Skip to main content
Page Banner

Full Text: Anthropos, 69.1974

Analecta et Additamenta 
Zur Wissenschaftstheorie der Ethnomedizin. - Obwohl es nicht neu ist, interdiszi 
plinär zu arbeiten, wird seit einigen Jahren von interdisziplinärer Forschung als von 
etwas Neuem gesprochen. „Wenn Alexander von Humboldt reist“, soll ein französi 
scher Chemiker gesagt haben, „setzt er eine ganze Akademie in Bewegung“. Humboldts 
Konzept von interdisziplinärer Forschung unterscheidet sich von dem, was sich heute als 
modern und zweckmäßig anbietet. Charakteristisch für die herrschende Auffassung von 
interdisziplinärer Forschung ist einmal, daß sie als Team-Arbeit gesehen wird, ja, daß 
man annimmt, Forschungsprojekte, die den Einsatz von Forschergruppen erfordern, 
führten überhaupt erst zu ihr hin. Zum anderen — und das ist in der Tat neuartig - sieht 
man die interdisziplinäre Zusammenarbeit heute vornehmlich als organisatorisch-tech 
nisches Problem. 
Die fortschreitende Spezialisierung - so Helmut Schelsky, Initiator des Zentrums 
für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld - mache eine Re-Integration der 
Spezialwissenschaften durch interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig. Daß diese 
Notwendigkeit mit der Intention, die Effizienz der wissenschaftlichen Arbeit zu steigern, 
begründet werden kann, ist nicht zu bezweifeln. Offen bleibt die Frage, wohin eine solche 
fortlaufend gesteigerte Wirksamkeit und Perfektion des wissenschaftlichen Tuns führt. 
Der Spezialist, der mit anderen Spezialisten im Team zusammenarbeitet, wird sich darüber 
kaum Gedanken machen. 
Das Konzept von interdisziplinärer Forschung, das heute weitgehend und offiziell 
gebilligt wird, ist einseitig an der Spezialisierung und Arbeitsteilung des Wissenschafts 
betriebes orientiert. Die Spezialwissenschaften sollen durch betriebliche, organisatorische 
und technische Maßnahmen und Einrichtungen zusammengeführt werden. Insbesondere 
an den Einsatz von Computern und das Vordringen der Kybernetik werden Hoffnungen 
geknüpft, die auf Verbindung der Wissenschaften untereinander abzielen. Diese Hoff 
nungen muten utopisch an, denn ein Computer dient dazu, technisch aufbereitetes 
Wissen, Informationen zu speichern und auf Abruf von sich zu geben, die Einheit der 
Wissenschaften dagegen, wie Wilhelm von Humboldt sie vertrat und sein Bruder 
Alexander sie praktizierte, geht von der Suche nach Wahrheit aus. Sie kann sich zwar 
im Wissenschaftsbetrieb entfalten, nicht aber durch den Wissenschaftsbetrieb hervor 
gebracht werden. Der Wissenschaftsbetrieb, den wir von der Wissenschaft, sofern s ie 
sich als Wahrheitsfindung versteht, zu unterscheiden haben, beginnt, mit der Zunahm 6 
der technischen Hilfsmittel und dem Ausbau der Wissenschaftsbürokratie großbetrieb- 
liehe Züge anzunehmen. Nicht nur werden die Universitäten nach Gesichtspunkten orga 
nisatorischer Zweckmäßigkeit neu geordnet, aufwendige Großwissenschaften, Sonder- 
forschungsbereiche und Schwerpunktforschungen eingerichtet, sondern überhaupt ^ 
eine Umwandlung von Wissenschaft in Technik zu beobachten. „Sonderforschung 3 
bereiche“, heißt es in einer Erläuterung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1972:14)» 
„sind langfristig institutionalisierte Gruppierungen von Forschern verschiedener 
Disziplinen aus wissenschaftlichen Hochschulen und anderen Institutionen (z. B. MAX'
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.