Dr. E. Herrmann: Höhenobservatorien
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Höhenobservatorien.
Von Dr. E. Herrmann. Altona.
Zwei Ziele sind es besonders, die zur Errichtung von
Observatorien in gröfseren Höhen auch an sonst un
bewohnten Orten der Erde die Veranlassung geben. Das
eine ist die Erforschung der meteorologischen Verhältnisse
in den höheren Luftschichten, um dadurch einen Einblick
in die Mechanik der atmosphärischen Vorgänge zu ge
winnen ; das andere ist die Befreiung astronomischer
Beobachtungen von den störenden und abschwächenden
Einflüssen der unteren Teile der Atmosphäre. Je nach
der Art der astronomischen Beobachtungen handelt es
sich dabei entweder darum, dieselben unmittelbar unter
günstigeren Verhältnissen auszuführen oder in Verbin
dung mit tiefer gelegenen Stationen die Einflüsse der
Atmosphäre, insbesondere ihre Absorption und Réfrac
tion der Licht- und Wärmestrahlen zahlenmäfsig festzu
stellen und danach die wirkliche Strahlung und die wirk
liche Stellung der Himmelskörper zu bestimmen. Dazu
treten noch Schweremessungen durch Pendelbeobach
tungen , deren Ausführung auch den Astronomen oder
den aus ihnen hervorgehenden Geodäten zufällt.
Die Umstände, welche die Wahl eines Stationsortes
bestimmen, sind zum Teil verschieden für die astrono
mischen und die hauptsächlich meteorologischen Höhen
observatorien.
Eine Schrift von Edward S. Holden, dem Direktor
der Lick-Sternwarte auf dem Mount Hamilton in Cali
fornien: „Mountain Observatories in America and Europe“
(Washington, published by the Smithsonian Institution,
1896) behandelt vorzugsweise die astronomischen Ob
servatorien. Die folgenden Thatsachen sind zum gröfseren
Teile dieser Schrift entnommen.
Von dem Gipfel eines hohen Berges von etwa 3000 m
Höhe aus gesehen erscheinen die Sterne viel glänzender
als vom Meeresniveau aus. Dieses hellere Erglänzen
ist indessen nicht gleichmäfsig über dem ganzen Himmel.
In der Umgebung des Zenits ist der Unterschied nur
gering, während die Sterne nahe dem Horizonte etwa
2 1 / 2 mal heller sind als am Meeresniveau. Einen sehr
lebhaften Eindruck eiTiält ein Beobachter, der zum
erstenmale von einem hohen Gipfel aus einen klaren
Nachthimmel sieht, durch den verstärkten Glanz der
Sterne und der Milchstrafse bis nahe an den Horizont.
Auch der Tageshimmel erhält ein verändertes Aussehen ;
in den Sierras Nordamerikas und dem Felsengebirge ist
bei einer Erhebung von 4500 m an einem wölken- und
rauchlosen Tage der Himmel violet, nicht blau.
Wenn die Sterne nicht nur wegen der gröfseren
Durchsichtigkeit der Luft glänzender, sondern gleich
zeitig wegen der gröfseren Ruhe der Atmosphäre stetig
sind, d. h. weniger funkeln, werden die Vorzüge einer
Bergstation für astronomische Zwecke sehr grofs ; denn
ein ruhiges Erscheinen der Himmelskörper ist für den
gröfsten Teil der astronomischen Arbeit wesentlich. Ein
scheinbares, schnelles Hin - und Herbewegen macht an
sich, besonders aber in der Vergröfserung durch das
Teleskop eine sichere Beobachtung unmöglich und giebt
auf der photographischen Platte natürlich ein undeut
liches Bild. Ein Vorzug der Höhenstationen ist auch
der, dafs erst sie eine völlige Ausnutzung der sehr
stark vergröfsernden Fernröhre möglich machen, indem
an ihnen die wegen der gröfseren Helligkeit der Ge
stirne lichtstärkeren Bilder manche Einzelheiten erst er
kennen lassen. Bei einer gekrümmten Schichtung der
Atmosphäre, welche bei unruhiger Luft statthat, sind
die das Objektiv des Fernrohrs treffenden Lichtstrahlen
aber nicht mehr genau parallel; bei einem stark ver
gröfsernden Fernrohr mufs das Okular daher eine andere
Einstellung haben als bei parallelen Strahlen. Wechselt
nun bei unruhiger Luft die Krümmung der Luftschichten
fortwährend, so miifste auch das Okular fortwährend
neu eingestellt werden, um ein klares Bild zu erhalten;
dies ist natürlich nicht ausführbar. Höherer Glanz und
Ruhe der Gestirne fallen keineswegs notwendigerweise
zusammen. Dies zeigt sich oft, wenn ein Nebel sich
langsam in der Atmosphäre bildet. Während bei zu
nächst klarem Himmel z. B. beide Teile eines Doppel
sternes sehr glänzend erscheinen, aber so funkeln, dafs
Messungen ihrer Entfernung schwierig zu machen sind,
verlieren sie an Helligkeit, wenn der Nebel ankommt.
Aber eine zweite Wirkung der Nebelbildung ist, die Tem
peraturen der verschiedenen Schichten der Atmosphäre
auszugleichen, wodurch die Ruhe des Gestirnes ver-
gröfsert wird.
Da die Stetigkeit der Gestirne im allgemeinen von
einer horizontalen Schichtung der Luft in Bezug auf
ihre Temperatur, Feuchtigkeitsgehalt und Bewegung be
dingt ist, so wird ein Beobachter auf ausgedehnten
ebenen Flächen, wie auf den Steppen Rufslands, einer
kleinen Insel im tropischen Ocean oder den Ebenen der
Lombardei, vielfach günstigere Verhältnisse an treffen
als in den Gebirgsgegenden. Um einen für astronomische
Beobachtungen günstigen Höhenort zu wählen, bedarf
es also vorher der sorgfältigen Prüfung des Ortes in
Bezug auf Durchsichtigkeit und Stetigkeit der Atmo
sphäre bei klarem Himmel. Dazu tritt selbstverständlich
auch die Frage der Häufigkeit und Beständigkeit des
klaren Wetters, denn die Vorbereitung mancher astrono
mischen Beobachtungen erfordert viel Zeit und diese
Zeit geht verloren, wenn die Beobachtungen selbst
alsdann durch Nebel oder Wolken verhindert werden.
Als materielle Nachteile der Höhenstationen sind be
sonders hervorzuheben die grofsen Kosten und die per
sönlichen Affektionen, welche die Beobachter in den
grofsen Höhen erfahren.
Die Kosten sind sowohl grofs für die Errichtung
passender und sicherer Gebäude in solchen Lagen, als
auch für ihre Erhaltung. Ferner sind die Transport
kosten für die Einrichtung und Verproviantierung sehr
hoch; sie betragen z. B. nach dem Gipfel des Mont
Blanc für das Kilogramm 2,60 Fr. Die Wasserver
sorgung ist meist schwierig; sie kann an manchen Orten,
wie auch auf dem Mont Blanc, nur durch Schmelzen
von Schnee und Eis erzielt werden und zwar kann
unter Umständen nur die augenblicklich gebrauchte
Menge Wasser gewonnen werden, da man sich dem
aussetzt, dafs vorrätiges Wasser während der Nacht ge
friert. Das Brennmaterial mufs in solchen Fällen aber
erst nach dem Observatorium hin transportiert werden,
so dafs auch die Wassergewinnung sehr kostspielig wird.
Schneeblindheit und Kälte erschweren die Beobach
tungen in hohem Grade. Während der Beobachtungen
mit dem Fernrohre kann das Auge nicht durch eine
Schneebrille geschützt werden. Wenige Stunden des
Gebrauchs der ungeschützten Augen kann Schneeblind
heit erzeugen und wenn auch durch geeignete Waschungen
die wirkliche Blindheit in etwa einem Tage geheilt
wird, so bleibt das Auge doch für lange Zeit schwach
und angegriffen. Die strenge Kälte zwingt auch die