Buchbesprechungen Allgemein
Der letzte Beitrag „Islamische Stimmen zur Zukunft“ von
Christian W. Troll illustriert anhand des Darstellungsstils
die Grundkonzepte des interreligiösen Dialoges. Der
Autor lässt die Stimmen islamischer Theologien selbst
sprechen, um so die Polyphonie der islamischen Zukunft
herauszuhören. Dieser überzeugend dialogische Ansatz
bietet einen interessanten Einblick in die Vielfalt islami
scher Theologien und Zukunftsentwürfe. Er würde aller
dings an analytischer Kraft gewinnen, wenn neben der re
ligionsinternen Betrachtungsweise auch eine
religionsexterne Einschätzung des Dargestellten folgen
würde.
Insgesamt erweist sich der Sammelband für einen am
„Dialog der Religionen“ interessierten Leser als sehr
empfehlenswert. Auch ein Leser, der sich offen den
Fragen nach kultureller und religiöser Diversität,
Religionswandel und Globalisierung stellt, wird hier an
regende Denkanstöße finden.
Lidia Guzy, Ethnologin und Religionswissenschaftlerin,
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethno
logie der Freien Universität Berlin, arbeitet derzeit an ih
rer Dissertation zu einer asketischen Reformbewegung
im indischen Bundesstaat Orissa.
LIDIA GUZY
MÜNZEL, MARK / SCHMIDT, BETTINA
E. / THOTE, HEIKE (HRSG.):
Zwischen Poesie und Wissenschaft - Essays in
und neben der Ethnologie. Reihe Curupira,
Band 9. Marburg: Förderverein „Völkerkunde
in Marburg“ e.V, 2000. 359 Seiten, SW-Ab-
bildungen.
ISBN 3-8185-0290-0, ISSN 0945-8476
Die Krise der Repräsentation suchte die Sozial- und
Kulturwissenschaften schon vor einigen Jahrzehnten
heim. Sie hat auch innerhalb der Ethnologie die Legi
timität und die Angemessenheit ethnologischer Dar
stellungen in Frage gestellt, hat die „Writing Culture“-
Debatte und letztlich die interpretative bzw. literarische
Wende innerhalb der ethnologischen Gelehrtenwelt her
vorgebracht. Inzwischen werden Veranstaltungsreihen
und Forschungsprojekte dazu hierzulande sogar von der
Volkswagenstiftung gefördert: seit letztem Jahr liegt ein
interessanter Sammelband des Fördervereins „Völker
kunde in Marburg“ e.V. vor, herausgegeben von Mark
Münzel, Bettina E. Schmidt und Heike Thote, in dem
„Zwischen Poesie und Wissenschaft - Essays in und ne
ben der Ethnologie“, so der Titel des Curupira-Bandes,
enthalten sind. Die Essays beziehen in interdisziplinärer
Weise Stellung zur „Ethnopoesie“ und verstehen sich als
Annäherung an den Beschriebenen und Beschreibenden.
Es sei ein „Drahtseilakt zwischen wissenschaftlichem und
freiem Schreiben“ (S.7), so die Herausgeber, ein Experi
ment, das sich zwischen Ethnologie und Poesie bewegt.
Neben der Erweiterung der Ethnologie durch die Ethno-
ästhetik - auch im Bemühen um eine „authentischere“
Repräsentation des Fremden - ist es ihnen ein Anliegen,
den Graben zwischen den beiden Richtungen der ethnoli-
terarischen Diskussion zu überbrücken: zwischen „ethno-
poetics“ einerseits, der Wissenschaft indigener Poesie,
und zwischen „ethnopoesie“ andererseits, der Poesie der
Ethnologen. Es wird angestrebt, die Literatur der Frem
den und der Ethnologen zusammenzubringen. Ent
sprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse, nicht alle
gleich erhellend oder fesselnd, aber alle auch deutlich
vom persönlichen Schreibstil des Autors geprägt.
So sollte man sich zunächst die analytischen Gedanken
von Hans-Jürgen Heinrichs, dem Initiator des For
schungsprojekts, zu Gemüte führen, da er Grundlegendes
zu poetischem in Abgrenzung zu wissenschaftlichem
Schreiben reflektiert. Heinrichs stellt in seinem Aufsatz
„Ethnopoesie oder: Das .Unmögliche’ sagen“ (S.llf) ver
schiedene Werke von Schriftstellern und akademischen
Pionieren vor, die alle den fremdkulturellen Raum mit
poetisch-literarischen Mitteln zu erschließen und zu ver
mitteln suchten. Idealerweise verschwinden schließlich
die Grenzen zwischen „Ethno“ und „Poesie“, werden
neue Potentiale sichtbar, sowohl bezüglich der Form als
auch des Gegenstandbereiches.
In fast kriminalistischer Manier - er spricht von Indizien
und mangelnden Beweisen - nähert sich Mark Münzel ei
nem europäischen Reisenden der frühen Kolonialzeit:
Hans Staden, der 1557 nach seiner Befreiung und
Rückkehr nach Marburg erstmals einen Augenzeugen
bericht über das indianische Volk der Tupinambä ablegte.
Aber warum illustriert Staden zwar „Die Schönheit des
Arara-Papageien im vollen Federschmuck“, so der Titel
Münzeis Aufsatzes (S.33f), erwähnt ihn jedoch mit keiner
Silbe in seinem Bericht - ebenso wenig wie die Liebschaft
zur Häuptlingstochter? Unter Einbeziehung seiner eige
nen Eindrücke in Südamerika und denen anderer
Reisender - auch die Levi-Strauss’ (welcher durch das
ganze Buch geistert) - und durch geschickte Mythen- und
Geschichtsanalyse gelingt Münzel die Lösung des
„Falles“, dessen Ergebnis hier aber nicht verraten wird.
Auch Michael Kraus hat in seinem Aufsatz „Zwischen
fröhlicher Teilnahme und melancholischer Beobachtung
- Erwartungen und Enttäuschungen in wissenschaftlichen
Reiseberichten aus dem östlichen Südamerika“ (S.63f)
zwischen den Zeilen historischer Bücher gelesen und ei
nen kurzweiligen Vergleich zwischen drei frühen wissen
schaftlichen Reisenden verfasst. Anknüpfungspunkt ist
für ihn die Langeweile und die Enttäuschung, die sich als
Melancholie vor allem in den tagebuchartigen Reise
berichten zeigt. Mit Hilfe einer pointierten Analyse ge
lingt es Kraus zu zeigen, warum sich zum ersten Claude
Levi-Strauss’ Klassiker „Traurige Tropen“ tatsächlich als
eine einzige Kette von Enttäuschungen liest. Bei Theodor
Koch-Grünberg hingegen findet Kraus eine humorvolle
Verarbeitung von Enttäuschung und eine einfühlsame
Begegnung mit den Fremden, die sich schließlich auch in
verwertbaren ethnografischen Details niederschlägt. Max
Schmidt, Jurist mit einer großen Portion Abenteuerlust,
scheiterte zwar in seinen Reiseplänen, gewinnt aber nach
Kraus Erkenntnisse durch die Reflexion seiner enttäu
schenden Erlebnisse. Am Ende fragt Kraus seine Leser,
warum gerade Levi-Strauss’ pessimistischer Blick auf die
menschliche Realität zu einem Meilenstein der litera
risch-wissenschaftlichen Produktion der Ethnologie wer
den konnte.
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