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Schwartz: Nachtrag.
rede. Im unmittelbaren Anschluss daran findet in der Kirche ein Gottesdienst
statt. Nicht nur während des Gebetes, sondern auch während der Predigt, halten
die nächsten männlichen Anverwandten den Kopf bedeckt. Die Kopfbedeckung
besteht in der Hegel in einem hohen Cylinderhut. Nach Beendigung der kirch¬
lichen Feier gehen sämtliche Leute, die am Leichenzuge teilgenommen haben,
zum Sterbehause zurück, um sich hier oder in einem der .Nachbarhäuser, seltener
in einem Wirtshaussaale, mit Kaffee und Weissbrot bewirten zu lassen. Am darauf
folgenden Tage findet ein zweites Kaffeetrinken für die Nachbarn und am dritten
Tage ein nochmaliges Kaffeetrinken für die Notnachbarn statt. — Das Grabmachen
und das Läuten haben die Nachbarn zu besorgen, übertragen jetzt aber diese
Thätigkeiten gewöhnlich detn Küster gegen den dafür festgesetzten Lohn. Yon
einem alten Meidericher wird mir mitgeteilt, dass die Nachbarn ehedem auch den
Sarg zu bezahlen hatten, eine Einrichtung, welche offenbar aus der Zeit stammt,
in welcher es hier noch keine Sterbekassen gab.
Ziemlich allgemein herrscht hier und auch im Nachbarorte Beeck der Gebrauch,
kurze Zeit nach der Beerdigung die Grabhügel oben abzuplatten, denselben die
Gestalt eines umgekehrten, kiellosen Bootes oder Kahnes zu geben und die Seiten
mit schwarzen und weissen Kieselsteinen zu bedecken. Grade die alten Meidericher
Familien stellen ihre Gräber auf diese Weise her. In dem zwischen Rhein, Ruhr
und Emscher gelegenen Meiderich gab es von je her ziemlich viele Rheinschiffer.
Ein kleiner Nachtrag
zu dein ersten Artikel der „Volkstümlichen Schlaglichter".
Yon Willielm Schwartz.
In meinen Papieren finde ich noch zufällig eine Notiz, die mir s. Z. der ver¬
storbene, in anthropologischen Kreisen wohl bekannte Amtsgerichtsrat Rosenberg
in Berlin, früher Staatsanwalt in Bergen a. Rügen, aus seiner Amtstätigkeit an
letzterem Orte mitgeteilt hat, nämlich eine „volkstümliche Reisebeschreibung
in nuce", die er wörtlich einem Briefe entnommen hatte, welcher von einem
Handwerker an seine Geschwister zu Bergen bei einer gemeinsamen Erbschafts¬
regulierung geschrieben war, nachdem er 14 Jahre (!) nichts von sich hatte hören
lassen.
Ich gebe den betr. Brief als einen kleinen Nachtrag zu dem ersten Artikel
der „volkstümlichen Schlaglichter" (s. oben S. 17 ff.), da er höchst charakteristisch
zeigt, wie ein Bild, das halb Europa umfasst, bei kleinem Horizont und kleinen
Interessen zusammenschrumpft.
Der Brief lautete: „Geliebte Geschwister, jetzt will ich euch auch ein wenig
von meinen Reisen unterhalten, ich glaube, es wird euch recht an genehm sein.
Meine Reise in Dänemark, die war voller Unannehmlichkeiten, im Mäklen-
burgischen und Hanövrischen war es freundlich und etwas angenähmer. Sachsen,
Baden, Würtemberg, Baiern, Oestreich, Ungarn, an der Schweitz, am Rhein, ist
es schön und hat mir sehr da gefallen, Pohlen, Böhmen, Hessen hat es mir nicht
gefallen. Nun bin ich 12 Jahr von einem Ort und Stadt zum andern gereist, bis
ich endlich mein Brod gefunden habe, jezt heisst es ruhe aus von deinen Reisen
und arbeite ileissig, dann wirst du Brod haben bis an dein Ende. Jasper.