Volkstümliche Schlaglichter.
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des Darius und sein Erscheinenlassen dem Dichter gestattete, im vollsten
Pathos der Weltgeschichte wirkt.
Wenn aber gleich heutzutage das Beschwören der Toten ein abgethaner
Glaubenssatz ist, so wirkt ihr angebliches Erscheinen im Traume doch
noch immer wie in der Urzeit gelegentlich auf die Überlebenden ein;
Visionen, wie sie nie ganz aufhören werden.
Ich habe in den kulturhistorischen Studien aus Plinsberg vom
Jahre 1877 *) schon eine in dieser Beziehung charakteristische Geschichte
mitgeteilt.
Eine Frau, deren Mann gestorben, kommt nach einigen Tagen zum
Prediger und klagt ihm ihr Leid. Sie wolle nur gestehen, sagt sie, sie
hätte ihren Mann in einem zerrissenen Hemde begraben, nun liesse es ihr
keine Ruhe, die Kachbarn hätten es ihr gleich gesagt. Alle Nacht käme
ihr Mann (im Traume) und klage ihr, er werde mit seinem zerrissenen
Hemde nicht in den Himmel kommen. Ob es nicht möglich sei, ihn
noch einmal auszugraben, und das zerrissene Hemde durch ein ganzes zu
ersetzen.
Der Yolkshumor deckt auch hier das Bild, indem er den Geistlichen,
nachdem er durch Fragen herausbekommen, das Loch sei hinten im Hemde
gewesen, die Frau tröstet, indem er sagt, dann könne sie ruhig sein, ihr
Mann sei stets im Leben ein solcher Schlauberger gewesen, der werde
sich auch schliesslich bei Petrus so an der Wand entlang drücken, dass
jener das Loch nicht bemerke u. s. w. Aber abgesehen von dem humo¬
ristischen Motive und dem dadurch bedingten Charakter stellt sich die
Geschichte als gleichartig zu den Scenen bei Homer, wenn des Patroklos
Geist dem Achill im Traume erscheint und um baldige Bestattung bittet
oder bei der Beschwörung der Toten von Seiten des Odysseus des Elpenor
Schatten jenen ebendaran mahnt, weil er sonst nicht in das Reich der
Seelen Eingang fände. Die letztere Geschichte bildet sogar im Charakter
eine Art Übergang zwischen den beiden anderen. Das Erscheinen des
Patroklos tritt mit vollem heldenmässigen Pathos ein, während des Elpenors
Tod, wie der unerfahrene Mensch trunken sich auf das platte Dach legt,
um auszuschlafen und, als er erwacht, noch halb im Schlaf, herunterstürzt,
in ihrer ganzen Ausführung auch schon mehr nach einem etwas rohen
Volkshumor schmeckt.
Auf fast allen Lebensgebieten treten solche Parallelen bezw. Kontraste,
wie die gezeichneten, hervor, selbst auf politischem, nur dass der ver¬
schiedene Horizont hier doppelt stark im Kontrast der Form sich geltend
macht, je nachdem der Repräsentant der Kultur mit weitem Blick oder
der Vertreter des Volkstums von seinem beschränkteren Standpunkt aus
1) Prähistorisch-anthropologische Studien. Berlin 1884. S. 373 ff.