Volkslied - Schlager - Folklore
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und eine modifizierende und assimilierende Entwicklung könnte sie im
Laufe der Zeit auch von einem Kunstlied zum stilechten Volkslied werden
lassen. 26 Das wäre z. B. möglich bei den ausländischen Volksliedern, die
durch die Jugendbewegung des Wandervogels und durch den internatio
nalen Liedaustausch heutiger Jugendgruppen, den Klüsen untersucht hat,
in die schriftlichen und mündlichen Repertoires bestimmter Gruppen ge
langt sind. Aber nach unseren bisherigen Erfahrungen werden die Folk
lore-Lieder nur von wenigen vor vielen vorgetragen, und damit gehören
sie letztlich zu den deutschen Volkslieddarbietungen auf Feiern und
Schallplatten, die in ihren bearbeiteten Sätzen das Lied zum schönen,
aber toten Museumsstück machen. 27 Sie sind ein Dekorationsstück, das
nicht nur den Reiz des Fremdländischen bis Exotischen besitzt, sondern
auch als Repräsentation alter Volkskulturen gilt. Diese Dinge gelten auch
bei vielen Älteren, z. B. in der Möblierung ihrer Wohnungen, als chic und
als Zeichen für die eigene Kultur, während bei der Jugend sicher die von
Bose beobachtete Abwehr von der schablonenhaften Welt der Schlager
hinzukommt.
Während diese Frage einigermaßen anhand von Fakten beantwortet
wurde, kann meine Beantwortung der ersten nur auf hypothetischem
Grund erfolgen. Der Vortrag von Folklore-Liedern ist in seiner jetzigen
Form sicherlich keine Äußerung unseres Volkslebens, sondern eine beson
dere Art konzertanter Kunstdarbietung. Die in Nordamerika damit eng
zusammenhängenden Protest-Songs haben bei uns fast keine nennenswer
ten Nachfolger gefunden, da sie in unserer verkrampften politischen
Atmosphäre anscheinend nicht gedeihen können. Gerade in diesen hätte
jedoch eine Chance gelegen, daß im weiteren Rahmen neue eigenständige
Lieder entstehen, die eine Verbindung zu den älteren Volksliedern auf
weisen. Nun vermögen wir jedoch auf dem Gebiet des Liedes weder im
voraus zu sagen, welche zur Zeit vorhandenen Lieder vom Volk aufge
nommen werden, noch können wir für die Vergangenheit erklären, wieso
gerade bestimmte Lieder volksläufig wurden, andere aber nicht. Da sich
heute unsere Volkskultur in einem sehr weitgehend rezeptiven Stadium
befindet, erscheint es notwendig, die Fülle des Angebots einschließlich der
,remakes c der Volkskunst zu registrieren und zu analysieren. Denn vieles
übt selbst dann, wenn es im weiteren Verlauf nicht zum Tragen kommt,
durch die momentane Intensität doch eine Wirkung auf das vom Volk
zur Zeit Gesungene aus (z. B. Auswahl und Bevorzugung bestimmter
Melodien oder Texte) und beeinflußt sicher auch direkt oder indirekt das
zukünftige Liedgut. Obwohl ich also in den angesprochenen Liedern keine
Äußerung unseres Volkslebens zu sehen vermag, erscheint mir ihre Beach
Vgl. dazu z. B. meinen Aufsatz über Herrn Oluf, in: Märchen, Mythos, Dichtung.
Festschrift zum 90. Geburtstag Fr. von der Leyens, München 1963, S. 213-230.
Vgl. dazu den Schluß meines in Anm. 25 zitierten Aufsatzes.