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Hermann Vambery : Asiatische Völkertypen : Die Kurden .
zurück auf frühere Daten , so ist allerdings ein Fortschritt unverkennbar . Während im Jahre 1845 die Zahl der Man - ner 66 , 8 Procent und die der Frauen , welche bei der Heirath ihren Namen schreiben konnten , 50 , 4 von der Gesammt - summe betrug , hatte sich im Jahre 1855 das Verhältuiß
schon so weit gebessert , daß die Männer mit 70 , s und die Frauen mit 58 , s Procent figurireu , und das Decennium 1855 bis 1865 hat die Procente auf 77 , 5 bei den Man - nern und 68 , 8 bei den Frauen gehoben .
Richard Andree .
Asiatische Völkertypen .
Von Hermann Vambery * ) .
D i e Kurden .
Den monumentalen Ueberresteu der altparsischeu An - schauung und religiösen Schwärmerei , deren letzte Ueber - bleibsel die heutigen „ Gebrn " sind , kann als passender Ge - gensatz ein Bild asiatischer Rauhheit und unbändiger Lust zum Nomadenwesen der heutigen Kurden , die eben in den - selben Eigenschaften schon vor drei Jahrtausenden glänzten , an die Seite gestellt werden . Herodot und - tenophon erzäh - len von Raublust und Sucht nach Abenteuern , welche dieses Volk kennzeichneten , und darin haben die Kurden ihren Na - tionalcharakter nicht um eines Haares Breite verändert .
Wild romantisch , wie die Berge , welche sie schon seit Jahrtausenden bewohnen , ist der äußere Anblick wie der in - nere Gedankengang der Kurden noch heutzutage . Die alte Religion des „ Weisen von Baktra " sammt ihrer humanistisch - philosophischen Lehre sowohl , als auch das Erscheinen des Propheten aus Hedschas mit der mehrere Jahrhunderte dar - auf folgenden blühenden Cultur des Islams , Alles ist an den kalten Felsenwänden des kurdischen Heimathslandes spur - los vorübergezogen ; nichts hat dieses UrVolk des iranischen Stammes aus die Bahn der Cultur bringen können , und selbst heutzutage , wo einzelne Strahlen der abendländischen Cultur ihren Weg von Konstantinopel aus über die fernen Ufer des Tigris und Euphrat , ja bis tief hinein in das In - nere Asiens nehmen , selbst heute haben Kurdistan und der Kurde der gewaltig donnernden Stimme des „ Vorwärts " widerstehen können .
Wahrlich , Kurdistan verdient mehr Aufmerksamkeit von Seiten des europäischen Reisenden , als ihm bis heute zu Theil geworden war . Es ist gleichsam eine Schweiz Asiens , die an Schönheit nur mit den Gegenden des Alatau's ver - glichen werden kann . Imposant sind wohl die Berge des Himalaya , doch reizend ist das nördliche Enphratgebiet , und wenn auch in den nordpersischen Landschaften Gilan und Mazenderan die Vegetation eine üppigere ist , so fehlt dagegen dem kurdischen Gebirge die fiebererzeugende Luft , und das Klima seiner Alpenregion wird als ein entzückendes geschil - dert . Zwischen Mesopotamien , Armenien , Azerbaidschan und Irak gelegen , hat das Land der Kurden heute ebenso - wenig eine Grenze , wie der wilde Trieb seiner Einwohner , welchen die Fessel irgend einer Regierung niemals angelegt werden konnte . Die Herrschaft der Türken , Perser und Ära - ber über sie ist und war immer nur eine nominelle ; nur dem Aberglauben und Graubärteu gelingt es manchmal , sie zu controliren , und sie waren auch von jeher mehr eine Last und Plage für die betreffenden Regierungen , als der Born eines Ertrages und staatlichen Nutzens . Da sie den
* ) Vergl . Bd . XVI , S . 381 ff . : „ Die Gebr oder Feueran - beter . "
sten Punkt des ottomanischen Kaiserstaates bilden , so hat die Pforte es selbst heute für gut befunden , wenn sie in keine gefährlichen Unruhen — wie die Bedr Chan Bey's war — sich einlassen will , den Ungehorsam lieber stillschweigend hinzu - nehmen , als mit einem fruchtlosen Difciplinarverfahren sich selber zu schaden . Der Kurde gleicht einer wilden Ziege — sagte mir einst ein Türke — , wer ihn melken will , muß ihm von Fels zu Fels nachspringen können , und weil dies die Diener nnsers Sultans nicht im Stande sind , so gelingt es den Kurden , sich ungeschoren immer aus der Assaire zu ziehen .
In Persien machen sie der Regierung noch mehr zu schaf - feu , da sie sich in verschiedenen Theilen des Reiches zerstreut befinden und überall der Behörde Schwierigkeiten bereiten . Die kleinste Gruppe derselben hält sich in Chorassan um Kabuschan herum auf . Sie ist als Vorposten gegen die Turkomanen dahin versetzt worden ; sehr häusig aber gehen diese . Kurden trotz des religiösen Unterschiedes mit letzteren gemeinschaftlich auf Raubzüge aus .
Die zweite Gruppe bewohnt den südöstlichen Theil der Provinz Aserbaidschan und erkennt die Suprematie des Schahs nur so lauge au , als man sie durch Steuereiuhebun - gen nicht behelligt ; denn wenn man ihnen in dieser Hinsicht Zumuthungen stellt , ziehen sie alsbald entweder auf das benach - barte Gebiet des Sultans oder des Kaisers von Rußland .
Die dritte Gruppe — Makuer - Kurden genannt — wohnt am Fuße des Araratberges . Zur Zeit sind sie dem Schah gehorsam , nicht so sehr in Folge eines Jnstinc - tes , als vielmehr wegen der reichen Spenden , die den kur - discheu Häuptlingen von Teheran aus zufließen .
Die vierte Gruppe befindet sich um Soudsch Bulak , dem Centrum der eigentlichen Kurdenwelt , herum ; ihre ge - sammte Anzahl beläuft sich hier auf mehr als eine Viertel - Million , und um einen Begriff von den Verhältnissen dieser Gegend zu der Centralverwaltuug in Teheran zu geben , muß ich erzählen , daß eine Reise von hier aus in das tiefere Innere der Kurdenprovinz , sei dies für Perser oder Andere , noch immer mit Gefahren verbunden ist .
Die fünfte Gruppe ist jene , welche in dem meist südlich gelegenen Senna ihren Aufenthalt hat ; sie ist die beträcht - lichste von allen , lebt auch in den meist geregelten Zustän - den , und was die persische Armee an Kurdeucontingent be - sitzt , das wird aus Senna und dem nahen Kirmanschah re - crntirt . Die Kurden dieses Districtes besitzen auch die größte Industrie . Eine bedeutende Quantität von Teppi - chen , rauhen Tuchstosfen und kurzröhrigeu Schafwollstrümpfen in den herrlichsten Farbenmischungen werden von hier aus nach den fernsten Theilen Irans exportirt .
Was den Import betrifft , so brauchen sie außer Waffen