O. Toppen: Erzählungen der Suaheli-Neger aus Zansibar.
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VI.
Der Hase, die Hyäne und der Löwe.
Ein Löwe, eine Hyäne und ein Hase machten sich einmal
zusammen auf und beschlossen, aufs Land zu gehen und sich
einen Garten anzulegen. Sie gingen also hin, machten
den Garten, pflanzten darin alles Eßbare und kehrten dann
nach der Stadt zurück. Als die Zeit der Reife für ihre
Früchte und Gemüse kam, sagten sie zu einander: „Nun
wollen wir einmal noch unserem Garten sehen." Es war
ein weiter Weg, und der Hase machte seinen Geführten
folgenden Vorschlag: „Während unseres Ganges müssen
wir uns nicht aushalten, und wer stehen bleibt, wird von
den anderen aufgefressen." Seine Geführten willigten ein,
und sie machten sich auf den Weg. Als sie eine Strecke
gegangen waren, blieb der Hase stehen, weil er müde war;
da sagten die anderen beiden: „Der Hase steht still, nun
müssen wir ihn verzehren." Doch der schlaue Hase sprach:
„Ach, ich denke nur nach." Seine Gefährten fragten ihn:
„Worüber denkst du nach?" Er antwortete: „Ich be
trachte diese beiden Steine am Wege; einer ist groß, der
andere ist klein; der kleine wird nie höher, der große nie
kleiner!" Seine Geführten sprachen: „Er hat recht."
So gingen sic weiter; nach einer kleinen Weile blieb der
Hase wieder stehen und die Anderen sagten: „Der Hase
steht, wir müssen ihn setzt auffressen." Doch dieser sagte
wiederum: „Oh, ich denke nur nach!" und auf die Frage,
worüber er zu denken habe, sagte er: „Ich denke dieses:
wenn Leute neue Kleider anziehen, wo bleiben dann die
alten?" Löwe und Hyäne sagten: „Seine Worte sind
wahr." — Sie gingen weiter, da blieb die Hyäne stehen,
und die anderen sagten: „Die Hyäne ist stehen geblieben,
wir müssen sie fressen!" Die Hyäne aber sprach: „Oh! ich
denke nach!" Auf die Frage, an was sie denke, wußte sie
aber keine Antwort und sagte: „Oh! — über nichts!" Da
zerriß ste der Löwe und verspeiste sic mit dem Hasen. Nun
gingen die beiden allein weiter. Nach einer Weile kamen
sic an eine Höhte; da blieb der Hase stehen und der Löwe
sprach: „Jetzt fresse ich dich!" Doch der Hase sagte:
„Oh! ich denke nach!" Der Löwe fragte: „Worüber
denn?" Und er sprach: „Ich denke über diese Höhle
nach; in alten Zeiten pflegten unsere Vorfahren hier hin
einzugehen und auf der anderen Seite wieder heraus; ich
will versuchen, ob das noch geht." Und er ging hinein
und heraus — viele mal, dann sprach er znm Löwen:
„Du alter Löwe, Versuchs doch anch einmal." Der Löwe
ging hinein und blieb stecken, so daß er weder aus noch ein
konnte. Da sprang der Hase auf seinen Rücken und biß
ihn ins Fleisch. Der Löwe sagte: „Komm doch von der
anderen Seite und beiße mich ins Gesicht!" Doch der
Hase war schlau genug, cs nicht zu thun und sagte nur:
„Du müßtest dich ja schämen, mir ins Gesicht zu sehen!"
Damit ging er davon, überließ den Löwen seinem Schick
sale, lief zu dem Garten, und erlabte sich dort an den reifen
Früchten.
VII.
Der Geist, der von des Sultans Sohn betrogen wurde.
Es lebte einmal ein Sultan, der wünschte sich schon seit
vielen Jahren einen Sohn, ohne daß sein Wunsch in Er
füllung ging. Er hatte viel Geld und viele Städte. Er
sah voraus: Wenn ich sterbe, wird alles verloren sein, denn
ich habe ja keinen Sohn und Erben. Und ein böser Geist j
kam, machte sich znm Menschen, ging zum Sultan und
sprach: „Was versprichst du mir, wenn ich dir eine Me
dizin mache, daß du einen Sohn bekommst?" Der Sultan
sagte: „Die Hälfte von meinem Besitzthum!" „Das ist
mir nicht genug." „Die Hälfte meiner Städte." „Das
ist noch nicht genug." „Nun, was willst du denn?"
„Wenn dn zwei Kinder bekommst, mußt du mir eins
davon geben!" „Es ist gut, ich bin einverstanden." Und
der Geist brachte Medizin und sagte: „Gieb deiner Frau
davon zu essen." Und er gab ihr, und sie bekam erst einen
Sohn, dann noch einen, und endlich noch einen dritten.
Und jener Freund, der die Medizin gegeben hatte, kam und
sagte: „Wohlan, laß uns theilen!" Der Sultan ant
wortete: „Noch nicht; erst müssen die Kinder lesen lernen!"
Da sprach der Geist: „Gieb sie mir, ich werde sie lehren!"
Der Sultan erlaubte ihm, sie mitzunehmen, und er ging
mit ihnen nach seinem großen, schönen, wohleingerichteten
Hause; und er unterrichtete sie in allem, was nöthig war,
und als sie Buchstaben lesen konnten, brachte er sic zu ihrem
Vater zurück. Einer von den Knaben war sehr klug. Der
Geist sprach zum Vater: „Nun laß uns theilen!" Und
jener antwortete: „Theile du!" Und der Geist nahm
zwei der Knaben und stellte sie allein und den klugen
stellte er auch allein und sagte dann znm Sultan: „Nun
wähle du!" Der Sultan nahm natürlich die beiden
Knaben, und der Geist ging mit dem anderen davon. Zn
Hanse angelangt, gab er dem Knaben alle Schlüssel und
sprach: „Oesfne, was du willst!" Dann ging er einen
Monat lang auf Reisen. Der Knabe blieb allein, und
ging im Hanse umher, und als er ein Zimmer ausschloß,
sah er darin Gold, das war wie Wasser. Er faßte es an,
und als er die Finger wieder herauszog, wollte das Gold
nicht davon abgehen; er wusch eS, es ging aber nicht ab, da
nahm er einen Lappen und wickelte ihn um den Finger.
Der Geist kam heim und fragte ihn: „Was ists mit
deinem Finger?" Er sprach: „Ich habe mich geschnitten."
! So blieb es, bis nach zwei Tagen der Geist wieder auf
Reisen ging. Da nahm der Knabe die Schlüssel und ging
in alle Zimmer. Im ersten sah er Knochen von Ziegen,
im zweiten Knochen von Schafen, im dritten Knochen von
Ochsen, im vierten Knochen von Eseln, im fünften Knochen
von Pferden, im sechsten Menschenschädel und im siebenten
endlich ein lebendiges Pferd. Dieses sprach: „Oh, du
Sohn des Menschen, wo kommst du her?" Er antwortete:
„Dein Herr ist mein Vater." Das Pferd sprach: „Seine
Arbeit ist Menschen, Pferde, Esel, Kühe, Schafe, Ziegen
— alles, alles zu fressen; jetzt sind nur noch wir beide übrig.
Was sollen wir thun? Komm, mach mich los!" Der
Knabe band es los, und es sprach: „Jetzt mache das Zimmer
auf, in dem alle Schätze sind, dort will ich alles verschlucken.
Wenn dein Vater nach Hause kommt, wird er Leute ein
laden, um uns zu verzehren, und zu dir wird er dann
sagen: „Laß uns Holz holen!" Dann wirst dn ihm ant
worten: „Ich verstehe solche Arbeit nicht"; und wird selbst
gehen; wenn er dann zurückkommt, wird er einen großen
Kessel aufsetzen und dir sagen, du sollest Feuer anmachen;
dann mußt du entgegnen: „das kann ich nicht", und er
wird es selbst thun. Dann wird er Fett in den Kessel
gießen, und wenn das heiß ist, wird er eine Schaukel über
dem Kessel anbringen und dir sagen, du sollst dich
schaukeln, und du wirst ihm antworten: „Ich kenne das
Spiel nicht, zeige du mir, wie man es macht." Dann wird
er dirs vormachen wollen, und wenn er über dem Kessel
schwebt, mußt du ihm einen Stoß geben, daß er ins heiße
Fett fällt, und dann lauf schnell davon und komm zu mir,
ich werde dort unter jenem Baume auf der Straße dich
erwarten." Damit ging das Pferd davon und ließ den
Knaben allein, und alles geschah, wie das Pferd vorher ge
sagt hatte; und als der böse Geist in dem heißen Fett er
trunken und gestorben war, lief der Knabe davon und kam