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zwanziger Jahren Damenkleider anzog und sich darin zeigte, erkannten
ihn nicht einmal seine nächsten Verwandten und Bekannten.
Bis heute hat Patient einen geschlechtlichen Verkehr nicht gehabt,
da er niemals einen besonderen Drang dazu verspürte, überhaupt vor ge
schlechtlicher Berührung, z. B. Anfassen seiner Genitalien beim Urinie
ren, einen Ekel hat und vor allem ausschließlich von dem Gedanken und
dem Gefühle beherrscht wird, als Frau zu leben. Er glaubt, daß er von
selbst niemals zu einem Geschlechtsverkehre gelangen würde, da er gar
keinen Trieb dazu spüre und auch viel zu schüchtern sei. Der nackte oder
halbnackte weibliche Körper übt keinerlei Reiz auf ihn aus. Jedoch war
sein geschlechtliches Empfinden auch niemals auf da,s männliche Ge
schlecht gerichtet. Von Kindheit an besteht dieser leidenschaftliche Hang
bei ihm, sich als Frau zu kleiden. Er hat immer wieder versucht, diesen
Hang zu bekämpfen — namentlich nach den weiter unten zu erwähnenden
unangenehmen Erlebnissen und Konflikten —, aber es war vergeblich. Die
Folge einer längeren Enthaltsamkeit von der Frauentracht war stets eine
schwere geistige Depression. „Das ganze Leben freut ihn nimmer,“ wie
er sich ausdrückt. Glücklich fühlte er sich nur in Damenkleidern, wo er
ein ganz anderer wird und die frühere Melancholie und Befangenheit
einer inneren harmonischen Stimmung weicht. Sein ganzer seelischer
Zustand hängt davon ab, ob er Frauenkleider trägt oder nicht. Für die
Befriedigung dieser Neigung würde er, wie er sagt, sich entmannen lassen,
ja selbst ins Gefängnis gehen, wenn sie anders nicht möglich wäre. Die
weibliche Kleidung bot ihm von jeher Ersatz für alles andere.
Seine Lebensgeschichte, aus der wir nun die wichtigsten und wesent
lichen Einzelheiten hervorheben, bestätigt diese seine Angaben in vollem
Umfange. Der Patient ist fromm katholisch erzogen, ist sehr religiös und
bekleidete 7 Jahre die Stelle eines Messners. Er wurde aber dieser Stel
lung enthoben, als er einmal während des Faschings in Damenkleidern
ging. Dann wurde er Trappistenfrater in Natal (Südafrika,), von wo er
aber nach % Jahren wegen Krankheit fortging und nach Bayern zurück
kehrte. Er ließ sich dann, um seine unwiderstehliche Neigung zum An
legen von weiblichen Kleidern wenigstens in Gestalt eines Surrogats zu
befriedigen, vor 8 Jahren einen dunklen Mantel, eine Art Talar machen,
um die ihm vor allem so widerwärtigen und lästigen männlichen Bein
kleider nicht anziehen zu müssen. Darauf wurde er angeklagt, sich Prie
ster- bzw. Ordenstracht angemaßt zu haben, aber schließlich freigespro
chen. Er ließ sich dann einen farbigen Mantel anfertigen, so daß er nicht
mehr mit einem Priester oder Ordensmann verwechselt werden konnte.
Wenn er aber in diesem Rocke ausging, erregte er allgemeines Aufsehen
und wurde öffentlich verspottet. Eine neue Anklage hatte wieder Frei
sprechung zur Folge. In der Urteilsbegründung wies der betreffende Rich
ter darauf hin, daß ein Gesetzparagraph betreffs der Art der Kleidung nicht