Dr . Gust . Kossinna : Die geschieht ! . Entwicklung der germanischen Völkergrenzen in Ost u . West . 107
weder dort noch am Niederrhein erreicht worden . Rom erkannte die ihm drohende Gefahr und setzte nicht nur der weiteren westlichen Ausdehnung der Germanen für ein halbes Jahrtausend einen unüberschreitbaren Damm entgegen , sondern drückte auch dem Lande innerhalb seiner nach Osten über den Rhein vorgeschobenen Grenzen das Gepräge römischer Nationalität auf .
Franken und Alamannen mufsten wieder von vorne anfangen , um die romanisierten rechts - und schen Gebiete von neuem dem Deutschtum zu gewinnen . Es geschah das ganz allmählich , rechtsrheinisch vom 3 . , linksrheinisch vom 4 . und namentlich vom 5 . hundert ab . Durch die trefflichen , von historischem Geiste genährten Ortsnamenforschungen der letzten Jahre sind wir in die Lage gesetzt , zwar nicht für die gesamte deutsche Westgrenze von Holland und Belgien bis zum Monte Rosa , wohl aber für den Teil von der Mosel bis an die Schweizer Grenze die jeweilige Art des schen Vorrückens erkennen zu können . Fast ganz Frankreich zeigt heute noch deutsche Ortsnamen , d . li . nicht etwa solche mit germanischen Personennamen bildete , denn letztere herrschten bekanntlich so gut wie ausschliefslich auch im gesamten romanischen Teil des Frankenreiches , würden also nichts für die Deutschheit beweisen , sondern Ortsnamen mit germanischen Endungen wie — ingen , französisch — ange . Aber diese schen Siedlungen waren , soweit sie aufserhalb der später sich gestaltenden , scharfen Sprachgrenze sich verloren , nur atomisierte Volksteile , die in ihrer Vereinzelung jeder dauernden Lebenskraft entbehren mufsten und auch insofern ihre Schwäche bekunden , als vom punkte des Beginnes der Urkundenüberlieferung an , also seit dem 7 . Jahrhundert , germanische Flurnamen in ihrer Umgebung sich nicht nachweisen lassen .
Diesen zahlreichen germanischen Versprengungen im romanischen Gebiete stehen noch viel beträchtlichere nische Enklaven innerhalb des am Ende der wanderung , also im 6 . Jahrhundert , vorwiegend von Germanen besiedelten linksrheinischen Gebietes über . Nur die Ebene , namentlich die der Pfalz und des Unterelsafs , und das untere Moselthal wurden in rascherem Zuge gewonnen . Der Erweis , dafs die in germanischer Kompositionsart gebildeten , sogenannten Weilernamen , d . h . Ortsnamen mit der Endung - weiler , - weil , - court und einigen anderen Endungen , durchaus romanische Schöpfungen gewesen sind , die erst im 6 . Jahrhundert aufgekommen sein können , giebt in bindung mit den bis ins 10 . Jahrhundert auf deutschem Gebiete unangetastet in romanischer Form erhaltenen Flurnamen die Erkenntnis , dafs die germanische sationskraft bis etwa zum Jahre 1000 völlig damit braucht wurde , die romanischen Enklaven , die innerhalb der zusammenhängenden germanischen Besiedelungen verblieben waren , aufzusaugen . Die Existenz dieser Enklaven noch im 10 . Jahrhundert können wir für Hunsrück , Eifel , die Triersche Gegend , ja sogar den Schwarzwald , hier namentlich das Gebiet der Ortenau , mit gröfster Sicherheit erweisen . Die früheste rheinische feste Sprachgrenze , etwa vom Jahre 1000 , ging westwärts nicht erheblich darüber hinaus , was heute innerhalb der deutschen Sprachgrenze liegt . Es unterliegt keinem Zweifel , dafs die in den Hochthälern des Oberelsafs heute noch vorhandenen Reste romanischer Sprachgebiete seit der Römerzeit ununterbrochen dort fortbestehen ; und niemals sind Metz , Toul und Verdun deutschsprechende Städte gewesen . In schwach steigender , aber doch immerhin noch in aufsteigender Richtung bewegt sich dann die Höhenkurve des Ger - manisierungswerkes bis ins 15 . Jahrhundert . Vom
16 . Jahrhundert ab findet jedoch eine Rückschiebung der Sprachgrenze nach Osten statt , vorzugsweise im elsafs und in Lothringen . In empfindlichster Weise lor dann das Deutschtum während und nach dem dreifsig - jährigen Kriege , so dafs seitdem auch innerhalb der deutschgebliebenen Teile von Lothringen und Oberelsafs die Städte bis in die untersten Schichten der Bevölkerung hin zwiesprachig wurden . Im Unterelsafs dagegen fiel nur das oberste Breuschthal der französischen Sprache anheim .
Ich brauche die Erfolge der französischen politik Ihnen nicht weiter anzudeuten . 1870 haben wir mit Ludwig XIV . Abrechnung gehalten . Elsafs - Lothringen ist wieder deutsches Reichsgebiet geworden , und wir feiern in diesem Jahre die 25 jährige Wiederkehr seiner werbung . Und dafs wir nicht nur mit dem Schwerte erobern können , sondern auch im Frieden das Erworbene festzuhalten und zu mehren verstehen , zeigt vor allem die Stadt Metz , die jetzt zum ersten Male in der Geschichte eine ihrer Nationalität nach überwiegend deutsche Stadt geworden ist . Und wir haben nicht nur Elsafs - ringen wiedergewonnen ; auch in Belgien ist durch unseren Sieg das germanische Element , die Vlamen , zu einem ungeahnt starken Bewufstsein seines ererbten Volkstums gelangt und sichert dasfelbe von Tag zu Tag kräftiger gegen die Übergriffe der Wallonen .
Schon dieser kurze Überblick zeigt , wie trotz des Eingriffs der römischen Weltmacht , der am Rheine für ein halbes Jahrtausend die Geschichte zum Stehen bracht hatte , die Gewinnung des linken Rheingebietes und damit auch natürlicher Westgrenzen im Wasgen - wald und in den Ardennen eine geographische wendigkeit , d . h . ein unabweisbares Lebensbedürfnis der deutschen Nation , war . Wenn es nun feststeht , dafs in der Politik nur die wirklichen Machtverhältnisse , der thatsächliche Besitz und die Kraft , ihn zu behaupten , entscheiden , so mufs es als deutsches Zukunftsideal gelten , mit allen Mitteln dahin zu wirken , dafs an der Westgrenze das Gebiet germanischer Zunge mit dem des Deutschen Reiches Zusammenfalle .
Neben den materiellen Mächten giebt es aber , wie wir durch Bismarck wissen , als überaus wichtige tische Faktoren die moralischen Mächte , die sogenannten Imponderabilien der Politik . Zu diesen Imponderabilien gehört das historische Anrecht an einem Lande , mag sich ein solcher Anspruch auch bis in die für unser Auge vielfach nebelhaft verschwimmenden nisse einer grauen Vorzeit verlieren oder gar auf Irrtum oder bewufster Geschichtsfälschung beruhen . In den Franzosen freilich werden wir niemals die tigten Erben des bereits auf eine vorgallische Bevölkerung gepfropften gallischen Eroberervolkes erblicken , denn Römer und Germanen haben hier die historischen hältnisse , die geschichtliche Erbfolge dauernd gestört .
Anders liegt diese Frage aber an unserer Ostgrenze . Sie wissen , dafs die Träume der Polen von ihrem Grofs - staat nicht nur mit der echt slawischen Zähigkeit gehalten , sondern auch mit allen Kräften in Wirklichkeit umgesetzt werden , zunächst durch Rückeroberung der an die deutsche Nationalität verlorenen Westgebiete . Schon 1848 mufste Jakob Grimm bittere Klage führen , wie durch unsere eigene Nachgiebigkeit ein übermütiger Slawismus uns nun bedrohen könne . Und dabei erlebte er noch nicht die brutalen Vorstöfse der Anhänger der Wenzelskrone , die in den letzten Jahrzehnten das Blut aller Deutschen in Wallung brachten . Um ihren lüsten nach deutschen Kulturländern ein moralisches Mäntelchen umhängen zu können , haben seit den Tagen Schafafiks Gelehrte beider Völker , der Tschechen wie der