TRIBUS 50,2001
Sprachen. Das verbindet uns, den jubilierenden Geo
graphen und den .preissingenden’ Linguisten“ (Jung-
raithmayr 215). Anhand einer auf der Brockhaus
Enzyklopädie (1970, Bd. 11: 96) beruhenden Gleichung
zwischen Landschaft und Satz sowie der Transposition
des Begriffs der Erosion führt Jungraithmayr seine lingui
stischen Reflexionen zur Sprache der Tangale im Gebiet
Gombe/Nordnigeria aus.
Indirekt hinterfragt der Autor mit seinem Vorgehen die
in vielen Beiträgen verfolgte Interdisziplinarität. Oft
scheinen dem Leser aus dem Fach Ethnologie Hinweise
zur Sozialordnung ungenügend oder unbefriedigend -
z.B. bei Platte und Thiemeyer in Bezug auf Brunnen
bauer und Auftraggeber oder in Bezug auf Bau und
Nutzungsrechte der Getreidespeicher. Unverständnis ru
fen Arbeitshypothesen wie jene von Mischung und
Mülller-Haude hervor: „Die Siedlungsweise einer
menschlichen Gruppe muss den Gegebenheiten des
Naturraums, von denen ihre Existenz abhängt, Rechnung
tragen...“ (Mischung und Müller-Haude 101), vor allem,
da sie in den folgenden Sätzen wieder relativiert (wenn
nicht zurückgenommen) wird. Ähnlich ergeht es dem
Leser bei Hans-Jürgen Sturms Feststellung, wonach zur
„Lösung der anstehenden offenen Fragen eine verstärkte
Zusammenarbeit von Geistes-, Sozial- und Naturwissen
schaftlern erfolgen“ müsse (Sturm 172).
Doch auch hinsichtlich einzelner Fachdisziplinen seien ei
nige Anmerkungen getroffen. So verwundert, dass Brau-
kämper zwar die emischen Hauptkategorien der Weiden
anführt, nicht aber jene emischen Unterscheidungen, die
die Herden betreffen. Hans Zimmermann nennt in Bezug
auf seine Ausführungen zu Opfer und Gabe zwar Marcel
Mauss’ „Essai sur le don“ (1924), es lassen sich leider kei
ne Angaben zu neuerer Literatur zu diesem Thema fin
den, wie Marilyn Strathern „The Gender of the Gift“
(1988) oder Anette Weiner „Inalienalble Possessions:
The Paradox of Keeping-While-Giving“ (1992). Bei
Michael Schlottner gehen Jean-Loup Amselles „Logique
métisse“ (1990) und die rezente angelsächsische Literatur
zu Ethnizität ab. Schließlich scheinen die immer wieder
kehrenden Kategorien - hier Naturraum, da Kulturraum
- vereinfachend und mitunter schwerfällig. Konzepte aus
der „anthropology of landscape“ könnten zu feineren
Unterscheidungen beitragen - siehe etwa Barbara Bender
(ed.) „Landscape: Politics and Perspectives“ (1993).
Zweifelsohne ist die Festschrift für Günter Nagel da am
intensivsten, wo aus gut fundierten einzelnen Fächern
zum gemeinsamen Anliegen beigetragen wird. In dieser
Hinsicht lässt sich die mögliche Kapazität von Erkennt
nisgewinn und Breite von Erklärungsmöglichkeiten erah
nen.
THOMAS FILLITZ
WOLFGANG CREYAUFMÜLLER:
Das Agadeskreuz: Strukturelle Bestandteile
der Form der Schmuckanhänger vom Typus
„Agadeskreuz“ und seiner Modifikationen.
Stuttgart: Verlagsbuchhandlung Creyauf-
müller, 1998. 106 Seiten, 61 SW-Abbildungen.
ISBN: 3-9801032-0-X
Der Silberschmuck der Tuareg ist in vieler Hinsicht unter
suchungswürdig. Er interessiert den Schmuckliebhaber
wegen seiner Schönheit und seines Formenreichtums, den
Kulturhistoriker im Hinblick auf seine historischen
Ursprünge und seine Verbreitung, den Tourismusforscher
im Hinblick auf die Zusammenhänge von Tourismus und
Schmuckentwicklung. Der Ethnologe sollte sich für all
diese Fragen interessieren, aber auch für die Handwerker,
die den Schmuck hersteilen und die Träger des Schmucks:
Wer trägt welchen Schmuck bei welchen Gelegenheiten,
und was ist die materielle, symbolische und ästhetische
Bedeutung des Schmucks.
Das schmale Bändchen von Creyaufmüller ist die erwei
terte Fassung eines 1979 veröffentlichten Aufsatzes. Der
Autor hat die neuere Literatur eingearbeitet, vor allem
aber von den Sammlungen, dem Bildmaterial und den
Auskünften Gerhard Göttlers profitiert.
Das zentrale Thema von Creyaufmüller drückt der Un
tertitel aus. Auf der Basis von Sammlungen und Foto-
material untersucht er die Formen der sogenannten Tua
regkreuze, von denen das Agadeskreuz das bekannteste
ist. (Die Bezeichnung „Agadeskreuz“ (croix d’Agadez)
und die spätere Klassifizierung in 21 nach Orten benann
ten Kreuzen sind im übrigen koloniale bzw. nachkolonia
le Schöpfungen.) Es werden die drei Strukturkomponen
ten oberer Teil (kreisförmig), unterer Teil (mit
verschiedenen Grundformen) und die Form des End
knaufs berücksichtigt. Creyaufmüller geht auch kurz auf
Gravur und Punzierung ein. Beim oberen Teil unterschei
det Creyaufmüller 61, beim unteren 74 und bei den End-
knaufen 35 Klassen. Die Varianten werden in einer beige
fügten Großtabelle übersichtlich zusammengefasst.
Dabei wird deutlich, dass die Zahl der faktisch ausgeführ
ten Kombinationen beschränkt ist und die Hauptformen
über einen langen Zeitraum konstant bleiben. Es zeigen
sich aber auch Entwicklungen, die interessanterweise
auch in anderen Bereichen der materiellen Kultur (z.B.
Kamelsättel) parallel verlaufen.
Creyaufmüllers genuiner Beitrag bezieht sich auf die
Analyse der Formvariationen. Bezüglich der anderen
Fragen referiert er den Forschungsstand, der in allen Be
reichen zu wünschen übrig lässt. Mit Ausnahme der
Untersuchungen über Handwerker ist keine angemesse
ne ethnologische Feldforschung geleistet worden. Wir
wissen etwas über die Herstellung des Schmuckes, aber
nichts Genaueres über die Verwendung bei den Tuareg.
Wer wann wie welchen Schmuck trägt, darüber gibt es nur
vage Vermutungen, aber keine solide Forschung. Nur
zwei Fotos, 1905 bzw. 1906 publizierte Abbildungen, zei
gen den Schmuck zusammen mit den ihn tragenden
Personen.
Die Verbreitung des Schmucks innerhalb und außerhalb
des Tuareggebietes ist wenig geklärt. Creyaufmüller weist