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Full Text: Globus, 24.1873

Schilderungen aus ( Jakutin . 
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Schildern ngen 
Von einem 
6 . Alte Bekannte . 
Die Luft war heute Morgen besonders frisch und kühl aus der Maidan . Mein Diener hatte mich schou um halb sechs Uhr geweckt und meine Tasse Thee mit Gebäck ans Bett gebracht . Zur Morgenpromenade bedarf man keiner umständlichen Toilette . Ehe die Glocke vom Thurm der nahen St . - Johns - Kirche Sechs schlug , spazierte ich schou auf den noch ziemlich leeren Gängen der Maidan umher und sog die stärkende klare Morgenlust in langen Zügen ein . Die Bhiesties waren gleich mir in voller Arbeit . Da ich keine Lust hatte , mir meine weißen Beinkleider bespritzen zu lassen , auf dem stark bethauten Grase aber auch nicht gehen wollte , denn auch in Indien muß man sich vor nassen Füßen in Acht nehmen , schritt ich dem Gangesufer zu . Ueber dem Flusse lag noch dichter Nebel , aus dem nur hier und da eine Mastspitze auftauchte . Die Strahlen der auf - gehenden Sonne aber vertrieben den dunkeln Schleier bald . Ich fand den Strand fchon sehr belebt . Ist doch Ganga ji ( erhabene Ganga ) die große Göttin und Ganga mai ( Mutter Ganges <— der Ganges wird als Femininum betrachtet — ) die liebe Mutter , welche im Leben der thodoxen Hindus eine so große Rolle spielt . Ihr Wasser und Schlamm sowie ihre Ufer sind heilig . Reiche Hindus lassen sich , wenn auch Hunderte von Meilen entfernt , mit großen Kosten Gangeswaffer und - Erde holen , um sich da - mit zu waschen und ihre Stirn , auf der das Kann ( sal ) geschrieben steht , mit dem Schlamm zu bemalen und da - durch Vergebung ihrer Sünden zu erhalten . — Der sterbende Hindu ist dann einer glücklichen Seelenwanderung gewiß , wenn er am Ufer des Ganges halb im Wasser seinen letzten Seufzer ausgehaucht . Die Todteu werden hier verbrannt . Ganga snan ( Baden im Ganges ) ist ein Universalmittel gegen alle Sünden , auch die beiden unverzeihlichsten , welche selbst ein Gott nicht vergiebt , nämlich : Ganhatya und Brahmhatya ( Tödtuug einer Kuh uud eiues Brahmanen ) werden durch eine Abwaschung im Ganges gesühnt . Was Wnnder , daß der mittlere und niedere Stand der Hindube - völkerung , der gemeine Mann , welcher im Schweiß seiues Angesichts sein Brod saner verdienen muß , und von der menschenbeglückenden ( Zivilisation nichts weiß ( denn er kennt nur die von seinem Brahmanen vorgeschriebenen Religions - und Hausregeln ) , jeden Morgen , ehe er sein Tagewerk beginnt , seinen schmutzigen und sündigen Leib in die Finthen des Sünden und Staub abwaschenden Ganges taucht , um durch ein Körper - und Seelenbad sich den Tag über mit seinem Gewissen und den 33 Millionen Göttern des Hindnpantheons aus guten Fuß zu stellen . — 
Besonders dein weiblichen Geschlecht scheint daran viel gelegen zu sein , denn ich begegnete Schaaren von jungen Mädchen und Frauen der arbeitenden Classe , welche eben vom Bade kamen und ihre langen , schönen , dunkeln Haare in der Sonne trocknen ließen , dabei eifrig bemüht waren , ihre dünnen baumwollenen Saris ( das um die Hüfte gelegte Gewand ) , welche , vollständig durchnäßt , hartnäckig an ihren schlanken Gliedern klebten , zurechtzuzupfeu . Ebenso war der Strand besonders an den Ghäts ( Badeplätzen ) gedrängt voll 
aus Calcutta . 
Deutschen . 
von Frauen . Einige standen mit einem langen Stücke Zeug bedeckt bis an die Brust im Wasser und wuschen sich mit Flußschlamm den Kopf ; andere ölten sich am Ufer und leg - teu , weun sie noch ein Gewand besaßen , dasselbe au Stelle des naß gewordenen um ihre Lenden , wickelten ihr Haar in einen Knoten auf der rechten Seite des Hinterkopfs znsam - men und gingen lachend und schwatzend nach Hause oder au ihre Arbeit . Mehrere eben erst Angekommene brachten der Sonne ihre Libationen , indeul sie Wasser aus der hohlen Hand gegen dieselbe gewendet gössen und dann , sich nach den vier Himmelsgegenden verbeugend , ihre Gebete murmelten . — Der männliche Theil der Badenden war weniger zahlreich vertreten , bewegte sich aber mit ungleich mehr Geräusch und höchst ungenirt neben den Frauen . Dies Badeu ist ja ebeuso Religions - als Reiulichkeitsact , wozu sich also genireu ? Viele waren so versunken in ihre Abwaschungsceremonien , daß sie für Alles um sie her keine Aufmerksamkeit zu haben schienen . Mir fielen besonders zwei Brahmanen ans , welche nach beendetem Bade eine kleine Götterfabrik anlegten . Nachdem sie sich abgetrocknet und eine reine Dhoti ( Lenden - kleid ) um ihre Lenden gelegt , setzten sie sich nieder , ölten sich den Oberkörper , malten mit weißer Erde auf Stirn und Oberarm den Tilak ( senkrechte oder horizontale Striche an der Stirn ) ihrer Secte , banden das auf dem Hinterkopf stc - hengebliebene Haar , welches , da der übrige Theil des Haup - tes glatt rasirt war , unwillkürlich an eine Sealplocke er - innerte , kurz auf , und singen nun an einen Kloß Flußerde zu durchkneten . In ihren kuudigeu Händen gestaltete sich der letztere bald in kleine Figürcheu um , welche sie behutsam auf eine nahe trockene Stelle setzten , niederknieten und mit vor der Stirn zusammengelegten Händen anbeteten . Der Hindu nennt das einfach Puja ( Anbetung ) machen . Da sei - ner Meinung nach das göttliche Princip ( Sarbbyäpi ) alles durchdringend , allem innewohnend ist , so kann er auch jedes Ding zum Gegenstand seiner Puja machen , vor allem kann es der Brahmaue , welchem auch die Götter unterthan sind . — Ich hätte gern noch gesehen , was sie mit ihren selbstge - fertigten Götterchen nach beendeter Anbetung anfangen wür - den , aber die brennenden Strahlen der nun schou ziemlich hochgestiegenen Sonne mahnten mich , den Heimweg anzntre - teu . Mau badet um 8 und nimmt um 9 Uhr das Bara haziri ( großes Frühstück ) ein . Ich war eben nach Beendi - gnng des letztern dabei , einige Geschäftsbriefe zu beautwor - ten , als sich ein eingeborener Kaufmann , mit welchem ich seit lange in Verbindung stand , Babu Dasram ( Babu ist gleichbedeutend mit Herr , ein Titel , den jeder anständige und gebildete Hindu beansprucht ) , anmelden ließ . Er hatte von meiner Anwesenheit in Calcutta gehört , und da ihn der Weg nach seinem „ Ossice " bei meinem Gasthofe vorbeiführte , so benutzte er die Gelegenheit , mich für heute Abend zun : Diner einzuladen . „ Wir werden ganz allein fein , " sagte er mir beim Fortgehen , „ Sie werden nur meine Fran und einige meiner Freunde sehen , verwenden Sic also nicht erst über - große Sorgfalt auf Ihre Toilette und dergleichen . " ( Trotz der Hitze ist nämlich auch in Indien der Frack das Ge - sellschastskleid , man ist daher froh , wenn man in leichterer Garderobe erscheinen bnvf . )
	        
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