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DIETER KUHN
Tod und Beerdigung im chinesischen Altertum
im Spiegel von Ritualtexten und archäologischen Funden
1. Zum Verständnis von Tod und Beerdigung
2. Tod und Beerdigung als ritualisierte Ordnung
Zur Hierarchie im Grabkult
Die leibliche Ausstattung der Toten
Grabbeigaben und Geistergeräte
3. Die Grabentwicklung im Liji im Licht archäologischer Funde
4. Die konfuzianischen Ritualtexte und die Gräber der Han-Zeit
Kreativität im Grabbau der Han-Zeit
Die gesellschaftliche Aufgabe des Grabes in der Han-Zeit
5. Nachwort
(Liste der chinesischen Schriftzeichen: S. 246-248; Tafeln 1 -4:5. 249-251;
Abb. 1-40: S. 252-267)
1. Zum Verständnis von Tod und Beerdigung
In der gesamten Menschheitsgeschichte lagen dem Totenritual, der Beerdigung von
Verstorbenen in Gräbern und den Beerdigungsritualen Sitten [li al ] und Bräuche [su a2 ]
zugrunde, die auf kulturelle und religiöse Vorstellungen zurückgeführt werden kön
nen. In dieser Untersuchung wird das vor-buddhistische Verständnis der Entwick
lung von Totenritual, Grabkult, Bestattung und Grab vor allem im ersten Jahrtausend
v. Chr. in China so nachgezeichnet, wie es sich aus den frühen Quellentexten ermit
teln läßt. Einige der Beschreibungen und Vorstellungen im Liji a3 [Aufzeichnungen
der Riten] [ 1 ] und Yili a4 [Etikette und Riten] [2] stammen bereits aus den frühen Jah
ren der Zeit der Streitenden Reiche (463-221) in der Zhou-Dynastie (1045-221
v. Chr.), doch kompiliert wurden die Werke in der Han-Zeit. [3] Wegen ihrer Jahr
hunderte währenden Verbindlichkeit in Fragen der Ethik und Moral werden diese
Werke nach herkömmlichem chinesischem Verständnis der konfuzianischen Litera
tur zugerechnet.
Vergleicht man die archäologisch geöffneten und erforschten Gräber von der Zeit des
Neolithikums in China (ca. 6000-2000 v. Chr.) bis zur Periode des Frühlings und
Herbstes (770-464 v. Chr.) in der Zhou-Zeit (1045-221 v. Chr.) mit den Aufzeich
nungen zu Beerdigungen und Gräbern in den erhaltenen frühen Quellentexten, so
gelangt man zu dem Ergebnis, daß bereits die chinesischen Gelehrten der Periode der
Streitenden Reiche (463-221 v.Chr.) und der Han-Dynastie (206 v.Chr-220
n. Chr.) keine einheitliche oder gesicherte Vorstellung mehr von den Gräbern und den
Bestattungssitten ihrer Vorfahren hatten. Viele Angaben entsprangen einem Ver
ständnis von Gelehrsamkeit und Belehrung, das offensichtlich keines inhaltlichen
Belegs der Glaubwürdigkeit bedurfte. Da sich verschiedene Traditionen über Jahr
hunderte untrennbar vermengt hatten, beruhte ihr Inhalt oftmals auf Hörensagen und
fußte somit eher auf interpretativen theoretischen Vorstellungen als auf tatsächlicher,
auf Fakten beruhender historischer Kenntnis um die vergangene Entwicklung. Wie
im vierten Kapitel noch ausgeführt wird, entsprachen die Vorstellungen von Begräb
nis und Grab den Projektionen einer konfuzianischen Ordnung, wie sie die konfu
zianischen Gelehrten der Han-Zeit entgegen besserem Wissen in der Han-Zeit pro
pagierten. Obgleich aus diesem Grund viele Aussagen fragwürdig sind, müssen sie
hier vorgestellt und erörtert werden, denn die Ritualwerke wurden bis zum Ende des
Kaiserreiches im Jahr 1912 diskutiert und interpretiert, ohne jemals in ihrem
Anspruch auf gesellschaftliche Verbindlichkeit ernsthaft und mit Konsequenzen hin
terfragt zu werden. Sie galten immer als verbindliche Richtlinien. [4] Doch abgese
hen von den Diskrepanzen zwischen den Angaben zu Särgen und Gräbern im Schrift-