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F. Grabowsky: Lokalformen vorgeschichtlicher Geräte.
Lokalformen vor geschichtlich er „Geräte.
Von Museumsassistent F. Grabowsky.
Unter dem Namen „grattoir à bec“, also „Schnabel
schaber“, beschrieben die Herren Dr. Capitan und Abbé
Brung vor einiger Zeit eine neue Schaberform 1 )) die
der letztere in vier Stücken als Oberflächenfunde auf
dem Plateau in der Umgebung von Chaumussay (Indre-
et-Loire) gesammelt hatte, und die wahrscheinlich der
jüngeren Steinzeit angehören.
Aus den beifolgenden Figuren A und B ist die Form
der Schaber ersichtlich. Ich bin nun der Ansicht, dafs
A B
es dem Verfertiger dieser Stücke weniger darum zu
thun gewesen ist, durch die sekundäre Bearbeitung die
schnabelförmige, bald rechts, bald links sitzende Spitze
herzustellen, sondern dafs zufällig so gestaltete Feuer
steinlamellen zu einer Verbindung von Rund- und Hohl
schaber bearbeitet wurden und gute Dienste leisteten,
während die seitlich gelegene Spitze kaum irgend welchen
Wert für den Schaber haben dürfte. Bei Figur A ist
deutlich ersichtlich, dafs die Rundung zum Hohlschaber
durch Dengelung vervollständigt ist, während beim
Schaber B auf der linken Seite durch einen Schlag von
der Basis des Stückes ein langer Span abgehoben
wurde, der nur zufällig eine so runde Form hat annehmen
können. Man kann daher kaum von einem neuen Typus
sprechen, vielmehr möchte ich darin nur eine Lokal
form sehen, die dem Zufall ihr Entstehen verdankte;
dafür würde auch das seltene Vorkommen sprechen.
Die Herren Capitan und Brung weisen selbst darauf hin,
dafs ihr „grattoir à bec“ sofort an den interessanten
Typus erinnert, den Salmon auf Fundstellen der Époque
magdalienne gefunden und „bec de perroquet“ genannt
hat. Auch dieser Typus soll übrigens selten sein. —
Die Herren wollen den „grattoir à bec“ nicht mit dem
grattoir-burin verwechselt wissen, der auf Fundplätzen
der Époque magdalienne häufig vorkommt und an der
einen Seite einen Schaber (grattoir) und an der anderen
einen Kratzer (burin) zeigt.
Eine sehr eigenartige, bisher aus der Litteratur mir
nicht bekannte Schaberform, für welche ich die Bezeich
nung „trapezförmiger Schaber“ in Vorschlag
bringe, fand ich im Frühjahr 1896 auf einer sehr er
giebigen Fundstelle „am Dowesee“ nördlich der Stadt
Braunschweig, und zwar drei Stücke, Fig. 2, 4 und 6.
(Fig. 2a, 4a und 6a zeigt dieselben Stücke von der Rück
seite.) Fig. 2 ist das am besten erhaltene Stück, aus
einem grauen, undurchsichtigen Feuerstein gearbeitet, *
x ) Un nouveau type d’instrument: le grattoir à bec; in
Bulletins de la Société d’Anthropologie de Paris. 4. Serie :
Tom. YII (1896), p. 373ff. nebst zwei Textfiguren.
die Oberseite zeigt zwei Spaltflächen, die Unterseite,
wie bei allen übrigen Stücken, nur eine Spaltfläche mit
stark entwickeltem Schlagkegel. Drei Seiten sind durch
saubere Dengelung annäherd geradlinig gestaltet und
gleichzeitig geschärft, die vierte Seite, die wahrscheinlich
in einem Holzgriff befestigt wurde, ist in der Mitte
etwa 7 mm dick und fällt nach der Rückseite zu schräg
ab. Dringend notwendig war übrigens eine Schäftung
dieses Schabers nicht, er läfst sich, wie ein Versuch
lehrt, vermittelst des Daumens und Zeigefingers sehr
gut festhalten und benutzen. Ein ursprünglich fast
gleiches, jetzt leider sehr abgenutztes und zum Teil zer
brochenes Stück ist Fig. 4, 4a. Die Spaltflächen auf
der Oberseite verlaufen in entgegengesetzter Richtung
wie bei dem vorigen ; namentlich von der Rückseite be
trachtet, ist die Identität beider Stücke zweifellos. Das
Stück ist aus grauem, etwas geflecktem Feuerstein gear
beitet. Das dritte Stück, Fig. 6, 6a, hat schon durch die
Spaltflächen die Form erhalten, eine Dengelung bat nur
in ganz beschränktem Mafse stattgefunden. — Bei
Durchsicht meiner Sammlung fand ich dann später,
unter Feuersteingeräten, die vom Herrn kaiserl. Bank
assistenten M. Teige (jetzt in Duisburg) in der Nähe
von Melverode gefunden und mir übergeben waren, ein
Stück, das in Fig. 1, la abgebildet ist. Man sieht auch
schon auf der Abbildung auf den ersten Blick, dafs es
sich um dieselbe trapezförmige Form, mit fast gerad
linigen Seiten handelt. Das Material, aus dem das Stück
gefertigt, ist etwas gröber und dunkler als bei den
bisher genannten Stücken. Später fand dann noch Herr
Dr. med. C. Haake auf der Düne des alten grofsen Exer
zierplatzes (jetzt Prinzenpark) bei Braunschweig ein
Stück (Fig. 3, 3a), das zwar stark abgenutzt ist, aber
aus ganz ähnlichem Material, — man ist fast geneigt
anzunehmen, aus demselben Feuersteinknollen — her
gestellt ist wie Fig. 2, 2a. Zwei Stücke fand derselbe
aufserdem auf den Spargelfeldern von Cbarlottenhöhe bei
Richmond, also gar nicht weit (etwa 0,5 km) von der
Melveroder Fundstelle. Es sind dies die Stücke 5 und 7
(5a, 7a). Das zuletzt genannte, nur zur Hälfte erhaltene
Stück weicht insofern von den bisher beschriebenen ab, als
es fast noch einmal so dick wie diese ist und drei ganz
regelmäfsig parallel verlaufende Spaltflächen auf der
Oberseite aufweist. Doch gehört es wohl sicher in die
selbe Kategorie der Schaber. Ein auch hierher gehören
des, sehr flaches, stark vom Feuer durchglühtes, milch-
weifses, von feinen Sprüngen durchsetztes Stück fand
Herr Dr. Haake in jüngster Zeit auf einem Abhang der
Asse. — Von diesem letzten Stück abgesehen, haben
sich die beschriebenen Stücke auf einem verhältnismäfsig
eng begrenzten Raum gefunden, denn die beiden am
weitesten voneinander liegenden Orte Melverode und
Dowesee sind nur etwa 6 km, Charlottenhöhe und alter
grofser Exerzierplatz nur etwa 3,5 km, letzterer und
Dowesee ebensoweit voneinander entfernt. Wir haben
es hier meiner Meinung nach auch nur mit einer
Lokalform zu thun, die gelegentlich für einen be
sonderen Zweck hergestellt, sich für denselben wohl
zweckmäfsig erwies und so in einem beschränkten Kreise
Verbreitung fand. — Die übrigen abgebildeten Schaber,
Fig. 8 bis 14 (und 8a bis 14a), sind die gewöhnlichen
abgerundeten Schaberformen, die ich neben den trapez
förmigen auf den Spargelfeldern an der Dowesee fand
und die auch sonst überall auf neolithischen Fundstellen
gefunden werden.