorge
hen bei ethnohistorischen Arbeiten. Wie die meisten
seiner Kollegen aus der Ethnologie neigt auch Braukäm
per dazu, möglichst viele Einzelheiten einfließen zu las
sen, aus Angst, sie könnten sonst in Vergessenheit gera
ten. Wohlweislich hat er im Anhang eine kurze Zusam
menfassung der wichtigsten Ereignisse angefügt, die
denn auch des öfteren herangezogen werden muß, weil
man gelegentlich Gefahr läuft, den roten Faden zu verlie
ren. Ein weniger an Material wäre an manchen Stellen
sicher mehr gewesen. Einige Teile sind dagegen etwas
kurz ausgefallen und es wäre wünschenswert, wenn sich
weitere Untersuchungen anschließen würden. Insgesamt
liefert die Arbeit jedoch wichtige Ergänzungen und neue
Aspekte für die äthiopische Geschichtsschreibung und ist
zugleich eine wertvolle Hilfe vor allem für die Kambata
selbst, um sich ihrer eigenen Geschichte bewußt zu
werden.
Paulus Waffa
Dinslage, Sabine:
Kinder der Lyela. Kindheit und Jugend im
kulturellen Wandel bei den Lyela in Burkina
Faso. Hohenschäftlarn bei München; Klaus
Renner Verlag, 1986.
Das Buch von Sabine Dinslage basiert auf einer vierzehn-
monatigen Feldforschung bei den Lyela, einer Gur-spra
chigen ethnischen Gruppe in Burkina-Faso, dem ehema
ligen Obervolta. Die Autorin war eine von drei Mitarbei
terinnen in einem Forschungsprojekt von Professor R.
Schott über soziale Entwicklungsprobleme der Lyela.