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H. Klaatsch:
genommen worden sei, ähnlich wie bei den Mumien - Hocker- Leichen
moderner niederer Menschentypen, wie der Australier.
Diese Überlegung fordert zur Vergleichung mit einem geologisch
jüngeren Skeletfunde heraus, der 1888 in derselben Gegend Südfrank-
reichs gemacht wurde; es ist das Skelet von „Chancelade“, das im
Museum von Périgueux aufbewahrt wird.
Chancelade ist der Name der Gemeinde, in deren Gebiet, 7 km nord-
westlich von Perigueux die paläolitische Station Reymonden gelegen ist,
ein „Abri“, der 1888 von Hardy und Féaux, dem jetzigen Direktor des
Museums in Périgueux, durchforscht wurde. Als Ausfüllungsmasse der
Halbhóhle wurden vier Schichten mit Feuerstellen gefunden; die Fauna
und Kulturreste deuteten auf eine spátdiluviale Besiedelung hin und zwar,
wie die Artefakte aus Knochen und Renntiergeweih ergaben, auf den
Magdalénientypus. In der
untersten Schicht in einer
Tiefe von 1,64 m wurde das
Skelet angetroffen, dessen
Teile durch Professor Tes-
tut in Lyon eine muster-
hafte Untersuchung!) er-
fuhren. Die Lagerung des
Skelets ist für die Beur-
teilung des geologisch álte-
ren Homo Aurignacensis
deshalb von Interesse, weil
sie eine künstliche An-
ordnung der Leiche in viel
mehr ausgesprochener
Weise zeigt. Der Kopf war
stark nach vorn und ab-
wärts gebeugt, die Wirbelsäule stark nach vorn gekrümmt, die Vorder-
arme emporgebogen, so dass die Hände an Wange und Kinn lagen. Die
unteren Gliedmassen waren stark gebeugt, die Kniee bis zum Munde
reichend, die Füsse unter dem Gesäss. Die Annahme, dass die Leiche
gewaltsam mit Stricken aus Renntiersehnen in die Hockerstellung ge-
bracht war, kann nicht umgangen werden. Die Einzelheiten der Haltung
erinnern ungemein an die der Hockermumie aus Nordost-Queensland, die
ich von meiner australischen Reise mitgebracht habe.
Die Skeletreste des Homo Aurignacensis haben sekundäre Störungen
der Lagerung erlitten.
In dem Fundbericht Hausers (1. c. Prähist. Zeitschr., p. 277) sind
sie ausführlich dargestellt und illustriert. Das Sonderbarste ist dabei das
Schicksal der Wirbelsäule. Der obere Teil derselben bis zum dritten
Brustwirbel inkl. ist von der übrigen losgerissen worden und hat sich bogen-
1) Testut, L., Recherches anthropologiques sur le Squelette quaternaire de
Chancelade, Dordogne. Bulletin de la Societé d’Anthropologie de Lyon. S. VIII. 1889.