Buchbesprechungen Allgemein
179
schaftlicher Seite wieder. Wenn wir uns stets die immense
Zeitspanne vor Augen führen, in der die Felsbildkunst
insbesondere Westeuropas entstanden ist, liegt es eigent
lich nahe, dass es für die vielen Bilderhöhlen und ihre un
terschiedlichen Darstellungen ebenfalls unterschiedliche
Hintergründe und Ursachen und somit Erklärungen gibt.
Über alle kontrovers diskutierten und ungelösten Fragen
hinaus besteht jedoch Einigkeit in der realistischen An
nahme, dass der größte Teil der paläolithischen Felsbild
kunst eine religiöse Basis hat.
Insgesamt gesehen bleibt festzuhalten, dass Leakey über
seine bis dahin erschienenen Publikationen hinaus ein
überaus interessantes und verständlich geschriebenes
Buch vorgelegt hat, das trotz einzelner Ungenauigkeiten
und weniger nicht so exakt zutreffender Annahmen durch
seine umfassende, über die engere Urgeschichtsforschung
hinausweisende Perspektive besticht.
AXEL SCHULZE-THULIN
LEE, RICHARD B. / DALY, RICHARD
(HRSG.):
The Cambridge Encyclopedia of Hunters and
Gatherers. Cambridge / England; Cambridge
University Press, 1999. 511 Seiten, 128 SW-
Fotos, 16 Karten, 5 Tabellen.
ISBN 0-521-57109-X
Der Mensch ist Jäger und Sammler - bis heute. Ver
gleichen wir nämlich die zurückliegenden wenigen Jahr
tausende, als er im Nahen Osten die ersten zaghaften
Schritte in Richtung Produktionswirtschaft unternahm,
mit der Menschheitsgeschichte insgesamt, so sind diese
verflossenen rund zehntausend Jahre kaum einer Er
wähnung wert. Dies natürlich nur in einer Zeitlängen
betrachtung. Im Resultat hat die dem ersten der erwähn
ten Schritte folgende Entwicklung die Welt verändert. In
etlichen Bereichen unseres Inneren verharren wir jedoch
auf einem Stand, der über die vergangenen zehntausend
Jahre hinaus weit in die Vergangenheit zurückreicht. Dies
ist bereits in zahlreichen Publikationen dargestellt wor
den. Im Gegensatz dazu gehl es in dem vorliegenden
Buch um die sichtbare Welt der Jäger und Sammler. Und
da gehört das Meiste der Vergangenheit an. Dennoch ist
das beeindruckend umfangreiche Werk von Lee und Daly
kein historisches. Zwar wird der vergangenen Zeit mit
teilweise detaillierten ethnohistorischen Passagen breiter
Raum eingeräumt, doch stehen die heutigen letzten
Jäger/Sammler-Ethnien im Vordergrund, was allerdings
die begründete Frage aufwirft, ob wir denn noch in jedem
Fall wirklich von Jägern und Sammlern sprechen dürfen.
Insbesondere im letzten Abschnitt des Buches wird aus
giebig auf heutige Situationen solcher Ethnien eingegan
gen, ohne dass sich den Autoren allerdings die aufgewor
fene Frage stellt.
Im Klappentext werden drei Teile genannt, in die das
Werk untergliedert sei, doch wird der Leser unter Be
rücksichtigung der Gewichtung der einzelnen Abschnitte
nicht umhin können, höchstens eine Zweiteilung zu er
kennen. Und so ist auch die Gliederung angelegt. Nach
einem Vorwort und einer Einführung in den Gesamttext
werden im ersten längenmäßig überragenden Teil
„Ethnographies“ (23-371) so genannte Fallstudien vorge
legt, gegliedert in sieben Großräume der Erde, die nach
folgend aufgeführt werden, wobei ich nur jeweils eine be
sonders markante ethnische Gruppe erwähne, ansonsten
lediglich die Zahl der besprochenen Einheiten festhalte.
Jeder dieser regionalen Abschnitte enthält eine gesonder
te Einführung sowie einen archäologischen Überblick,
die beide bei der Zahl der vorgestellten Ethnien nicht
berücksichtigt wurden. Jeder Artikel schließt mit einem
Quellenverzeichnis unterschiedlicher Länge. Es beginnt
mit Nordamerika (acht Gruppierungen; Beispiel: James
Bay Cree). Hieran schließt sich Südamerika an (sechs
Gruppierungen; Beispiel: Ache). Es folgen Nordeurasien
(neun Gruppierungen; Beispiel: Chukchi und Yupik),
dann Afrika (acht Gruppierungen; Beispiel: Mbuti). Da
nach kommen Südasien (sieben Gruppierungen; Beispiel:
Paliyan) und Südostasien (sechs Gruppierungen; Bei
spiel: Batak). Den Schluss dieses Teils bildet Australien
(neun Gruppierungen; Beispiel: Warlpiri).
Der zweite Teil „Special topic essays“ (375-492) ist in drei
Abschnitte unterteilt. Der erste enthält vier Aufsätze.
Den Anfang bildet das aus europäischer Sicht notwendi
gerweise schiefe und oft verfälschte Bild „des Eingebo
renen“ der Vergangenheit, wie wir es aus unzähligen
Publikationen und Berichten kennen. Im zweiten Beitrag
werden Gedanken zur Archäologie und Evolution von
Jägern und Sammlern wiedergegeben, wobei unter Evo
lution die Entwicklung des technischen Besitzstandes ab
einer Zeit vor 2,5 Millionen Jahren bis zu den gegenwär
tigen wenigen jägerischen Rückzugsgebieten in Afrika
verstanden wird. Der dritte Artikel enthält beschönigen
de Ansichten über das Leben von Jägern/Sammlern - der
Leser wird an das längst überwunden geglaubte Bild vom
„edlen Wilden“ erinnert - sowie eine verbogene Meinung
über wirtschaftliche Grundlagen und Notwendigkeiten,
gespickt mit zeitgeistigen Modernismen. Mit dem vierten
und letzten Aufsatz dieses Abschnitts über diverse
Voraussetzungen und Bedingungen gesellschaftlicher In
teraktionen wird der Leser dann wieder versöhnt. Diese
vier Abhandlungen sollen wohl der Einführung in den
folgenden Abschnitt mit insgesamt sechs Beiträgen die
nen, die von der Darstellung verschiedener Geschlechter
rollen über diejenige religiöser Gegebenheiten im weite
sten Sinne bis zur Übersicht über zeitgenössische Kunst
sowie Gesundheitsregeln bei Jäger/Sammler-Gemein-
schaften reichen. Der dritte und letzte Abschnitt dieses
zweiten Buchteils enthält fünf Aufsätze, deren Themen
sich um rezente und heutige Situationen von Einge
borenengruppen drehen (unter einer vornehmlich angel
sächsisch ausgerichteten Auflistung von Unterstützungs-
Organisationen für Autochthone). Hier werden unsinnige
Berichte über „bis jetzt nicht entdeckte Steinzeitgrup
pen“ (der Tasaday-Fall auf den Philippinen in den frühen
1970er Jahren) ebenso beleuchtet wie die koloniale
Aggression europäischer Staaten mit Geno-, Ethno- und
Ökozid sowie der gegenwärtige Kampf vieler Ethnien
weltweit um ihr Überleben als eigenständige Gruppen.
Ein neunzehnseitiger Index beschließt den Band.
Als Enzyklopädie würde ich das umfangmäßig bewun
dernswerte Werk nicht gerade bezeichnen, mussten sich