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Buchbesprechungen Südsee
Hierbei handelt es sich um Zusammenfassungen von
früher Geschriebenem unter etwas geänderten Gesichts
punkten. Interessant ist insbesondere der letztgenannte
Abschnitt. Lourandos zieht hier Vergleiche zur Besie
delung der „Alten Welt“, womit er Kleinasien und Eu
ropa meint. Es wird nicht recht klar, ob er mit „Er
scheinen“ (des Menschen) nur die erste Besiedelung der
genannten Großräume meint, oder ob er in sein „Er
scheinen“ auch den anthropologischen Aspekt einbe
zieht. Auf Seite 330 muss die angegebene Quelle
„Gamble 1986a“ (nicht 1986b) heißen. Gefährliches
Terrain betritt der Verfasser, wenn er anthropologische
Ähnlichkeiten zwischen den Neandertaler-Sapiens-
Mischformen der Levante (dieses Thema ist zudem noch
nicht endgültig abgehakt) aus der Zeit der australischen
Erstbesiedelung und den pleistozänen Australiern sieht
(330). Exakt spricht er kurz darauf von morphologisch
„gemischten“ Populationen für Australien zwischen
40.000 und 35.000 v.h. (331). Es sind besonders diese Fel
der, in unserer Zeit teilweise emotional besetzt, die weite
rer Forschungen bedürfen.
Je mehr wir mit immer entwickelteren Methoden, und
dies lässt sich für alle wissenschaftlichen Disziplinen be
haupten, in die Welt der historischen, anthropologischen,
kulturellen Zusammenhänge eindringen, desto mehr wird
sichtbar, dass ein vorschnelles Zurückgreifen auf angeb
lich „zurückgebliebene“ Ethnien (und seien sie auch von
der weltgeschichtlichen Entwicklung über große Zeit
räume abgeschnitten gewesen), um sie als Vorbilder oder
Anschauungsmaterial urgeschichtlicher Gegebenheiten
in Europa zu benutzen, nachdrücklich zurückgewiesen
werden muss. Der in der urgeschichtlichen Forschung
noch immer herumgeisternde Begriff der „ethnologi
schen Parallelen“ sollte nun endlich ad acta gelegt werden
und einer sehr diffizilen Beurteilung der Vorgehensweise,
zum Beispiel mit Hilfe der Voraussetzungen des Ethno
logisch-Prähistorischen Vergleichs, Platz machen.
Lourandos hat ein hochinteressantes, umfassendes, ja in
terdisziplinäres (geografisch, archäologisch, ethnolo
gisch) Werk vorgelegt, das sicherlich Standardcharakter
besitzt und zahlreiche Anregungen zu weiteren For
schungen, in vielen Bereichen ein Erfordernis, bietet. Es
sollte in jeder Fachbibliothek vertreten sein.
AXEL SCHULZE-THULIN
STEPHENSON, NIGEL A.:
Kastom or Komuniti. A Study of Social
Process and Change among the Warn People,
East Sepik Province, Papua New Guinea.
(Basler Beiträge zur Ethnologie, Band 40).
Basel: Ethnologisches Seminar der Universität
und Museum der Kulturen in Kommission bei
Wepf & Co. AG Verlag, 2001. 460 Seiten, 27
SW-Fotos, 15 Diagramme, 8 Tabellen, 4 Kar
ten.
ISBN 3-85977-202-3
Die Publikation besteht aus zwei Teilen: einer Dar
stellung der sozialen Organisation der Warn (Social Or
ganisation) und der Beschreibung sozialen, wirtschaftli
chen und kulturellen Wandels in Warengeme, einem der
Wam-Dörfer (The Village in Change). In der Darstellung
traditioneller sozialer Formen und gesellschaftlicher Pro
zesse bezieht Stephenson sich auf Giddens Theorie der
Struktur bzw. Strukturiertheit (structuration) sozialer Sys
teme. Er betont deren räumlich-zeitliche Dimension, die
in der sozialen Praxis durch die Handlungen einzelner
Akteure verändert, geformt und aufrechterhalten werde:
„Action, or agency, is not only ongoing, a continuous flow,
it is also recurrent, i.e. it is patterned into habitual shapes
or forms and, through this, activities become social prac-
tices.“ (428). Zentrales Thema seiner Ethnographie ist so-
ziokultureller Wandel, insofern liefern Giddens akteur
zentrierter Ansatz und dessen Betonung der zeitlichen
Dimension einen brauchbaren theoretischen Rahmen für
Stephensons Untersuchung.
Kastom or Komuniti ist in erster Linie eine Ethnographie
und hier liegt auch die Stärke der Arbeit. Es ist weniger
die Darstellung des Verwandtschaftssystems, männlicher
Initiationsriten und dadurch geschaffener Beziehungen
oder des formalisierten Tauschs, also der traditionellen
Pfeiler der Wam-Gesellschaft, die das Buch interessant
macht. Die Stärke liegt im zweiten Teil, in dem der Autor
sehr detailliert die Verzahnung eines Wam-Dorfes mit der
weiteren es umschließenden (encapuslating) postkolonia
len Gesellschaft Papua-Neuguineas und des Weltsystems
beschreibt.
Es sind vor allem zwei Elemente, von Stephenson als
change movements bezeichnet, die für den Wandel sozia
ler Beziehungen und der Machtverteilung im Dorf sowie
für die dominante Definition von ‘Entwicklung’ von Be
deutung sind. Einerseits ist es eine millenaristische Be
wegung, die von der New Apostolic Church (NAC) auf
gesogen wurde, andererseits sind es die, von Stephenson
als bisnis movement bezeichneten, wirtschaftlichen Akti
vitäten der Warn.
Die New Apostolic Church trat in der östlichen Sepik
Provinz 1977 das erste Mal in Erscheinung, zu einem Zeit
punkt als eine frühere millenaristische Bewegung, die
Peli-Bewegung, in dem untersuchten Wam-Dorf durch
eine heftige Auseinandersetzung zwischen Anhängern
und Gegnern ein abruptes Ende gefunden hatte. Viele sa
hen das Kommen der NAC zu diesem Zeitpunkt als
Zeichen, dass die Kirche die Nachfolge - der Peli-Be-
wegung antreten würde. Ehemalige Anhänger wurden
Mitglieder, und Gegner schlossen sich eher der pragmati
schen ö/sn/s-Bewegung an, die um einige einflussreiche
Männer herum entstanden war.
Nach dem Krieg führten bisnis lida, innovative Männer,
die meist längere Zeit außerhalb des Dorfes gelebt und
gearbeitet hatten, den Anbau von cash crops (zunächst
Reis, dann Kaffee, zuletzt Kakao) ein und gründeten er
ste Kooperativen. In Warengeme gibt es sowohl individu
elle wirtschaftliche Aktivitäten einzelner Männer und
den Mitgliedern ihres Haushalts als auch kollektive Un
ternehmen, die von mehreren Haushaltsvorständen bzw.
einer ganzen Gruppe getragen werden. Diese legen
Ressourcen und Arbeitskraft zusammen und beginnen
ein Geschäft, machen einen Laden auf, organisieren den
Weiterverkauf von second /mnd-Kleidung aus Australien
oder den Transport von cash crops in die nächste Stadt.