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JOSEF DREXLER
Catos Hut: Zum Ideal der „Kühle“ in Weltbild und Anbau der
Bauern der kolumbianischen Karibikküste 1
Abstract
Grundlegende medizinische Konzepte der Bauern der kolumbianischen Karibik
küste finden sich auch im Feld- und Gartenbau wieder. Diese Vorstellungen und im
pliziten Handlungsweisen sind eine Widerspiegelung, Interpretation, Fortsetzung
und Festschreibung der historisch-politischen Gewaltwelle (violencia) Kolumbiens
auf politisch-religiöser Ebene. Die „kühle Hand“, Maxime im Anbau und sozialer
Verhaltensweise gegenüber den Mitmenschen, ist Ausdruck für normative, sozial
anerkannte Handlungsmuster. Kühle als zentrale Idee im Weltbild dieser Menschen
durchzieht sämtliche Lebensbereiche, über Kosmologie, traditionelle Medizin,
Menschenbild, Lebensphasen, sozialem Leben, Ernährungsweise und Hausanlage
bis hin zu traditionellen Garten- und Ackerbau(ordnungs)arrangements, die ideal
typisch im Sinne menschlicher ‘kühler’ Solidargemeinschaften interpretiert werden.
Gegenbild ist das „heiße Feld“, das wie „soziale Hitze“ und Gewalt durch Kühle ge
dämpft werden muss.
[keywords: Sinü-Kultur, Zenü, Kolumbien, Wirtschaftsethnologie, Ethnomedizin,
Weltbild]
Vorbemerkung
„Cato“ Catalino Pestana lebt in Sacana, einem Dorf im Hinterland der Costa Caribe
Kolumbiens, das etwa 800 Menschen zählt und unter der Gemeindeverwaltung von
Momil (politischer Verwaltungsbezirk Cordoba) steht. Der 74jährige Calo ist Bauer
- wie die meisten im Dorf betreibt er Landwirtschaft. Der Anbau ist subsistenzori
entiert, Überschüsse werden an den Handel verkauft. Seine finca (Landgut, d.h.
Haus mit Garten) ist ein „geplantes Wirrwarr“, nur scheinbar chaotisches Durch
einander (revueltillo), wie er selbst sagt, aus verschiedenen Obstbäumen (u.a.
Mango, Papaya, Orangen), Kochbananenstauden, Palmen und Nutzhölzern
(Guayacän, rohle, vara de humo), die sein traditionelles Haus aus Palmstrohdach
und Bambuswänden umgeben. Der Hausgarten geht über in die für die Region so
charakteristischen Mischanbaufelder aus Mais, Jams und Süßmaniok.
Catos Hut, oder: was Bilder dem Ethnologen erzählen
Eines frühen Morgens kam ich mit meinem indianischen Reisebegleiter Ivan aus
dem Küstenort Tolü angereist, um Cato zu besuchen. Es war neun Uhr, Cato lag in
der Hängematte, um sich von der schweren Feldarbeit auszuruhen. Bereits um sechs
Uhr früh beginnt er mit dem täglichen Kampf gegen das stets aufs Neue prächtig ge
deihende Unkraut auf dem Feld.
Seine älteste Tochter Dilia, die mit ihrem Mann Francisco zusammen mit Cato hier
lebt, servierte uns den frischen tinto (Kaffee), gebratene Eier und Kochbananen,
Reis und Bauernkäse. Auf einem gefällten mfltomüdn-Baumstamm (Gliricidia sepi-
um, Fabaceae) 2 neben dem Haus ruhte Catos Strohhut. zusammen mit seinem
Arbeitsgerät, der kleinen Machete (xoco) und den typischen Rindsledersandalen
(abarcas trespuntä). Dieses Bild verrät dem ethnologisch „geschulten" Auge, dem in
einer Kultur bereits bewanderten, ihr vertrauten Ethnographen ein Welt-Bild, be
ginnt ihm auf seine besondere Art und Weise zu sprechen: Der matarratön ist eine
„kühle“ Pflanze, deren Blätter in der traditionellen Heilkunst verwendet werden,
um den „Bösen Blick“ (mal de ojo) zu therapieren. Der böse Blick wird als
„Schrecklichkeit des Blicks“ (atrocidad de la vista) verstanden, den Menschen besit-