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August Gebhardt: Isländische Münchhausiaden.
Seele den Flufs hinab schwimmen, und zwar hatte sie
die Gröfse eines Weizenbrotes. Jön ergriff und ver
schlang sie und kam darauf wieder zum Leben. Nun
bringt er den Seehund und die Fische in Sicherheit,
sitzt wieder auf, wie wenn nichts „ geschehen wäre, und
macht nicht Rast, bis er nach Hause kommt. Das Früh
jahr über wurde der Seehund auf die Weide getrieben
und kam im Herbste dick und fett zurück. Man brachte
ihn zum Verkauf, und da wog er 80Liespfund; während
man ihn aber ausnahm, zapfte man soviel Thran aus
seinem Körper, dafs davon drei Gemeinden drei Jahre
lang ihre Lampen speisen konnten.
III. Die Geschichten Jons des Fuchshetzers.
1. Der Fuchs. „Einstmals hetzte ich einen Fuchs 4 )
mit einer Hündin, die für den schnellfüfsigsten aller
Hunde galt. Sie setzte dem Fuchse lange unermüdlich
nach, bis sie endlich doch ermattete. Da übernahm ich
für mich allein die weitere Verfolgung des Fuchses,
doch strengte mich das Laufen stark an, denn ich hatte
es auf der Brust und litt an einem bösen Husten. Je
müder ich wurde, um so heftiger wurde mein Husten
und endlich warf ich die Lunge heraus und schleuderte
sie auf eine Erhöhung des Grasbodens, und von dem
Augenblicke an war mir viel leichter als vorher. Nun
lief ich weiter, bis der Fuchs eingeholt war. Darauf
ging ich wieder zurück und holte meine Lunge, von der
unterdessen die Hündin gefressen hatte, und verschlang,
was noch davon übrig war. Seitdem habe ich niemals
wieder über Brustschmerzen zu klagen gehabt. Ich bin
meiner Lebtage aufmerksam auf alles gewesen, so habe
ich auch bemerkt, dafs der Speichel des Fuchses Fäden
zog, ihn aufgewickelt und daraus zwölf Paar Taue ge
sponnen.“
2. Die Seele auf dem Haff. „Als ich noch in der
Gnüpverjagemeinde bei meiner Mutter wohnte, that ich
zu Garä Ruderdienste. Da begab es sich einstmals, als
wir draufsen auf der hohen See waren, dafs sich ein
heulender Schneesturm erhob und wir keinen Augen
blick mehr mit der Heimfahrt zögern durften. Bei der
Landung kenterte das Boot und wir ertranken samt und
sonders. Die Fische, die wir gefangen hatten, wurden
mit den Seilen, an die sie aufgereiht waren, an den
Strand getrieben. Meine Leiche trieb auf eine Kies
nehrung. Als ich nun dort eine Zeit lang gelegen hatte,
begann mir die Geschichte langweilig zu werden: ich
sprang daher auf die Füfse und sah meine Seele in dem
Haff umherschwimmen. Da watete ich ins Haff hinaus,
ergriff und verschlang sie. Darauf erblickte ich die
Fischseile und ein Ruder, die auf dem Strande lagen,
nahm das Ruder und eines von den Seilen, an dem
zwischen 20 und 30 Fische hingen, schlang dieses um
das eine Ende des Ruders und nahm letzteres über die
Schulter und zog nun so, unter beständigem Schneesturm,
in der Richtung nach Nordost auf das Hengilgebirge zu
von dannen. Als ich aber an dem Fufse des Hengils
ankam, war der Schnee so tief geworden, dafs das Ruder
nicht daraus hervorragte. Doch wanderte ich unverzagt
weiter, wufste aber kaum, wo ich ging und stand.
Lange, lange ging ich so im Schnee weiter, bis ich end
lich in die Tiefe stürzte. Als ich wieder zu mir kam,
befand ich mich im Hause meiner Mutter dort im Osten,
und zwar war ich durch den Küchenschlot hinein
gefallen.“
4 ) Gemeint ist natürlich der Blaufuchs, das einzige vier-
füfsige Raubtier Islands.
3. Die gespenstische Fahrt. „Einstmals ruderten
wir bei mildem windstillem Wetter von den Suöurnes
aus aufs Meer. Gegen Abend aber erhob sich ein so
heftiger Südostwind, wie niemals seit Menschengedenken.
Die Häuser stoben wie Heuhalme hin und her und alle
Böte wurden aufs Meer hinausgerissen. Kein einziges
Boot vermochte zu landen aufser dem, an dessen Bord
ich mich befand; aber fest mufsten wir zugreifen, als
wir es ans Land zogen. Den Tag darauf herrschte
Windstille, und wir ruderten in derselben Richtung
hinaus, die wir abends zuvor hereingekommen waren,
und es schien uns wunderlich zuzugehen, denn auf dem
Meere hielt die Fahrt der Gespenster vom gestrigen
Abend noch immer an und man konnte sie ganz bis
nach Sviä verfolgen. Das waren tüchtige Kerle in jenen
Tagen.“
4. Die Fischmägen. „Einstmals that ich vor den
Eyjafjöll Ruderdienste und hatte Quartier auf Raufarfell.
Eines Sonntags morgens kochten wir uns Fischmägen
und diese waren aufsergewöhnlich wohlschmeckend. Ich
wufste, dafs meiner Frau keine Speise lieber war als
warme Fischmägen, und so kam ich auf den Gedanken,
ihr welche mitzubringen. Ich suchte also mein Füchs-
lein, that kochende Fischmägen in den Brotsack, band
diesen hinten an den Sattel und ritt von dannen. Das
Füchslein war frisch und lief gar rasch dahin. Ich
wohnte damals im Eystrahrepp und als ich nach unserem
Hause kam, hörte ich noch, wie es in den Fischmägen
wallte und kochte, und doch war ich eine halbe Tage
reise weit geritten. Gut war dieses Füchslein.“
5. Der Stein auf der Düne. „Einstmals hatte ich
Arbeit bei einer Witwe im Borgarfjörä. Einen Winter
gab es viel Frost und Eis. In der Mitte dieses Winters
herrschte solch heftiges Schneegestöber, dafs man keinen
Hund hätte hinausjagen mögen. Aber die Pferde waren
draufsen und unter ihnen ein einjähriges Füllen. Da
ich nun bange war, dieses Füllen möchte zu Grunde
gehen, wagte ich mich hinaus in das Unwetter, um es
unter Dach zu bringen. Ich fand die Pferde, warf dem
Füllen einen Strick um den Hals und führte es heim.
Doch dauerte es nicht lange, da hatte ich den Weg ver
loren. Endlich kam ich auf eine gefrorene Erhöhung
und dachte, ich müfste mich auf einer Sanddüne be
finden. Nun kam mir der Gedanke, wenn ich auf den
Sand hinabkäme, so würde ich ihn vielleicht erkennen.
Deshalb legte ich mich flach hin und begann mit meinen
Händen ein Loch in das Eis zu machen. Ich sputete
mich, das Eis zu zerkratzen, bis ich den Arm bis zur
Schulter hinunterstecken konnte. Da bekam ich einen
faustgrofsen Stein zu fassen und wufste nun sofort,
welche Düne es war, auf der er lag. Durch diese List
konnte ich mich nach Hause finden und auf diese Weise
hat also das Stückchen Stein mir und dem Füllen das
Leben gerettet.“
IV. Erzählungen Bischof Halldörs 5 ).
1. Der Wirbelwind. „Es war einmal ein heftiger
Sturm. Da man aber trotzdem nicht unterlassen durfte,
die Kühe zu tränken, trieb man sie wie gewöhnlich
hinunter in den Bach. Als aber die erste Kuh den
Kopf zur Stallthür herausstreckte, kam ein so heftiger
Windstofs, dafs er der Kuh den Kopf zwischen den
Thürpfosten abrifs und fortführte, aber im gleichen
Augenblicke kam ein zweiter Windstofs und setzte ihn
5 ) Halldör Brynjolfsson, Bischof von Holar, 1746 bis 1752.