312 Zur Ethnographie
den Eigeuthümlichkeiten , die auf örtliche Einflüsse zurückfüh - ren ( wie das Vorwiegen des Holzbaues in waldreichen Ge - genden , verschiedene Verhältnisse in Größe und Zusammen - stellnng der Räume je nach Vorwiegen der Viehzucht oder des Ackerbaues , oder nach größerer oder geringerer Wohl - habenheit und dergleichen ) , eine Anzahl von Besonderheiten herausfinden , die der Bauart größerer Bezirke gemeinsam zugehören und durch Zusammenfallen ihrer geographischen Verbreitung mit den Gebieten bestimmter Sprach - und Sit - tenverschiedenheiten beweisen , daß sie für gewisse Stämme oder Völker charakteristisch sind und keineswegs etwa einzelner Laune ihren Ursprung verdanken . Bei genauerer Betrachtung zeigt sich sogar nicht selten , daß das , was sie von anderen unterscheidet , eben so tief in Sitten und Anschauungsweise ihrer Erbauer wurzelt als mancher Gebrauch , mancher Cha - rakterzng , den man , da er auf den ersten Blick schon in die Augen fällt , als „ Wahrzeichen " einer Nation oder eines VolksbruchstÜckes bezeichnet . In der That , so gnt wie der Einzelne seine geistige Physiognomie bis auf Kleinigkeiten in Kleidung und sonstigen Äußerlichkeiten ausprägt , so zeichnet sich der Geist eines Volkes auch nicht am letzten in den gemeinhin verachtetsten seiner Bauwerke , den Banerhäu - sern . In diesen Blättern ist gelegentlich der Schilderungen einzelner Bruchtheile unseres Volkes schon mehrfach auf diese noch lange nicht genügend gewürdigte Seite ethnographischer Forschung hingewiesen worden , und wir wollen im Folgen - den einen kleinen Beitrag zu derselben aus dem alten Grenz - gebiete deutscher Cultur , aus Böhmen , geben , indem wir ans einem größern Aufsatze m deu „ Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 1870 . S . 213 ff . " folgende Notizen zusammenstellen .
Böhmen war bis in eine nicht fernliegende Zeit ein Wald - reiches Land ; bekanntlich ist es anf deutscher Erde eine der wenigen Zufluchtsstätten wirklichen Urwaldes — freilich in mitteleuropäischem , also gegenüber dem tropischen immerhin etwas zahmen Sinne — , und blieb ohne Zweifel länger dicht bewaldet , als die durch Industrie , Ackerbau oder lebhaf - teu Handelsverkehr früh gelichteten angrenzenden Gebiete Deutschlands . Dies erklärt , daß sich der Holzban in ihm lange Zeit erhielt und noch heute in Capellen und Glocken - thürmen Vertretung findet , während ganz aus Holz con - strnirte Kirchen noch im Beginn unseres Jahrhunderts be - standen , und srüherhin ganze Städte sammt Schloß und Kirche kein anderes Baumaterial als dieses nächstliegende und leich - test zu bearbeitende aufwiesen . Auf die Entwickelung des Bauerhauses übte das einen großen Einfluß ; deu ländlichen Architekten liegt die ästhetische Gestaltung nur dann am Her - zen , wenn sie leicht nnd billig zu bewerkstelligen ist , und das ist beim Holze , nicht aber beim Stein oder Ziegel möglich . Bis zur Häßlichkeit kunstlose , kunstwidrige Bauten gehen aus dem Holzbau nicht leicht , wohl dagegen aus dem Steinbau hervor , wie leider die Mehrzahl mittel - und norddeutscher Bauerhäuser schon jetzt beweist .
Unter den reinen Holzbauten Böhmens finden sich nun zwei scharfgeschiedene Typen , die wir gleich hier nach ihrer nationalen Zugehörigkeit scheiden wollen ; der eine ist der ziemlich reinslavische Block - und Pfahlwandbau , der andere der ebenso reindeutsche Block wandbau . Beide sind zu nicht unbeträchtlicher künstlerischer Durchbildung ge - langt , haben sich aber nur auf ganz beschränktem Gebiete gemischt . Den slavischen Typus siudet man in den östlichen Landestheileu , wo er besonders längs der mährisch - schlesischen Grenze sich an manchen Punkten zu solcher Vollendung ent - wickelt hat , „ daß die in jenen Gegenden vorkommenden Wohn - Häuser ebenbürtig den Schweizerbauten zur Seite gestellt wer - den dürfen . " Besonders längs der Jser und Oberelbe haben
der Culturvölker .
sich zahlreiche Gebäude dieser Art erhalten ; in den Orten Novensko , Starkenbach , Nachod , Reichenau , Wil - deuschwert sind sie häufig , und das vom Feuer ebensowohl als von Neuerungssucht verschonte Solnitz besteht gänzlich aus zierlicheu Holzhäusern ; vereinzelt kommen dieselben bis Juugbnnzlau nnd Nimbnrg vor . Im Aeußern sind diese slavischen Holzhäuser vorzüglich charakterisirt durch die ge - ringe Breite und das steile Dach ; letzteres zeigt einen Winkel von 45 bis 48 Grad , erstere beträgt durchschuittlich 25 Fuß . Auf einem gemauerten Unterbau erheben sich die nicht rein , sondern bloß waldkantig behauenen Balken , deren Zwischen - räume mit Moos nnd Lehm verstopft sind , aber die oberen Partien sind stets mit sauber gearbeiteten Brettern verkleidet . Vorgebaute Laubengänge , Freitreppen , Galerien , Giebel und dergleichen geben dem Ganzen ein belebtes , malerisches Aus - sehen ; das Dach wird von durchbrochenen Walmen bekrönt . Die Decorationen sind sehr mannichsaltig und sachgemäß , und zeigen glückliche Vermengnngen von gothischen uud Re - naissanceformen , Laufende Bogenornamente , Keilschnitte , vertieft gearbeitete Laubwerke , geschnitzte Träger finden sich in zierlichen Formen und geschmackvoller Anwendung . Der Baustoff ist fast stets Fichte und Kiefer , selten tritt Eiche anf , und die Bedeckung des Daches besteht aus Ziegeln oder Schiefer . Im Innern sind diese Häuser , wie schon die große Schmalheit bei beträchtlicher Länge andeutet , nicht sehr ge - räumig ; sie umschließen zwar meist eine größere Anzahl von Gelassen , die aber niemals nach Breite und Tiefe eine be - schränkte Ausdehnung überschreiten .
Durchaus verschieden von diesem Hanse ist das deutsche , welches aus Baiern und Oesterreich herübergreift und in einem beträchtlichen Theile des südlichen und westlichen Böh - mens gesunden wird . Die große Breite und das flache Dach geben ihm einen ausgeprägten Charakter , denn jene beträgt 36 bis 42 Fuß , während dieses durchschnittlich einen Winkel von nur 22 Grad bildet . Aeußerlich ist es weniger nach der künstlerischen Seite hin ausgebildet als das slavische , zeigt aber doch nicht selten Anklänge an die schönen Dispo - sitionen des schweizerischen und tiroler Holzbaues , dem es nächstverwandt ist ; im Innern zeichnet es sich durch aus - giebige , freie Räume aus . Es ist nicht zufällig , daß fast in gleicher Linie diese dem ganzen südlichen Deutschland eigene Bauart in Baiern und in Böhmen dem mittel - und nord - deutschen Fachwerkbau weicht , und es ist ebensowenig zufällig , daß gleichen Verbreitungsbezirk mit ihr gewisse Besonderhei - ten des Dialektes , der Küche uud der Viehzucht aufweisen , wie denn auch die Schnadahüpfl sich in Westböhmen — wo sie z . B . in der Saazergegend unter dem Namen „ Steikle " , d . h . Stückchen , viel gesungen sind — so häusig wie in Ober - baiern finden . Alle diese Erscheinungen bezeichnen die Ver - breitung des baierisch - österreichischen Stammes nach Böhmen hinein , und hören da auf , wo sie mit dem fränkischen zusammentreffen . Diesem gehört im Gebiete des Hausbaues der Fachwerkbau an , der es in Nordböh - men zu hoher Entwickelung bringt , und besonders die Orte des Riesengebirges mit wirklich schönen , theilweise ins sech - zehnte Jahrhundert zurückreichenden Häusern schmückt . Das Dach ist stets sehr spitz ( bis 60 Grad ) , an Stelle der Ga - lerien und Lanben treten Erker und Eckthürme , und oft ist es die eigenthümliche Anordnung des Balkenwerkes , das , von dem Gemäuer sich abhebend , zierliche Gliederung der schmalen Front hervorbringt . Die innere Aehnlichkeit dieser Bauweise mit dem slavischen Holzban beförderte in engem Bezirke eine glückliche Mischung , die in der Gegend von Arnau , Hohen - elbe , Oels schöne Bauten hinzustellen vermochte .
Neben dieser reichen dreifachen Entwickelung liegt nun in einem weiten Räume , den als Dreieck die Punkte Bnd -