248 Ein Seebad ii
Die Idee einer Universalsprache , welche die Nothwendig - keit einzelner Weltsprachen in sich aufhöbe , entspringt der Unersättlichkeit jenes geistlichen oder weltlichen Despotismus , welcher mit dem Wahlspruch : „ Ein Hirt und Eine Herde " beginnt und mit der bourbonischen Devise : „ Une foi , une loi , un roi " endigt . Wohl liegt das Heil der Menschheit und der Sieg der Humanität in dem Einen Streben der weltbestimmenden Culturvölker , die großen Ideen der Volks - bildung und Menschenwürde in immer weiteren Kreisen zur Anerkennung zu bringen . Aber wie es niemals eine nni - forme Weltcultur gegeben hat , so werden auch die Völker der fernsten Zukunft dem allgemeinen Menschheitsideal nur je nach Maßgabe ihrer individuellen Kräfte , Anlagen uud Auffassungen nachstreben . Keine Nation , also auch keine Sprache wird jemals im Stande sein , das Ideal der Hnmani - tät von sich aus und in sich zu erfüllen . Jede Nation und jede Sprache erreicht das höchste Ziel der Menschheit nur in dem Maße , als sie die von Natur verliehene Individualität zur reinsten Vollkommenheit entwickelt . Nur alle Nationen machen die Menschheit aus und nur , wenn erst alle Nationen die Vervollkommnung ihrer dualität zum Abschlüsse gebracht haben würden , ließe sich auch das Ideal der Humanität als erreicht betrachten . Nun aber hat die Weltgeschichte für ihre Entwicklung eine wenigstens relative Unendlichkeit , und ebenso unendlich sind die Bah - nen , auf welchen die Nationen und Sprachen dem großen Ziele der Humanität zustreben . Die Weltgeschichte ist nach Göthe ein großes Concert , in welchem die Stimmen der einzelnen Völker der Reihe nach zu ihrem Vortrage gelangen .
Wenn wir also auch die Weltherrschaft , ja die einstige Universalmacht des germanischen Sprachstammes , insbeson - dere der englischen und , in noch höherm Sinne , der dent - schen Sprache , vorauspreisen , so wird dieses Universalreich der englischen und deutschen Sprache die Fortexistenz und Mitwirksamkeit aller anderen Weltsprachen nicht nur nicht behindern , sondern erst recht zum Durchbruche gelangen las - sen . Das Glück der Menschheit geht nicht aus der Uni - sormiruug aller nationalen Besonderheiten , sondern aus deren höchster Ausbildung hervor . Nicht Eine Sprache nur soll als das unfehlbare Werkzeug der Jdeenentwickelung zur allgemeinen Geltuug durchdringen , fondern je mehr Cnlturfprachen sich an der Vervollkommnung des Mensch - heitsideals betheiligen , desto reicherer Gewinn fließt aus dem Wettstreit der mannichfaltigen Bildungselemente dem großen Ganzen zu . Auch im Sprachleben geht das Heil nicht ans dem Despotismus einer alleinseligmachenden Universalsprache hervor , sondern aus dem einträchtigen Wetteifer aller Cul - turfpracheu nach dem Einen , wenn auch in tausend Formen und Gestalten angeschauten Cnlturideal .
Die Weltgeschichte bietet zahlreiche Belege für dieses Verhältniß . Die Centralherde derCultur waren immer
alten Indien .
da , wo sich verschiedene Culturspracheu kreuzten . Im alten Babylon galten gleichzeitig das Assyrische , das Himja - ritsche und das Phönizische . Und wieder war es tausend Jahre später auf demselben Cnltnrboden unter den Sassani - den der Wetteinfluß des Syrischen und Griechischen , wel - cher im Verein mit dem Huzvaresch die neue Culturmis - sion des persischen Reiches eröffnete . Einige Jahrhunderte später treten dann unter dem Chalifat zu diesen Culturspra - cheu noch das Arabische und Indische hinzu . Ju Aegyp - ten wirkten früh fchon die einheimische Sprache und die griechische als gleichberechtigt neben einander . In Indien und Griechenland vertraten die zur herrlichsten Jndividnali - tät ausgebildeten Dialekte die Stelle fremder Culturspracheu .
Am herrlichsten und großartigsten entwickelt sich aber dieser Wetteifer verschiedener Culturspracheu zur Erreichung des nämlichen Zieles im neuern Europa . Hier ist es bereits schon zur Modesache geworden , neben seiner Muttersprache noch zwei oder drei Sprachen zu sprechen und verschiedene andere wenigstens noch zu verstehen . Jeder Gebildete , in Deutschland wenigstens , spricht und versteht gegenwärtig neben seiner Muttersprache noch das Französische oder Eng - tische , häufig auch das Italienische oder dafür das Spanische oder , seltener , das Portugiesische . Je nach der westlichen , östlichen oder nördlichen Abkunft eines Europäers können sich dann zu den genannten Sprachen auch uoch andere ge - sellen . Allen gebildeten Europäern ist aber überdies die genaue Kenntniß des Lateinischen und meist auch des Grie - chischen unerläßlich . Eine solche Menge von Culturspra - cheu hat noch nie und nirgends auf denselben Culturherd eingewirkt . Der römische Dichter Ennius rühmte sich , drei Seelen in sich aufgenommen zu haben , weil er außer dem Griechischen auch noch Oskifch und Lateinisch gelernt hatte . Jeder gebildete Europäer verfügt aber heutzutage fchon über mindestens das doppelte Sprachcontingent .
Nun sind aber nicht allein die Kenntnisse , sondern auch die Kräfte der Menschheit in ewigem Wachsen begriffen . Und so läßt sich denn eine Zeit voraussehen , wo die Kenntniß und Uebung von mindestens ein Dutzend neben einander wirkender Cnltnrsprachen von jedem Höhergebildeten gefordert werden dürften .
Das gewaltige Reich der Mitte hat es annähernd zu einer Universalsprache gebracht . Aber gerade diese Allein - gültigkeit Einer Cultursprache läßt uns auch den tiefern Grund des entsetzenerregenden Stillstandes erahnen , in wel - chem die chinesische Geistesentwickelung seit so vielen Jahr - Hunderten verharrt . Während dort bis jetzt der Grund - satz herrscht : „ Es giebt nur Eine Cultur , die chinesische und das Chinesische ist ihr Prophet , " so halten wir uns dagegen an Göthe's Wahlspruch :
„ Laßt alle Völker unter gleichem Himmel Sich gleicher Habe wohlgemnth erfrenn . "
Ein Seebad im alten Indien .
Wir schreiben diese Zeilen auf Helgoland , wo ein glück - licher Zufall uns den 41 . foeben in Calcutta erschienenen Band des „ Journal os the Asiatic Society os Bengal " in die Hände gespielt hat . Der englische Arzt , welcher mit mir die erfrischenden Bäder der Nordsee genießt , hat neun Jahre in Calcutta gewohnt und ist Mitglied der erwähnten Gesellschaft . Als ich die Frage aufwarf , ob die Inder anch
mit den Seebädern vertraut wären wie wir , meinte jener , daß sie bereits deren erfrischende Wirkungen gekannt , als die Geschichte von einem Helgoland uoch nichts gewußt habe . Ja , all der Luxus , all die Vergnügungen , die in modernen Seebädern , wie Ostende oder Scheveningen , heute gaug und gäbe seien , hätten auch iu den altindischen Seebädern lange vor Christi Geburt geherrscht , natürlich in speciell indischer