Analecta et Additamenta
Sprachanthropologie in Afrika
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Die Erforschung der afrikanischen Sprachen galt ursprünglich als eine Aufgabe der
Orientalistik. Erst seit Beginn dieses Jahrhunderts setzte sich die Auffassung durch, daß
dieser Zweig eine eigenständige Disziplin in Forschung und Lehre bilde. In der Folge
bürgerte sich dafür die Bezeichnung „Afrikanistik“ ein. Obwohl die Emanzipation des
Faches nun schon einige Generationen von Gelehrten zurückliegt, ist es bisher nicht
gelungen, eine Methodologie, das Kernstück einer jeden Wissenschaft, für die Afrikanistik
zu erarbeiten. Die Diskussion darüber, die an allen europäischen Zentren der Afrikanistik
geführt wird, steht ganz im Schatten übermächtiger Sachprobleme, die sich aus der
weiten Ausdehnung des Forschungsfeldes einerseits und der vergleichsweise geringen
Zahl von afrikanistischen Forschern andererseits ergeben. Auf Kongressen und in Ver
öffentlichungen hat der Austausch von Teilergebnissen bei weitem den Vorrang vor der
Einordnung dieser Ergebnisse in ein wissenschaftliches System oder gar in eine afrika-
nistische Methode. Der französische Afrikanist Maurice Houis ist erstmals in diese Lücke
vorgestoßen und hat mit seinem vorliegenden Buch einen Ansatz vorgeschlagen, wie
einige besonders aktuelle Teilbereiche der Afrikanistik in eine übergreifende Methode
integriert werden können k
Im folgenden soll zu einigen der von Houis geäußerten Thesen und Gedanken
Stellung genommen werden. Es geschieht dies vom Standort einer Afrikanistik aus, der
die Erforschung der afrikanischen Sprachen nicht Endzweck im Sinne des Forschungs
ziels einer speziellen Abteilung der allgemeinen Sprachwissenschaft ist, sondern die sich
wissenschaftlich mit afrikanischen Sprachen befaßt, um über den Weg der Sprachstruk-
turen und Sprachinventare zu Erkenntnissen und Einblicken in die Kulturen, Gesell
schaften, Denkweisen und Geschichtsabläufe der afrikanischen Völker zu gelangen. An
der von Houis gewählten Bezeichnung „Sprachanthropologie“ (anthropologie linguistique)
wird sichtbar, daß die Standorte möglicherweise verschieden, auf jeden Fall aber eng
benachbart sind.
Houis hat seine Abhandlung in sechs Kapitel eingeteilt. Diese stehen vom Inhalt
her jedoch nur in einem losen Zusammenhang. Man kann sie beinahe als individuelle
Aufsätze zu verschiedenen Teilaspekten der Afrikanistik auffassen. Da Houis offenbar
sowohl den Fachkollegen als auch den interessierten Laien ansprechen wollte, sind seine
Gedanken zur Methodologie häufig mit reinen Sachinformationen durchsetzt. Hierin
1 Maurice Houis, Anthropologie linguistique de l’Afrique noire. (Le Linguiste,
11.) 232 pp. in 8°. Paris 1971. Presses Universitaires de France. Prix; 15 F.