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TRIBUS 35, 1986
keiten mehr gibt (mit wenigen Ausnahmen), ethnologi
sche Feldforschungen nach Stellung und Gebrauch dieser
Waffen zu unternehmen. Agthe schreibt, daß z.B. über
die Symbolik der Waffen bei den Azande nur wenig
bekannt ist. Seit den ersten Reisebeschreibungen des 19.
Jahrhunderts (z.B. Nachtigall, Barth) hat sich bei diesen
zentralafrikanischen Völkern auf Grund endogener, aber
mehr noch exogener Entwicklungen (Eroberung und Ko
lonialismus, Missionsarbeit, Übernahme der europäi
schen Feuerwaffen, usw.) sehr vieles geändert. Was wir
aber noch an Artefakten haben, soll möglichst gut unter
sucht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden,
und man darf sagen, daß diese zwei Bände ein überzeu
gender Beitrag dazu sind: es handelt sich hier um eine
bemerkenswerte Inventarisation einer sehr wichtigen
deutschen musealen Sammlung, die mit interessanter
und wertvoller Information präsentiert worden ist.
J. Abbink
Thiel, Franz Josef und Helf, Heinz:
Christliche Kunst aus Afrika. Berlin: Reimer
1983. 320 Seiten, 64 Färb- und 430 Schwarz
weiß-Abbildungen.
Hier liegt ein aufwendig gestaltetes Werk vor, in dem
Kapiteltexte mit eingestreuten Illustrationen und Vorge
setzten Karten im Wechsel mit Bilderfolgen von hervor
ragender photographischer und drucktechnischer Quali
tät mit ausführlichen Bildlegenden stehen.
»Christliche Kunst in Afrika« - ein Stoff, an dem man
sich reiben, ein Thema, das kontrovers diskutiert werden
kann. Bereits das Vorwort des Generalsuperiors und die
Einleitung des Autors mit den apologetischen Sätzen
gegen den Vorwurf, christliche Missionsarbeit allein ha
be Schuld am Untergang traditioneller afrikanischer Kul
turen, reizen dazu. Es bleibt im Nachhinein müßig dar
über zu streiten, was geschehen wäre, wenn die Mission
Kompromisse geschlossen, Vorgefundenes amalgamiert
hätte mit der Anpassungsfähigkeit, die in der Missionie
rung Westeuropas zu verzeichnen war. Aber dazu war
die Kirche des 19. Jahrhunderts im zweiten Ansatz zur
Missionierung Afrikas, geprägt von dogmatischer Kathe
dergelehrsamkeit und Strenge, nicht bereit. Zentrale,
lebensgestaltende Ideen afrikanischer Religiosität wur
den durch eine ausgereifte Lehre verdrängt, die aber
nicht - wie die traditionellen Weltvorstellungen vordem -
alle Lebensbereiche durchdringen konnte. Ausgeklam
mert blieben beispielsweise Magie und Volksmedizin.
Was Wunder, wenn solche Lücken durch synkretistische
Phänomene aufgefüllt werden. Fest stehen dürfte je
doch, daß jeglicher Eingriff in die geistig-religiöse Sphäre
einer Kultur der schwerwiegendste und folgenreichste
ist.
Aber darum geht es in dem sorgfältig edierten Pracht
band gar nicht, sondern um christliche Kunst, besser
gesagt um christliche Thematik in afrikanischen Kunst
formen.
Da stutzt man in der Einleitung bei dem Satz: »Der
Wandel in Afrika ist derart rapide, daß es zu einem
afrikanischen Stil praktisch noch nicht gekommen ist.«
Nun haben ja sehr viele afrikanische Ethnien unverwech
selbare Stile geschaffen. Es wird hier noch nicht klar, ob
der Autor das generelle Problem nur in der Umsetzung
neuer, das heißt christlicher Inhalte in bestehenden For
men sieht oder in der Afrikanisierung christlicher Sym
bole und Gestalten. Bei den Symbolen würden Konstan
ten zu Variablen und beim Personenkreis stellte sich die
Frage, ob historische Gestalten, deren Erscheinungsbild
im Abendland ausgeformt wurde, überhaupt zu afrikani-
sieren sind.
Das 1. Kapitel »Probleme einer christlichen Kunst in
Afrika« setzt sich mit Mission und Kunst auseinander.
Die kritischen Anmerkungen übertönen jedoch nicht den
verteidigenden Grundton. Ein Abschnitt bringt tabellari
sche Erfassungen wichtiger historischer Daten und Fak
ten zur Geschichte des Christentums in Afrika sowie
statistische Tabellen zur Anzahl von Christen und Musli
me in der Bevölkerung. Im Abschnitt »Wesensmerkmale
afrikanischer Kunst« mußte der Autor notgedrungen ei
ne verallgemeinernde Darstellung geben. Die Fülle der
Erscheinungen läßt sich nicht auf einen Nenner bringen.
In den Aussagen zur »afrikanischen Proportion«, zur
Farben- und Zahlensymbolik und Doppelgeschlechtlich
keit schlagen sich Erfahrungen des Autors aus seinem
Aufenthalt unter Bantu-Gruppen in interessanten De
tails nieder, die aber nicht panafrikanische Vorstellungen
sind. Das Kapitel schließt mit dem Entwurf eines Grund
satzpapiers, der Fehler der Vergangenheit erkennt und
ideal gesinnt in die Zukunft weisen möchte, der aber
sicherlich innerhalb und außerhalb der Kirche einen Mei
nungsstreit auslösen könnte, vor allem bei jenen, die
nach dem 2. Vatikanischen Konzil mit dem Einzug loka
ler volkstümlicher Elemente auch in die Kirchen Afrikas
Gefahren für die Einheit des Katholizismus sehen.
Die folgenden Kapitel erfassen afrikanische Großräume,
Äthiopien als ersten, dessen Sonderstellung mit seiner
genuinen Entwicklung christlicher Kunst schon in der
Einleitung hervorgehoben wurde. Gestützt auf die Ar
beiten von Hammerschmidt und Chojnacki wird ein Ab
riß der Christianisierungsgeschichte und der afrikani
schen Entwicklung des Christentums in Äthiopien gege
ben und dann detailliert und informationsreich auf
Wandmalereien in Kirchen, Buchmalerei, die Gebets
und Zauberrollen, auf Ikonen und die Vielzahl von Vor
trage-, Hand- und Anhängekreuzen eingegangen.
Das Kapitel »Das alte Kongoreich« ist eines der interes
santesten, nicht nur - weil auch hier wie im ganzen Werk
- in knapper, allgemeinverständlicher Sprache sehr diffe
renzierte historische Abläufe aus der frühen Entdek-
kungs- und Missionszeit dargestellt werden, sondern da
zu auch sehr viel Material aus Aufsätzen in nicht jeder
mann zugänglichen Zeitschriften herangezogen wurde
wie die umfangreiche Bibliographie beweist. Der vorge
nommene Vergleich zwischen Äthiopien und Kongo
zeigt, wie bei gleichem Ansatz völlig unterschiedliche
Entwicklungen sich vollzogen haben. Dort Kontinuität
bis in die Gegenwart, hier - nach dem Scheitern der
Mission - die Afrikanisierung christlicher Symbole, das
Umformen mißverstandener Attribute und die Umdeu
tung nach afrikanisch-traditionellen Vorstellungen. Die
doppelgeschlechtliche Darstellung Christi am Kreuz bie
tet das überzeugendste Beispiel. In der Wiedergabe von
Statuetten, Grabfiguren, Szeptern, Jagdfetischen und
den Nzambi-Figuren als Belegen dieses synkretistischen