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Full Text: Globus, 72.1897

Kurt Hassert: Der Fuciner See einst und jetzt. 
1Ö6 
Der Fuciner See einst und jetzt. 
Von Kurt Hassert. 
II. 
3. Da der Fucino durch seine launenhafte Willkür 
und seine Jahre lang anhaltenden Überschwemmungen 
die Ufergegenden unaufhörlich bedrohte, die Felder in 
unergründliches Sumpfland verwandelte und die Be 
nutzung des zeitweilig trocken liegenden Bodens in Frage 
stellte, da er ferner ganze Ortschaften verschlang und 
bösartige Fieber zuiiickliefs, so galt er von jeher als der 
schlimmste Feind der Umwohner; und schon seit alters 
wurden zahlreiche Versuche unternommen, durch teil 
weise oder vollständige Trockenlegung der Wasserfläche 
das Übel einzuschränken oder ganz zu beseitigen. 
Zur Römerzeit war die Umgebung des Sees von den 
Marsern, den Helden des Bundesgenossenkrieges, be 
wohnt; und die wirtschaftlichen Schädigungen der Über 
schwemmungen wogen um so schwerer, als die Becken- 
sohle in dem rauhen, unfruchtbaren Berglande das 
einzige ertragreiche Ackerbaugebiet von gröfserer Aus 
dehnung darstellte. Die Eingeborenen glaubten, dafs 
im See der Gott Fucinus hause und bemühten sich, 
ihn durch Gebete, Opfer und Errichtung von Tempeln 
zu besänftigen. Als aber alles Bitten nichts half, wandten 
sie sich in ihrer höchsten Not an Julius Cäsar, der 
bereitwilligst Hülfe zusagte. Er hielt es für wichtig, 
das von Rom aus leicht und schnell erreichbare Binnen 
meer in eine Kornkammer zu verwandeln, weil es immer 
schwieriger ward, die rasch anwachsende Bevölkerung 
der Reichshauptstadt ausgiebig mit Nahrungsmitteln zu 
versehen. Er liefs einen Plan entwerfen, nach dem der 
schadenhringende See zum Liris abgeleitet werden sollte; 
doch ist es unentschieden, ob man ihn ganz entwässern 
oder blofs auf einer gewissen Höhe erhalten wollte. 
Leider wurde der weitblickende Staatsmann ermordet, 
ehe er diese und eine Reihe anderer wichtiger Aufgaben 
lösen konnte; und seine Nachfolger thaten nichts, um 
die bedrängten Uferbewohner aus ihrer drückenden Lage 
zu befreien. Wohl gingen letztere den Kaiser Augustus 
von neuem um Hülfe an und versprachen sogar die 
Kosten zu tragen, wenn ihnen der gewonnene Boden als 
Eigentum überlassen würde. Allein ihr Vorschlag ver 
wirklichte sich ebensowenig wie der später von Caligula 
angeregte Entwurf; und es vergingen 100 Jahre, bis 
Cäsars vierter Nachfolger, Claudius, der sich in kolos 
salen Unternehmungen gefiel, die Trockenlegung des 
Lacus Fucinus auszuführen beschlofs. 
Als der Kaiser seine Absichten laut werden liefs, 
boten sich ihm sofort mehrere Aktiengesellschaften an, 
die gegen Überlassung des dem See abgerungenen 
Landes die Entwässerungsarbeiten übernehmen wollten. 
Aber sein Vertrauter und Günstling Narcissus, ein Frei 
gelassener, der bei Claudius in hohem Ansehen stand 
und die willkommene Gelegenheit benutzte, sich auf un 
lautere Weise zu bereichern, überredete ihn, den Bau 
selbst auszuführen; und es wurden zwei Pläne ausgear 
beitet. Nach dem einen sollte das Binnenmeer in den 
Tiber abgelassen werden; und man hätte dabei nur 
nötig gehabt, den niedrigen Hügelzug von Cappelle zu 
durchstechen, um den See mit einem Tiberzuflusse, dem 
heutigen Salto, in Verbindung zu setzen. Da jedoch das 
lockere Erdreich der Anlage eines Kanals nicht günstig 
war, da obendrein der Salto höher lag als der See und 
da man endlich Überschwemmungen für Rom und den 
Tiber befürchtete, der ohnehin die Uferlandschaften 
durch seinen wechselnden Wasserstand unaufhörlich be 
drohte, so wurde dieser Gedanke wieder aufgegeben und 
der zweite Vorschlag, die Ableitung des Fucinus in den 
Liris, gutgeheifsen. Eine gänzliche Trockenlegung des 
Sees war nicht beabsichtigt, sondern sein Spiegel sollte 
nur um die Hälfte oder um drei Viertel seiner bisherigen 
Höhe erniedrigt werden. Narcissus wurde mit der Be 
aufsichtigung und Oberleitung der Arbeiten beauftragt. 
Den unterirdischen Kanal selbst, der zu den grofsartig- 
sten Werken des Altertums gehört und bis zur Durch 
stechung des Mont Cenis der längste Tunnel der Welt 
war, hat nicht er, sondern unzweifelhaft ein für seine 
Zeit hochbegabter Ingenieur erbaut; und es ist ein ge 
schichtliches Unrecht, dafs uns die über die Entwässerung 
berichtenden Schriftsteller Tacitus, Plinius, Dio Cassius 
und Sueton blofs den Namen des Claudius und des be 
trügerischen Spekulanten Narcissus, nicht aber den des 
Baumeisters überliefert haben. 
Da die Beschaffenheit der Umgebung die Anlage 
eines offenen Kanals ausschlofs, so griff man zu dem 
im Altertum unerhörten Auswege, einen unterirdischen 
Abzugsstollen zu graben. Wegen der durchaus unvoll 
kommenen Entwickelung der technischen Hülfsmittel 
mufste der dem Gotte Janus geweihte Mons Salvianus 
mit dem Meifsel, ohne Anwendung von Sprengstoffen, 
Dampfmaschinen und Präcisionsinstrumenten, durch 
brochen werden: eine Riesenarbeit, an der nach Sueton 
30 000 Sklaven 14 ) 11 Jahre lang ununterbrochen thätig 
waren. Die Baukosten verschlangen die ungeheure 
Summe von 250 bis 280 Millionen Lire, von denen ein 
grofser Teil in die Taschen des Narcissus flofs. Im Jahre 
52 nach Christi Gehurt war das gewaltige Werk voll 
endet und wurde seiner Bedeutung entsprechend unter 
glänzenden Feierlichkeiten eingeweiht, wobei der Kaiser 
eine blutige Seeschlacht, eine Naumachie, veranstaltete, 
die gröfste, die das Altertum je gesehen hat. Zwei 
Flotten von je 50 Schiffen stiefsen aufeinander, und 
19 000 Gladiatoren, Sklaven und verurteilte Verbrecher, 
die man aus allen Provinzen des weiten Römischen Reiches 
herbeigeschleppt hatte, mufsten sich auf Leben und Tod 
bekämpfen. Allein der erwartete Erfolg blieb aus, weil 
der Kanal dem Wasserabflufs nicht genügte und der 
Seespiegel infolgedessen nur wenig sank. Neue Arbeiten 
waren erforderlich, um den Querschnitt des Tunnels 
oder des Emissärs zu vergröfsern, und nach ihrer Voll 
endung fand ein zweites, weniger prunkvolles Ein 
weihungsfest statt. Diesmal ergossen sich die Fluten 
mit solchem Ungestüm in das unterirdische Bett, dafs 
sie alles mit sich fortrissen und durch ihren gewaltigen 
Druck das Mauerwerk des Kanals stellenweise zum 
Einsturz brachten. Nach Tacitus’ Bericht erbebten die 
Berge, die entsetzten Zuschauer flohen eiligst davon, und 
das Schauspiel endete mit Schrecken und Verwirrung. Der 
See fiel rasch um 4 4 / 2 m, dann hörte der Abflufs wieder 
auf; und wenn auch der Tunnel im allgemeinen seinen 
Zweck erfüllte, indem ein breiter Uferstreifen nicht mehr 
von schadenbringenden Überschwemmungen heimgesucht 
ward, so bedurfte es ständiger Überwachung und Nach 
besserung, um die Thätigkeit der mühsam fertig ge 
stellten Entwässerungsanlage nicht in Frage zu stellen 
Da der Bau des Emissärs von den verschiedensten 
14 ) Diese Angabe wird neuerdings, wie es scheint, aber 
ohne Grund, von einigen angezweifelt. 
Globus LXXII. Nr. 7. 
14
	        
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