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Üblicherweise sagt der Werbetext eines Verlegers wenig
über Gehalt und Inhalt der bei ihm erschienenen Publi
kationen aus. Wenn es jedoch im vorliegenden Fall das
Ziel des Autors gewesen ist, ein Buch für die Leserschaft
zu schreiben, »die sich für die Kreativität, Kunst und
Ästhetik alter Völker interessiert, die sich von einer
Fülle eindrucksvoller Textilmuster anregen lassen (sic!)
und etwas über deren mythologischen Hintergrund er
fahren möchte« (Text des Verlags-»Waschzettels«), dann
ist ihm dies bestens gelungen. Der eingeweihte Leser
wundert sich über die Lösung dieser Aufgabe nicht, weiß
er doch, daß sich F. Anton nicht nur mit den »präkolum
bianischen Kulturen« (wie der Verlag meint), sondern
mit den präkolumbischen seit Jahrzehnten intensiv be
schäftigt. Viele Veröffentlichungen aus seiner Feder
sprechen für ihn.
Für den Verfasser spricht auch sein Vorgehen bei der
Erarbeitung der vorliegenden Veröffentlichung. Er hat
sich nämlich nicht darauf beschränkt, dem Leser die
altperuanische Textilkunst aus drei Jahrtausenden näher
zubringen, das handwerkliche Können dieser Zeit (die in
der Alten Welt verbreiteten Webarten kannten auch die
alten Peruaner), die reichhaltige Farbskala der Textilien
(190 Farbtöne wurden festgestellt) und die Fülle der
Motive, sondern er geht anhand der Gewebe aus zahlrei
chen Kulturen auch auf die Lebensverhältnisse im alten
Peru ein und berichtet über Gesellschaftssysteme, über
die Umwelt der damaligen Menschen sowie über Glau
bensvorstellungen mit ihren ausgeprägten Begräbnissit
ten (denen wir die organischen Kulturgüter aus dem
Mittleren Andenraum ja hauptsächlich verdanken). Be
sonders wertvoll sind die Querverbindungen zwischen
Darstellungsweisen und Motiven auf den Geweben und
denjenigen auf anderen Materialien, wie Keramiken,
Schnitzwerken und Bauelementen aus Stein, Holz und
Lehm. Ausgezeichnete Fotos in Farbe und Schwarzweiß
sowie vor allem die vielen Zeichnungen (in einem Fall
wurde eine Zeichnung auf Folie sogar über eine Farb-
Abbildung gelegt, was die Motive auf dem betreffenden
Textilstück natürlich besonders gut erkennen läßt) tragen
zum Verständnis dieser von bizarren Mythen durchdrun
genen Welt bei. Trotz dieses Lobes für Anlage und
Ausführung des Werkes müssen nachfolgend einige mehr
kritische Anmerkungen gemacht werden. Zunächst soll
jedoch Aufbau und Inhalt der Publikation kurz skizziert
werden.
Die Gliederung des Buches ist eher einfach zu nennen.
Anton folgte einem chronologischen Grundschema.
Nach einem einleitenden Kapitel über die Peruanistik
und die altperuanischen Textilien insgesamt folgt ein
Teil, in dessen Mittelpunkt Chavih steht. Hier wie auch
in den folgenden Kapiteln verbindet Anton die jeweilige
Textilkunst mit einer allgemeinen Beschreibung der Hin
terlassenschaften aus dem fraglichen Horizont oder der
Kultur, weiterhin mit der Wissenschaftsgeschichte des
betreffenden Raumes und mit der Kulturgeschichte der
hinter dem kulturellen Erbe stehenden Ethnien, soweit
sie sich feststellen lassen. Im folgenden Kapitel wendet
sich der Autor der peruanischen Südküste zu. Ein beson
ders reichhaltiger Abbildungsteil entspricht hier der Fül
le des großflächigen Gräberfeldern entnommenen Kul
turgutes, das sich wegen der günstigen klimatischen Ver
hältnisse bis in unsere Zeit so ausgezeichnet erhalten hat.
In dem sich anschließenden Teil »Vom Naturvorbild zur
Abstraktion« geht der Verfasser zunächst auf Tiahuana-
co ein. In stilistischer Hinsicht hätte Anton auf diesen
Seiten eine stärkere Trennung zwischen Tiahuanaco und
Huari vornehmen sollen. Nach einem kurzen Eingehen
auf Moche bzw. Mochica macht er mit den zentralperu
anischen Lokalstilen bekannt, denen er im nächsten Teil
»Götter, Geister, Tiermotive« im Hinblick vor allem auf
Chancay breiten Raum gibt. Mit Chimü leitet der Verfas
ser dann über auf »Das Imperium der Inka«, das das
letzte Kapitel des Buches einnimmt. Die Beschreibung
verschiedener Kunstäußerungen ist hier besonders inten
siv mit Ausführungen über das gesellschaftliche Leben,
über den politischen Aufbau des Inka-Staates und die
Glaubensvorstellungen verbunden worden. Dabei konn
te Anton nun auch auf die Zeichnungen des Huaman
Poma de Ayala zurückgreifen und etliche Details aus der
Inka-Kultur näher erläutern. Es folgt der Anhang mit
Anmerkungen (Pos. 1-25), Bilderläuterungen (Pos.
1-183), einer Zeittafel, Zeichnungen zu den »geläufig
sten Webtechniken« (1-7), einem Literaturverzeichnis,
einer Karte der bekanntesten Fundplätze und einem
zweiseitigen Register.
Manche Ausdrücke, die zwar recht gut klingen, hätte
Anton dennoch lieber vermieden, so zum Beispiel »kul
turelle Evolution«, wird damit doch unzulässigerweise
eine Entwicklung aus der Biologie vorgetäuscht, die es in
der Kulturgeschichte so nicht gibt. Was die altperuani
sche Historie anbelangt, hätte er besser einzelne Verall
gemeinerungen unterlassen, auch wenn er sich mit sei
nem Buch an einen größeren Leserkreis wendet. Die
panperuanischen Expansionen beispielsweise sind durch
aus nicht alle auf die »Verbreitung neuer religiöser Ide
en« (S. 18) zurückzuführen. Dies trifft wahrscheinlich
lediglich auf Chavin zu, nicht aber auf Huari und schon
gar nicht auf den dritten panperuanischen Horizont (In
ka). Was die zweite panperuanische Ausdehnung be
trifft, so wird seit geraumer Zeit treffender von Huari
bzw. Wari gesprochen.
Auch bestimmte Vereinfachungen wären zweckmäßiger
weise unterblieben, so die Zweiteilung der »peruani
schen Kunst« in eine realistische und eine abstrakte
»Tendenz« (S. 19). Ähnliches läßt sich über Vergleiche
mit kurzfristigen Stilen in unserer zeitgenössischen Male
rei sagen. Zwar sind wir im Denken unserer Zeit verwur
zelt - was bleibt uns übrig? -, doch sollten wir unsere
Normen und Schemata nicht auf Verhältnisse übertra
gen, die 1000 bis 3000 Jahre zurückliegen. Bei der nach
wie vor unsicheren Deutung vieler Phänomene im alten
Peru, bedingt durch die nahezu ausschließlich archäolo
gische Basis wissenschaftlicher Erkenntnis, bleiben Spe
kulationen nicht aus. Sie sollen auch nicht völlig beiseite
geschoben werden, müssen jedoch als solche kenntlich
gemacht werden. Anton vergißt an manchen Stellen, in
diesem Sinne zu handeln.