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Full Text: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 1.1891

Köhler: Ein anscheinend deutsches Märchen von der Nachtigall etc. 
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welcher bisher gedruckt ist; indessen darf mit Zuversicht erwartet werden, 
dass das Fehlende in nicht allzulanger Zeit nachfolgen wird, und steht 
doch wohl auch zu hoffen, dass die isländische gelehrte Gesellschaft seiner¬ 
zeit auch zur Veröffentlichung jener, allerdings gewaltig umfangreichen, 
Liedersammlungen schreiten werde, welche Jon Sigurdsson und 
Jon Arnason zusammengebracht haben und von welchen die oben schon 
erwähnten „Islenzk fornkvœiïi" doch nur einen sehr geringen Teil aus¬ 
machen. Man wird dann allmählich einsehen lernen, dass das isländische 
Volk selbst in den dunklen Zeiten, welche zwischen dem 14. und dem 
19. Jahrhundert in Mitte lagen, keineswegs so völlig geistig gebrochen und 
tot war, wie wir Ausländer dies zumeist anzunehmen pflegen. 
Ein anscheinend deutsches Märchen von der Nachtigall 
und der Blindschleiche und sein französisches Original. 
Von Reinhold Köhler. 
In Firmenichs „Germaniens Völkerstimmen", I. 283, steht ein Märchen 
„'De nachtigall und de blinnerslange" (Blindschleiche) in der Mundart von 
Warendorf im preussischen Regierungsbezirk Münster. Dieses Märchen 
hat — ohne Quellenangabe — H. F. W. Raab e in sein „Allgemeines 
plattdeutsches Volksbuch", Wismar und Ludwigslust 1854, S. '234, auf¬ 
genommen, aber in mecklenburg - schwerinsche Mundart übersetzt und 
„Die Nachtigall un die Hartworm over Blindschlang" betitelt. F. H. von 
der Hagen hat in seiner Besprechung von Firmenichs Werk in seiner 
„Germania", VIII. 218, die „Warendorfer Märe" als „sonderbar" hervor¬ 
gehoben und ihren Inhalt mitgeteilt, und IL Schiller, „Zum Thier- und 
Kräuterbuche des mecklenburgischen Volkes", 1. Heft, Schwerin 1861, S. 2, 
hat mit Verweisung auf von der Hagen und Raab e des Märchens gedacht. 
Von der Hagen und Schiller haben das Märchen jedenfalls für ein 
deutsches gehalten, und wohl die meisten Leser der genannten Bücher 
werden dies auch gethan haben. Das Märchen ist aber gar kein deutsches, 
sondern ein französisches. Es findet sich nehmlich in der ersten Ausgabe 
der „Kinder- und Haus-Märchen" der Brüder Grimm, Berlin 1812, S. 20 f., 
als Nr. 6 ein Märchen „Von der Nachtigall und der Blindschleiche", welches 
nach der Anmerkung dazu aus dem Französischen übersetzt ist. Das 
Märchen bei Firmenich aber ist nichts anderes als eine fast durchaus
	        
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