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Aus allen Erdteilen.
Zehe und darauf von der Spanne des Fufses auf den ersten
Schnitt das Obsidianmesser leicht und sicher eindringen
liefs. Dann vertiefte er beide Einschnitte, indem er geschickt
die Verletzung von Adern und Sehnen vermied. Während
der eine nun die Wunde stark prefste, wusch der andere die
Wunde von Eiter und Serum rein und stillte den Blutstrom
mit dem Zeugschabsei. Obgleich dem Patienten dabei der
Schweifs auf die Stirn trat, und er leichenblafs wurde,
ertrug er ruhig den Schmerz. Die alten Chirurgen schnitten
dann mit den Messern das wilde Fleisch und anderes abge
storbenes Gewebe weg, ohne Adern, oder Sehnen zu verletzen,
bis sie den Knochen frei gelegt hatten, und als sich das
Periosteum entzündet und verfärbt zeigte, kratzten sie das
selbe so weit weg, bis jede Spur von Mifsfärbung entfernt
war. Nachdem dann für einen Augenblick ein kleiner Fetisch,
ein eiförmiger Medizinstein von gebändertem Aragonit, in die
Wunde gelegt war, wurde dieselbe tüchtig ausgewaschen
und mit der roten Flüssigkeit des Weidenaufgusses vermittelst
des Mundes besprengt. Dann wurde alles gut abgetrocknet
und wieder mit der roten Flüssigkeit besprengt. Zuletzt
wurden die Öffnungen mit Pinongummi aufgefüllt, der in der
Hand weich gemacht worden war, und mit ebensolchem
Gummipflaster wurde die Wunde verklebt. Dann wurde der
ganze Fufs dick mit einem gelben Pollenpulver und Wurzel
pulver eingefärbt und darauf ganz sacligemäfs bandagiert.
Die ganze Operation ging von Anfang bis zu Ende sacli-
gemäfs vor sich. Jeden Tag wurde dann die Wunde in
gleicher Weise behandelt, der Patient mufste diät leben,
d. h. alle Fleischspeisen vermeiden, durfte in den ersten vier
Tagen kein Salz geniefsen und war erstaunlich schnell wieder
hergestellt.
— Hinterindien. Im Süden der Boute, welche Prinz
Heinrich von Orléans auf seiner Beise von Tonking nach
Assam verfolgte, liegt noch ein grofses unerforschtes Gebiet,
zu Ober-Burma gehörig, wo die Quellflüsse des Irrawaddy
zusammenströmen. Dorthin drang zuerst im Februar dieses
Jahres der englische Leutnant Eidred Pöttinger vor, dem
es auch gelang, eine Aufnahme der Nam Kha, des östlichen
Quellenarms des Irrawaddy, zu machen. Weiterhin wanderte
er durch das Land der Katschin, von wo er, östlich sich
wendend, nach dem oberen Salwin Vordringen wollte. Bei
26° 45' nördl. Br. erreichte er den letzten gröfseren Zuflufs
des Nam Kha im Lande der „schwarzen Maru“, einem Kat
schinstamme , dessen dunkle Färbung von einer dunklen
Schmutzkruste herrührt. Nördlich vordringend konnte Pöt
tinger seine Aufnahme mit der Boute des Prinzen von Or
léans verbinden, weitere Arbeiten wurden aber durch einen
Überfall der schwarzen Maru verhindert, bei welchem mehrere
von Pottingers Leuten umkamen. In Eilmärschen erreichte
er chinesisches Gebiet und langte am 19. Juni in Myitkyina
an. Karten und Tagebücher wurden glücklich gerettet.
— Während die Usambarabahn in Deutscli-Ostafrika ins
Stocken geraten ist, schreitet die britische Bahn von Mom-
ba^J^is zum Yictoriasee rüstig vorwärts, wie aus einem
Berichte an das Parlament zu ersehen ist, welcher allerdings
auch die grofsen Schwierigkeiten des Baues erkennen läfst.
Alles war an Ort und Stelle aus weiter Ferne zu Schiff heran
zuschaffen , da man vollkommen wildes Land an der Küste
fand, auf dem die ersten Hütten zu erbauen waren; ja, auch
die Nahrungsmittel für die Arbeiter mufsten anfangs auf dem
Seewege bezogen werden. Man begann im Mai 1896 mit der
Errichtung einer Schiffslände an dem schönen Hafen von
Kilindini, auf dessen Insel die Anfangsstation sich erhebt, bei
der auch die Verwaltungsgebäude errichtet wui'den. Eine
hölzerne Brücke wurde alsdann nach dem Festlande geschlagen.
Am meisten Schwierigkeiten bereitete im Anfang die Trink
wasserversorgung, da die Quellen und Brunnen nicht genug
lieferten und Kondensations - Maschinen aufgestellt werden
mufsten. Jetzt sind schon 14 Lokomotiven und 225 Eisenbahn
wagen auf den weit ins Innere vorgeschobenen Schienen im
Gange. Viel hatten die Ingenieure und Arbeiter unter dem
ungesunden Klima zu leiden. Vom Dezember 1896 bis Fe
bruar 1897 waren fast alle erkrankt. Die Hälfte der indischen
Kulis lag am Fieber darnieder und die andere Hälfte litt an
Geschwüren. Die aufgewandten Kosten für die Bahn betrugen
bis Ende März 1897 nicht weniger als 7 820 000 Mark.
— Auf einer Forschungsreise hat Professor Starr, der
bekannte Leiter der anthropologischen Abteilung der Univer
sität Chicago, die „Cueva Pintada“ genannte Höhle besucht,
in der sich Malereien in roter, schwarzer und weifser Farbe
vorfinden, in denen die Kachinas oder heiligen Tänze dar
gestellt sind. Manche Forscher wollen dieselben auf azteki-
schen Einflufs zurückführen, während Professor Starr der
Meinung ist, dafs sie von den Vorfahren der Cochitis her
rühren, die nichts mit den Vorfahren Montezumas zu thun
haben. Die Spitze der Mesa, „Potrero de las Vegas“ genannt,
liegt noch 300 m oberhalb der Höhle. Man übersieht von
oben den Cañón des Bio Grande. Für Thiere, mit Ausnahme
der Bergziege, ist das Plateau ganz unzugänglich und nur
mit grofser Mühe und Gefahr für Menschen erreichbar.
Zahlreiche für die Wissenschaft wertvolle Gegenstände wurden
oben von Starr entdeckt, u. A. zwei sehr lebenswahre Stein
bilder von Panthern, umgeben von einem Kreis geschliffener
Steine. Auch wertvolles anthropologisches Material von den
Puehloindianern brachte Professor Starr von seiner Beise heim.
— Über den Weinbau der Börner handelt das Pro
gramm 1897 der Bealschule vor dem Lübeckerthor zu Ham
burg von Paul Weise. Verfasser hält es für wahrscheinlich,
dafs die Pflege des Weinstockes nicht erst von den
Griechen zu den Italikern gekommen sei, sondern sich bei
ihnen selbständig entwickelt habe, wie auch die Bereitung
des Weines selbst. Natürlich wird die letztere sehr einfach und
'roh gewesen sein. Erst durch die Eroberungszüge der Börner
aufserhalb Italiens und die genaue Bekanntschaft mit den
Griechen wurde dann die Kultur des Weinstockes und die Be
handlung des Traubensaftes auf eine vorher nie gekannte Höhe
gehoben und Weine erzeugt, welche die Lohsprüche ver
dienten, die ihnen die römischen Dichter in reichem Mafse
gespendet haben. Kein Land ist auch so geeignet, das erste
Weinland Europas zu werden, wie Italien, da Boden und
Klima den Bebenwuchs in gleicher Weise begünstigten. Von
den bekannten Varietäten von Vitis vinifera kommen zum
Beispiel auf Deutschland 59, auf Frankreich und Algier 140,
auf Italien mit Sicilien, Piemont und Sardinien 276 Arten.
Auch im Altertum hat man bereits früh angefangen, die ver
schiedenen Varietäten der Trauben zu unterscheiden und zu
benennen; da die eingehende Beschreibung der einzelnen
Spielarten fast durchgehends aber fehlt oder mindestens sehr
ungenau ist, gehören die Versuche zu entscheiden, ob und mit
welchen unbekannten Varietäten die den Alten bekannten
Arten übereinstimmen, zu den resultatlosen Untersuchungen,
zumal noch dazu kommt, dafs die Beben ungemein leicht
variieren und im Laufe der Jahrhunderte zahllose neue
Spielarten gebildet haben werden, während andere ausstarben.
Immerhin ist der Versuch Weises, etwas Klarheit in diese
Materie zu bringen, mit Freuden zu begriifsen, zumal Ver
fasser verlieifst, den ganzen weitschichtigen Gegenstand an an
derer Stelle ausführlich im Zusammenhänge zu behandeln.
E. B.
— Seit dem Jahre 1874 haben Ingenieure des topogra
phischen Bureaus in der Schweiz wissenschaftliche Unter
suchungen am Bhönegletscher ausgeführt. Über diese
Arbeiten berichtet Professor Forel der Geographischen Ge
sellschaft in Paris (Comptes rendus 1897, p. 212). Die Unter
suchungen verfolgten das doppelte Ziel, 1. eine topographische
Karte in grofsem Maisstabe herzustellen, die, basiert auf aus
reichend sicherer Triangulation, die Einzelheiten der Struktur
des Gletschers und ein Belief in aufsergewöbnlicher Weise
zur Darstellung brächte, und 2. die Bewegungen des Gletschers
zu studieren. Um dies zu ermöglichen, wurden im Jahre 1874
in vier Querprofilen Beihen von Steinen in kurzer Entfernung
nebeneinander in den Gletscher eingefügt; jede Beihe bildete
ungefähr eine gerade Linie und um die Bewegung der Steine zu
kennzeichnen, erhielt jede Beihe einen verschiedenen Ölfarben
anstrich, die oberste Beihe in 2560 m Höhe wurde rot, die zweite
in 2410 m gelb, die dritte in 1860 m grün und die unterste in
1830 m Höhe schwarz gestrichen. — An diesen Linien sind
von 20 zu 20 m Entfernung grofse Steine mit eingehauenen
Nummern aufgestellt, deren Höhe in jedem Jahre genau ge
messen wird, um die Wellenbewegung des Gletschers festlegen
zu können. Die Bewegung ist eine langsame, sie übersteigt
nicht 70 cm pro Tag und nicht 250 m pro Jahr. Die Schnellig
keit der Gletscherränder ist sehr viel geringer als die der
Gletscherachse, sie wechselt übrigens in den verschiedenen Be-
gionen, indem die gröfste Schnelligkeit in der Nähe der
Schneegrenze liegt, während sie am Beginn fast gleich Null
ist. Sehr lehrreich war eine Beobachtung, die an der 400 m
hohen Eiskaskade zwischen Belvédère und Saas gemacht
wurde; die Linie der grünen Steine hat dieselbe von 1881 bis
1885 durchquert und gelangte dann wieder in regelmäfsiger
Anordnung an die Oberfläche des Gletschers. Die Schnellig
keit der Bewegung betrug hier also 250 m im Jahre; Wasser
würde denselben Weg in 9 Sekunden zurücklegen, zu dem
das Eis 4 Jahre gebrauchte. Der Unterschied in der Schnel
ligkeit verhält sich also wie 1 : 14 Millionen.
Verantwortl. Redakteur : Dr. R. Andree, Braunschweig, Fallersleberthor-Promenade 13.— Druck: Friedr. Vieweg u. Sohn, Braunschweig.