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Die Reise des Prinzen Heinrich von Orléans von Tonking nach Vorderindien.
Fig. 12. Ein „Dobong“.
schungen der französischen Missionare, wie des
englischen Reisenden Cooper. Dem Prinzen war es also
geglückt, den so lange noch verschlossenen Stromabschnitt
von Uisi abwärts nach Tscha-Yang endgültig festzulegen.
Leider kann von Schiffahrt und Verkehr auf dem oberen
Mekong niemals die Rede sein. Von Tsiamdo in Tibet,
unter ßD/a 0 nördl. Br., bis in die Gegend von Xieng-
Hong, fast 10° südlicher, ist der Flufs bei jeder
zeit reichlicher Wasserfälle und erstaunlicher Tiefe der
artig von Engen, Strudeln, Felsriffen und Katarakten
durchsetzt, dafs er für den Handel — statt eines Segens
— das schwerste Hindernis bedeutet. Die vereinzelten,
oft höchst wagehalsigen Vorstöfse der französischen
Kanonenboote im Bereich des 20. und 21. Parallels
haben trotz kleiner Gelegenheitserfolge den ungestümen
Charakter des Mekong nur bestätigt. Mit solchen Kraft
stücken, die sich, laut eigener Aussage der Schiffsführer,
nicht anders als „unter gewissen Umständen“ wieder
holen lassen, wird nie ein brauchbarer Handelsweg er
öffnet werden.
In Hsiao-Uisi fand Prinz Heinrich einen katholischen
Missionar, der hier seit Jahresfrist zur Unterstützung
eines älteren und leidenden Amtsbruders stationiert war.
Nach dessen Tode stand er allein unter der fanatischen
Bevölkerung, die mehr als einmal sein Leben bedrohte
und sein Dasein zu einem fortgesetzten Mar
tyrium machte. Die hinterlistigen Lissu bewiesen
auch der Karawane gegenüber ihre Niedertracht.
Aus dem dichten Gebüsch hoch an der Berglehne
liefsen sie plötzlich schwere Felsblöcke auf die
langsam dabin wandernden Fremden herabrollen,
die sich solches Überfalles gar nicht versahen. Bald
nachher brach unvermittelt der Pfad am rechten
Stromufer ab, und der Prinz sah sich wohl oder
übel zu dem gefährlichen Übergang auf das linke
Ufer genötigt. Fast drei Tage dauerte es, ehe
Menschen, Tiere und Gepäck in elenden Einbäumen
über die unheimlich fortschiefsenden Wasser trans
portiert waren.
Nach diesen Mühen eilten der Prinz und Roux
durch die Lamaserie Kampu nordwärts voran, um
möglichst schnell die französische Mission in
Tseku, 28° nördl. Br., zu erreichen. In Yetsche
machten sie die Bekanntschaft eines Häuptlings
der Mosso-Lissu, die vor 200 Jahren in diesen
Bergländern ein ausgedehntes Reich besafsen.
Aber die Tibetaner entrissen ihnen die westliche,
die Chinesen die östliche Hälfte ihres
Besitzes und drängten sie in die
wilden Thäler des oberen Yangtse-
Kiang und Mekong zurück. Von
den 24 Häuptlingen, die zur Zeit
über die zerstreuten und decimierten
Mosso gebieten, ist der Fürst von
Yetsche oder der Yetsche-Mokua
der mächtigste. Sein Einflufs er
streckt sich westlich bis in das
Quellgebiet des Irawadi hinein, wo
alljährlich seine Abgesandten er
scheinen und für ihren Herrn die
fälligen Abgaben eintreiben.
Die Mosso (Fig. 10) haben ein
hartes, schwer auszusprechendes
Idiom mit mehrsilbigen Wörtern.
Statt der Schrift benutzen sie eigen
artige Hieroglyphen ; wie bei unseren
Rebus werden mehrere Zeichen, so
viele ihrer zu einer Redensart
oder zu einem Satz gehören, mit
einem viereckigen Rahmen umzogen. In dem Volks
munde der Nachbarn gelten die Mosso-Lissu als ab
gefeimte Gauner und Diebe. Ein Sprichwort sagt: „Ein
Tibetaner betrügt drei Chinesen; aber ein Mosso betrügt
drei Tibetaner.“ Gleich ihren südlichen Verwandten
pflegen sie Ackerbau und Jagd, und als grofse Jäger
sind sie auch grofse Trinker. Bei festlichen Gelegen
heiten vereinigt sich die gesamte Dorfeinwohnerschaft
um einen mächtigen Bottich, worin ein Branntwein aus
vergorenem Reis gekocht wird. Ein jeder füllt sein
Bambusgefäfs und setzt sich zu der Person — Manne
oder Frau —, der er seine besondere Zuneigung kund
geben will. Beide Trinker neigen alsdann die Köpfe
derart gegeneinander, dafs die Mundwinkel zusammen-
stofsen, führen das Gefäfs an die Lippen und leeren es
auf einen Zug. Die Höflichkeit verlangt, dafs man
seinem Partner den gröfsten Teil des Inhalts zukommen
läfst. Wird der Gefeierte bezecht und fällt zur Erde,
so beweist das nur, dafs man vollkommen „komment-
mäfsig“ gehandelt.
Vor Tseku mufste die Karawane des Prinzen wieder
auf das rechte Ufer des Mekong geschafft werden. Aber
kaum war der Führer sicher in der Mission untergebracht,
so erkrankte er heftig an Bronchitis und Fieber. Da
das Leiden längere Ruhe und Erholung nötig machte,
Eig. 13. Alte Tibetanerin mit L ihren Schweinen.