TRIBUS 35, 1986
aufgegangen. Das trifft, wenn auch in kleinerem Um
fang, auch für jene Armenier, Georgier, Tsherkersen
und Tadjiken zu, die Shah Abbas für eine besondere, nur
ihm selbst unmittelbar unterstellten Streitmacht rekru
tiert hatte 2 . Immerhin dürfte der Anteil dieser Nichttür
ken im Shahsawan-Verband helfen, die große und durch
aus nicht immer turkmenisch anmutende Mustervielfalt
zu erklären.
Den größten Teil des Buches nehmen die Abbildungen
ein. Auf 93 Tafeln wird jeweils ein Objekt, häufig ein
kompletter Mafrash, in vorzüglichen Farben wiedergege
ben und auf der gegenüberliegenden Seite mit Angaben
zu Größe, Alter, Musterbesonderheiten und Struktur
analyse kommentiert. Bei dieser wird eine Reihe ver
schiedener Webtechniken so ausführlich beschrieben,
daß damit vorzugsweise wohl nur Textil-Ingenieure ange
sprochen werden. Hingegen bleibt die Frage offen, wie
weit bestimmte Techniken auch definierten Herstellern
zuzuordnen sind oder ob alle Techniken von allen Shah-
sawangruppen verwendet wurden? Bei den Abbildungen
wirkt sich aus, daß es sich hier um Mafrash einer Privat
sammlung handelt, die S. Azadi zu diesem Buch bewog.
Man könnte meinen, dem Sammler selbst sei es mehr auf
Anzahl und farbige Vielfalt seiner Stücke angekommen,
als etwa auf eine volkskundlich-systematische Erfassung
dieses Textil-Typs. So sind mehrfach zwei Stücke abge
bildet, die sich nur in so winzigen Einzelheiten unter
scheiden, daß die Wiederholung kaum zusätzliche Er
kenntnisse bringt: z.B. Tafeln 67, 69-99, 101-109,
111-143, 145-173, 175-177, 179 und 191, 203. In der
Reihenfolge der Abbildungen läßt sich jedenfalls keine
rechte Einteilung erkennen, weder nach Erzeugergrup
pen, noch nach Herstellungsgebieten oder nach Leitmo
tiven der Musterung. Angesichts der so ausführlichen
Kapitel zur Geschichte und ethnologischen Prägung der
Shahsawan ist zu bedauern, daß diese Mühe nicht auch
zu einer wenigstens ungefähren Zuschreibung der Stücke
zu der einen oder anderen Shahsawangruppe geführt hat.
Wer immer im Feld gearbeitet hat, weiß um die Schwie
rigkeit, besonders bei älteren Textilien, noch den tat
sächlichen Hersteller zu identifizieren. Zu oft sind Sip
pen-, ja selbst Stammesverbände untergegangen, um
gruppiert worden oder neu entstanden, wie es z.B. bei
den Belutshen beschrieben wurde 3 . In einer solchen Si
tuation bietet sich dann aber wenigstens eine Ordnung
nach Herstellungsgebieten an, wie sie hier mit den Ober
gruppen der Meshkin- und der Ardebil-Shasawan ja im
Text angedeutet ist. Von deren Seite (2) wird vorgeschla
gen, die Shahsawan nach ihren Lebensräumen zu ordnen
in solche aus dem
1. Moghan-Gebiet
2. Gebiet von Hashtsud und Mianeh
3. Gebiet von Khamseh und Bidjar und
4. Gebiet von Raswin, Saveh und Veramin
Eine Herkunftsbezeichnung wie West- oder Nordwest
persien befriedigt jedenfalls nicht.
Andererseits wäre auch eine Einteilung nach Motivgrup
pen der Musterung möglich gewesen. Doch auch eine
solche bleibt demjenigen Leser selbst überlassen, für den
das Studium der außerordentlichen Variationsmöglich
keit von Form- und Farbkomposition eines Leitmotivs
von besonderem Interesse ist. Stellt man es auf diese
Betrachtungsweise ab, dann sind es hauptsächlich sechs
solcher Leitmotive, die in 76 von insgesamt 93 Komposi
tionen abgehandelt werden. Allein 24-mal sind es mit
glatten oder eingerollten Haken besetzte Rauten bzw.
Sechseckfiguren, die allerdings mit wechselnden Bordü
ren kombiniert sind. - Eigentlich nicht in dieses Buch
gehören die Abbildungen 119, 147, 149, 159, 161 und
247, denn sie geben keine Mafrash wieder, sondern
»Khordjin« (Sattelpacktaschen) und »Djowall« (große
Zelt- bzw. Kamel-Packtaschen). Wegen ihrer unter
schiedlichen Herstellungsweise, ihrer eigenen Muster
vielfalt und wegen ihrer über den hier beschriebenen
Erzeugerkreis und Herstellungsbereich weit hinausge
henden Verbreitung verdienten sie nicht nur eine so
beiläufige Erwähnung, sondern durchaus eigene Publika
tionen (4, 5). Dem Format nach dürfte es sich bei Nr. 255
hingegen wohl eher um einen Mafrash als um eine
Khordjin handeln. - Bei der Beschreibung der Abbildun
gen irritiert übrigens die Bezeichnung »Breitseite« für
das kleinformatige Endstück des Rechteckbehälters.
Verständlicher ist sicher »Schmalseite« im Gegensatz zur
vorwiegend abgebildeten »Längsseite«. Von Vorteil wä
re schließlich auch eine seitenunabhängige eigene Nume
rierung der Farbtafeln gewesen.
Von diesen Unebenheiten abgesehen, liegt hier aber ein
interessantes Buch vor, dessen sorgfältige Ausstattung
mit hervorragenden Farbtafeln seitens der Verlage be
sonders hervorgehoben zu werden verdient. Die Autoren
folgen mit dieser Publikation dem sehr zu begrüßenden
neuen Trend, möglichst eingehend mit reichlichem Bild
material über ein definiertes Teilgebiet zu berichten,
anstatt weniges, allenfalls stichwortartig, über das ganze
weite Feld orientalischer Flachgewebe aufzulisten.
Dietrich H. G. Wegener
1 Sir Percy Sykes, A History of Persia Vol. II, London
1905, Repr. 1963, p. 176.
2 P. Tavanoli, Shahsawan, Herford und Fribourg, 1985,
pp 11, 18, 30, 31.
3 D. H. G. Wegener, Der Knüpfteppich bei den Belu
tshen und ihren Nachbarn, TRIBUS 29, Stuttgart 1980.
4 H. Hegenbart, Seltene Webtaschen aus dem Orient
(Sammlung Adil Besim), Kunst und Antiquitäten
GmbH, München 1982.
5 H. Reinisch, Satteltaschen (Sammlung Käbisch) Verlag
für Sammler, Graz 1985.
Ames, Frank:
The Kashmir Shawl and its Indo-French In-
fluence. Woodbridge, Suffolk: Antique Col-
lectors’ Club, 1986. 347 Seiten, 66 Farb
tafeln, 222 Schwarzweiß-Abbildungen, 33
Figuren im Text, Karte auf den Vorsätzen,
Bibliographie, Index, Glossar, 4°.
»Die Wollstickerei von Kaschmir, gewebt oder mit der
Nadel gewirkt, ist historisch und weltberühmt. Durch die
Einführung aber von französischen Mustern und magen-
tarother Farbe in der Fabrikation der gewebten Ka-
schmirschawle, haben dieselben viel von ihrem künstleri
schen Werthe verloren. Dagegen gibt es wohl nichts