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Full Text: Globus, 72.1897

A. Vierkandt: Die Indianerstämme Brasiliens und die allgemeinen Fragen der Anthropologie. 13? 
Leipziger Anthropologen Emil Schmidt in seinem Hand 
buch („Anthropologische Messungen“, S. 183) empfohlen 
wird. 
Seiner Grundanschauung gemäfs hat daher Ehren 
reich in seinem Werke eine möglichst eingehende Be 
schreibung aller körperlichen Merkmale und Eigen 
schaften der von ihm untersuchten Indianer geliefert, 
sowohl der mefsbaren wie derjenigen , die sich nur be 
schreiben lassen. Da aber der Gesamt 
eindruck sich nie durch eine blofse 
Aufzählung einzelner Eigenschaften er 
schöpfen läfst, so bildet die Fülle von 
Typenhildern — teils Köpfe, teils Voll 
bilder —, die in meisterhafter Aus 
führung dem Werke beigegeben, viel 
mehr als einen blofsen künstlerischen 
Schmuck, nämlich einen wesentlichen 
Bestandteil der Arbeit. Es versteht 
sich, dafs eine so erschöpfende Be 
schreibung nur unter günstigen äufseren 
Umständen und nur bei aufserordent- 
lich viel Fleifs und Sorgfalt durch 
führbar ist, und man begreift unter 
diesem Gesichtspunkte die Neigung 
der Anthropologie zur Bevorzugung 
einzelner Merkmale leicht aus ökono 
mischen Gründen. Dafs diese Art, 
sich auf das Auge, auf das Gesamtbild, 
auf den künstlerischen Totaleindruck 
zu verlassen, ihre tiefe Berechtigung 
hat, ist unbestreitbar. Wollte man 
ihr den Vorwurf der „Subjektivität“ 
machen, so könnte man dem entgegen 
halten, dafs die Bevorzugung ein 
zelner Merkmale wegen der verschie 
denen Möglichkeiten ihrer Auswahl 
und der genaueren Art der Messung 
im einzelnen mindestens ebenso sub 
jektiv ist, so lange wir nicht über 
die symptomatische Bedeutung ein 
zelner Körpermafse genau unterrichtet 
sind. Bei der Neigung des mensch 
lichen Geistes zur mathematischen 
Ausprägung seiner Vorstellungen 
könnte man übrigens auf den Ge 
danken kommen, auch den anthropo 
logischen Gesamteindruck in festen 
Zahlen niederzulegen. Man müfste 
dazu aus einer grofsen Menge ein 
zelner Zahlenwerte allgemeine Mittel 
bilden, die jenem Gesamteindruck ent 
sprächen. Einen Versuch in dieser 
Richtung hat jüngst Koppen in dieser 
Zeitschrift unternommen 3 ), und die 
Karte, in der er seine Ergebnisse nieder 
gelegt hat, hat den Vorzug, dafs sie 
sowohl die Eigenartigkeit und Selbständigkeit der ein 
zelnen Rassen zum Ausdruck bringt, als auch der That- 
sache ihrer fliefsenden Übergänge gerecht wird. 
Die brasilianischen Indianerstämme, die Ehrenreich 
in seinem Buche von der anthropologischen Seite be 
handelt, sind auch in ethnographischer Hinsicht 
uns erst neuerdings bekannter geworden 4 )- Altere 
Zeiten sahen hier nichts als einen regellosen Haufen 
einzelner kleiner Stämme. Erst Martius vermochte eine 
Anzahl von ihnen zu zwei Gesamtgruppen, den Tupi 
und Ges, zusammenzufassen. Ein dringenderes Licht 
brachten aber erst die Reisen Karls von den Steinen 
und Ehrenreichs in den achtziger Jahren. Sie lehrten 
uns vor allem zwei weitere grofse Familien kennen: 
die Karaiben und die Maipure oder Arowaken. Worauf 
gründete sich nun diese Gliederung der brasilianischen 
Stämme ? Der Körperbau ist nicht in erster Linie ent 
3 ) „Globus“, Bd. 68, S. 1 flg. 
4 ) Ehrenreicli in Petermanns Mitteilungen, Bd. 37, S. 81 
bis 89 und 114 bis 124. 
Fig. 2. Paumari. 
scheidend, ja die anthropologische Einteilung durch 
kreuzt, wie wir sehen werden, die ethnographische sogar 
in ausgeprägter Weise. Eben der letztere Umstand er 
schwerte die Erkenntnis der Thatsachen sehr, solange 
man sich nicht entschlofs, lediglich nach ethnographischen 
Gesichtspunkten zu gliedern und es hierzu an einem 
geeigneten und hinreichend bekannten Hülfsmittel ge 
brach. Ein solches haben neuerdings die Sprachen 
abgegeben. Allerdings ist bei ihnen für Einteilungs 
zwecke bekanntlich der grammatische Bau viel wichtiger 
als der Wortschatz, weil der letztere sich durch Ent 
lehnungen bei Berührung mit anderen Sprachen viel 
leichter als der erstere umgestalten kann. Leider sind 
18 
Globus LXXII. Nr. 9.
	        
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