Rehsener: Wind, Wetter, Regen, etc. in Vorstellung und Rede des Tiroler Volkes. 67
Wind, Wetter, Regen, Schnee und Sonnenschein in
Vorstellung und Bede des Tiroler Volks.
Von Maria Rehsener.
So mancher müht sich ab, das Gewöhnliche originell zu sagen, weil
alles nach Eigenart verlangt, und hätte nur die Hand nach dem Originellen
auszustrecken, welches in der Ausdrucksweise des Volkes am Wege blüht.
Die Ausbeute würde eine um so reichere sein, führte ihn seine Strasse
in noch unbekanntes Land.
Wir, als Fremde in Gossensass angekommen, strebten nur, uns den
Gebirgsbewohnern verständlich zu machen, und fanden dabei ungesucht
in ihren Antworten, kleinen Mitteilungen und ihrem Thun so viel Merk¬
würdiges, dass wir es nicht unterlassen mochten, das Gegebene aufzuzeichnen.
Selbst die täglich wiederkehrenden Erscheinungen, wie Wind und Wetter,
Regen und Sonnenschein gewannen neuen Reiz.
Der Wind.
Der Wind ist ein Lotter (ein Landstreicher), der von Haus zu Haus
geht. Man derhängt ihn nicht an ; man ist froh, wenn er geht : denn wenn
er fahrt, derstellt man ihn nicht aus, ebensowenig wie einen fahrenden
Wagen oder einen herankommenden Eisenbahnzug.
Wenn die Hennen krähen, kommt der Wind. Er muss so lange
gehn, bis er blutet; daher soll man nichts Böses auf ihn sagen. „Das
glaub' ich, dass der Wind Enk angeblasen hat! Wo mag er jetzt hin¬
gegangen sein?"
Anno zwölfundachzigx) ist der Wind so gegangen, dass er den Leuten
das Haar von den Köpfen gerissen hat.
Yiel Wind, viel Krieg! hat der alte Wechsler allem gesagt.
Wenn der „äussere" Wind (NO vom Brenner) weht, ist es frisch und
klar, weht aber der „untere" (SW von Sterzing), dann giebt es Regen.
Heuer weht der äussere allein, der untere hat wohl mal auergelugt, ob er
nicht aufer kommen könnte, aber der andere hat es nicht gelassen.
Den alten Brennern diente des Windes Treiben als „Loss" (Orakel).
1) Vielleicht eine dunkle Erinnerung an das Jahr 1792, das den Leuten nicht nur
das Haar, sondern auch die Köpfe mit fortgenommen hat.
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