4
E. Mosbach: Streifzüge in den bolivianischen Anden.
Pig. 1. Thal von Guanuni am Westabhange der Cordillere (Chile) mit
Biesenkakteen. Originalzeichnung von Mosbach.
sind auch hier der Schrecken der Bevölkerung und
haben ihre Spuren an den Mauern einer aus Quader
steinen errichteten, aber nicht mehr benutzten Kirche
in verschiedenen Rissen zurückgelassen.
In Tacna hatte ich auch Gelegenheit, mich zur Reise
über die Cordilleren vorzubereiten. Vor allem gehören
hierzu ausgeruhte und wohlgenährte Reit- und Saumtiere,
Maultiere und Pferde, die womöglich die Reise schon
einmal gemacht haben; ferner einige Küchengeräte, Ma
tratzen, wollene Decken, ein wärmerer Anzug mit dem
unvermeidlichen praktischen Poncho und Lebensmittel,
von denen unter anderen Conserven in Büchsen als sehr
zweckmäfsig zu empfehlen sind. Denn auf den Eng
pässen und Hochebenen haben zwar spekulative Kauf
leute einige Logierhäuser (Tambos) gebaut, in denen
man, wenn man sie erreicht, einigermafsen vor Kälte
und Sturm geschützt ist, die aber im übrigen nicht viel
bieten; aufserdem mufs man die gewöhnlichen Nahrungs
mittel, Kartoffeln und Lamafleisch, das nicht jedem be-
hagt, und besonders das Futter für die Tiere mit dem
drei- und vierfachen Preise bezahlen.
Bis zu einer Höhe von etwa 1500 m über dem
Meere sind die hügelförmigen Ausläufer der Cordilleren
noch mit Ansiedelungen und hübschen Gruppen von
Laubbäumen bedeckt; dann werden diese seltener, die
Abhänge steiler, und es beginnt die Zone der Kakteen,
die stellenweise ganze Waldungen dieser
Pflanzen aufweist. Hier sind hauptsächlich
die Gattungen: Cereus mit den Arten
C. giganteus (Riesen- oder Säulenkaktus)
und C. senilis (Greisenhaupt), und Opuntia
mit den Arten 0. vulgaris (Feigenkaktus)
und 0. coccinellifera (Cochenillenkaktus)
vertreten, doch finden sich auch die Gat
tungen Mammillaria und Echinokaktus vor.
Yon diesen Gewächsen mit ihren aben
teuerlichen Formen überraschen besonders
die Riesenkakteen, die eine Höhe von 7 m
und darüber erreichen und auf zwei Drittel
ihrer Höhe 7 bis 8 Arme aussenden, so
dafs sie die Form eines Kandelabers nach
ahmen, an dem selbst die Flammen nicht
fehlen, die sich die Phantasie in den
leuchtend hellgelben Blüten unwillkürlich
vorstellt. Ihre getrockneten Stämme be
nutzen die Gebirgsbewohner, als Bau- und
Brennholz. Die Greisenhäupter werden
nur bis 3 m hoch und machen durch ihren
weifsen seidenartigen Haarbehang einen
ehrwürdigen Eindruck. Die Opuntien
sind äufserst mannigfaltig gestaltet; bald
kriechen sie auf dem Boden entlang, bald
bilden sie unförmlich verwachsene Sträucher;
sie liefern die wohlschmeckenden sogen,
indischen Feigen (Tunas) und die Cochenille-
Schildläuse, aus denen der bekannte rote
Farbstoff gewonnen wird. Der Saft aller
Kakteen dient dort als Arzneimittel und
als Klebstoff für Häuseranstriche. Es ist
fast rätselhaft, woher diese saftreichen Ge
bilde auf dem dürren Boden und an den
nackten Porphyrfelsen, die nie vom Regen
benetzt werden, das Material zu ihrem
Aufbau hernehmen ; selbst die Luft ist hier
trocken und jedenfalls frei von Kohlensäure.
Unsere Fig. 1 zeigt das vom Ilaupt-
wege seitwärts gelegene Thal von Gua
nuni mit Säulen-, Greisenhaupt- und
Kugelkakteen und mit niederem von einem
kleinen Bach befeuchtetem Gesträuch, in welchem sich
Reisende ihr Mahl bereiten.
Die Kakteenregion reicht ungefähr bis 3400 m ü. M.,
doch wird sie von einigen Gattungen auch überschritten.
In dieser Region, etwa 3200 m ü. M., liegt der kleine
Indianerflecken Palca, in dessen Thale noch eine Art
von Luzerne (Alfalfa) an den Berieselungen gedeiht und
auf dessen Anhöhen sich die ersten altindianischen
Begräbnisse (Chulpas) zeigen. Hinter Palca wird der
Weg immer steiler und führt an 300 bis 500 m tiefen
Abgründen vorüber, die Luft wird immer dünner und
kälter und es stellt sich fast ausnahmslos bei allen, die
die Reise zum erstenmale machen, die lästige Gebirgs-
krankheit (Sorrocho) ein, die sich, ähnlich der See
krankheit, in Kopfschmerz, Beklemmung und Übelkeit
äufsert, oft mit Blutungen aus Nase und Ohren ver
bunden ist und gewöhnlich mehrere Tage anhält, bis
sich der Organismus an die dünne Luft, die alleinige
Urheberin der Krankheit, gewöhnt hat.
An der Grenze der Kakteenregion wechselt die Vege
tation abermals. Ein immergrüner, harziger, unserem
Ginster nicht unähnlicher Strauch, die Tola, erscheint
in Gemeinschaft mit büschelförmigem, stacheligem Ichu-
gras (Stipa Ichu), hier Paja brava genannt, und mit
kurzem weichem Pastogras, das in Ermangelung eines
besseren von den Lasttieren gern aufgesucht wird.