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Full Text: Globus, 72.1897

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Die Reise des Prinzen Heinrich von Orléans von Tonking nach Vorderindien 
Fig. 6. Junges Lissu-Mädchen. 
dem entsprechend auch reich mit Altären versehen. — 
Die Bevölkerung der Gegend hält sich in wenig ein 
ladenden Dörfern auf. Ihre Häuser sind sämtlich Holz 
bauten, deren Wände aus stärkeren Seitenpfählen mit 
Bambusfüllung bestehen. Das Dach ohne Schornstein 
trägt eine ziemlich nachlässig gefertigte Decke von Palrn- 
blättern. Der Eingang liegt meist so hoch, dafs man 
erst über eine Stiege in das Innere gelangen kann. Dort 
sieht es durchweg ärmlich aus, da es fast ganz an Mo 
biliar — nach unseren Begriffen — fehlt. Das Schlaf 
zimmer ist jedoch besonders abgeteilt und verschlossen. 
Einige Krüge, Bamhusgefäfse, Efswaren, Salz und die 
notwendigen Haus - und Ackergeräte machen die ganze 
fahrende Habe aus. Die Insassen sind Tschin-Pai 
vom Stamme der Pai oder Thai, die sich im Innern 
der Halbinsel über das mittlere und nördliche Siam, 
über die Laos- und Schanstaaten ausgebreitet haben 
und eine eigenartige mongoloide Völkergruppe dar 
stellen. Die Pai des Yünnan tragen nicht einmal den 
Zopf; sie haben eine alphabetische Schrift, die der lao 
tischen Schrift sehr nahe steht. Auch in ihrer Sprache 
und ihren Sitten unterscheiden sie sich kaum von den 
Laostämmen. Das Haar wird bei beiden Geschlechtern 
auf dem Kopfe zu einem Knoten gerollt und durch ein 
Stück gelben Baumwollenzeuges zusammengehalten. 
Die Männer lassen sich an den Schenkeln häufig dunkel 
blaue Arabesken eintättowieren; manche besitzen der 
gleichen Zierat auch auf der Brust, dann allerdings in 
blafsroter Farbe. Schon in der Jugend werden Knaben 
und Mädchen die Ohrzipfel durchlöchert. Mittels ein- 
gesteckter Papierrollen sucht man die Öffnung fortgesetzt 
zu erweitern, bis endlich Scheiben vom Umfange eines 
Zweifrankenstückes darin Platz haben. So weit bringen 
es aber nur die Frauen; die Männer pflegen etwa mit 
20 Jahren die Papierrollen fortzulassen. — 
Wenig östlich von Tian-Pi stieg Prinz Heinrich 
mit seiner Karawane über die 1600 m hohe Gebirgskette 
in das Mekongthal hinab. Der Strom rinnt hier in 
einer mittleren Breite von 120 bis 150 m und bedeuten 
der Tiefe stracks nach Süden. Leutnant Roux lotete 
zweimal, fand aber mit 45 m noch keinen Grund. Sein 
Bett stellt sich als eine schroffwandige Scharte dar 
zwischen dicht bewaldeten, 
chaotisch zusammengescho 
benen Bergen, die sich anfäng 
lich nur 900 m, je weiter nach 
Norden aber um 1100 bis 
1500 m über den Wasser 
spiegel erheben. Von Zeit zu 
Zeit treten gefährliche Schnel 
len oder Strudel auf (Fig. 3), 
die im Bunde mit ungezählten 
Klippen und Riffen den Flufs 
in das ärgste Hemmnis für 
Handel und Verkehr verwan 
deln. Seine Ufer sind völlig 
vereinsamt. „Le fleuve coule 
au milieu de solitudes sauvages 
oü toute culture est impossible. “ 
Die Bevölkerung dieser Wild 
nis gehört teils zu den Pai, 
teils zu den Lolo. Letztere 
bilden keine geschlossene 
Masse, sondern sind von den 
eingewanderten Chinesen in 
kleinere Gruppen aufgelöst 
und zersprengt. Sie finden 
sich noch häufig im südlichen 
Yünnan; schon beim Über 
gang vom Roten zum Schwarzen Flusse wurden An 
siedelungen der Lolo beobachtet. Sie scheinen mit den 
gleichfalls in Yünnan sefshaften Stämmen der Lokai 
und Lissu in enger Verwandtschaft zu stehen. Dar 
auf deutet u. a. die grofse Zahl gemeinsamer Wurzeln 
in den Sprachen dieser Völker hin. Die Schrift der 
Lolo ist hieroglyphisch, aber von der chinesischen völlig 
abweichend. Der Prinz erwarb einige alte Manuskripte 
in dieser Schrift, die heute niemand zu verstehen vor- 
giebt. Nur in Shunao fand sich ein alter Zauberer, der 
im stände war, einen Teil der Handschriften ins Chine 
sische zu übersetzen und 4 [umzuschreiben, so dafs 
eine weitere Erforschung der Sprache damit ermög 
licht ist. 
Wie unsere Bilder zeigen (Fig. 4), machen die Lolo 
in Wuchs oder Antlitz keinen üblen Eindruck. Die 
Männer kleiden sich bereits nach chinesischer Mode; die 
Frauen dagegen — die übrigens sehr zur Koketterie 
neigen — bewah 
ren noch ihre 
altertümlichen, 
hübsch ausgenäh 
ten und bordier 
ten Gewänder, 
deren einige als 
wahre Pracht 
stücke der ethno 
graphischen 
Sammlung des 
Prinzen einver 
leibt sind. 
Eine vierte, 
nicht minder be 
achtenswerte Völ 
kerschaft lernte 
die französische 
Expedition auf der 
Weiterreise nach 
Norden in dem 
schmalen Hoch 
gebirge zwischen 
Mekong und Sa- Fig. 7. Lissu-Frau mit Kind.
	        
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