206
Graf Zeppelin-Ebersberg: Was ist der allgemeine Grund und Zweck der Pfahlbauten?
bedeckte Ebene hinaus und kann als Pyramidentempel
ersten Ranges bezeichnet werden. Er besteht aus einer
viereckigen, unten 60 und oben 18 qm, und 24 m hohen,
terrassierten Pyramide, die im Winkel von 50° ansteigt,
während die Treppen, die von allen vier Seiten hinauf
führen und etwas über die Basis der Pyramide hinaus
treten, etwas weniger steil sind. Die Pyramide besteht
aus neun Stufen von 2 1 / 2 bis 2 3 /4 111 Höhe, wie dies aus
der Abbildung im Panorama zu ersehen ist.
Die Hauptfront liegt im Norden, und neunzig 13,5m
breite Stufen , deren Balustraden oben in grofsen
Schlangenköpfen enden, führen zu derselben empor.
Der Tempel nimmt den Gipfel der Pyramide so voll
ständig ein, dafs vorn nur eine etwa 3 m, an den
übrigen Seiten sogar nur halb so breite Esplanade übrig
bleibt.
Die Mauern sind mit Ausnahme des unteren, etwas
nach innen eingezogenen Teiles senkrecht und 7,5 m
hoch. Die Anordnung der Gemächer ist aus dem Plan
(Fig. 1) ersichtlich. Der nördliche Haupteingang ist
über 6 m breit und durch zwei massive, gefederte
Schlangensäulen in drei Abschnitte geteilt, ähnlich wie
dies in der links auf dem Bilde (Fig. 7) sichtbaren
Westansicht des Tempels der Tiger und der Schilde der
Fall ist. Man gelangt durch die Eingänge in ein
Vestibül, das die ganze Breite des Bauwerks einnimmt.
Aus dem Vestibül gelangt man durch eine breite Thür
in einen mittleren Raum, in dessen Mitte zwei viereckige
Säulen stehen, die Holzbalken stützen, auf denen die
Wölbung ruht. Die drei anderen äufseren Thüren führen
in einen Korridor, der die Süd-, Ost- und Westseite
umgiebt. Vorzüglich erhalten, ist dieser herrliche Pyra
midentempel ein glänzendes Beispiel der grofsen Be
fähigung der Mayabaumeister, sowohl was Konstruktion
als auch was architektonischen Geschmack anbelangt.
Ein wenig links vom Haupttempel (bei B) liegt der
Spielplatz oder das Gymnasium. Es besteht aus einer
Gruppe von vier selbständigen Bauwerken, die so an
geordnet sind, dafs sie einen Raum von 137 m Länge
und 36,5 m Breite einschliefsen. Die Längsseiten be
stehen aus einfachen, aber kolossalen, 84 m langen, über
10 m dicken und über 7V 2 m hohen Mauern, deren
Aufsenflächen aus behauenen Steinen bestehen. Zwei
mächtige Steinringe sind einander gegenüber in Ö 1 /^ m
Höhe etwa in der Mitte der Mauern angebracht, die
wahrscheinlich irgend welche Beziehungen zu den Ball
spielen haben, welche die Mayas, wie viele andere
Stämme, so aufserordentlich gern spielten. Während
die westliche Mauer nun ohne jede weitere Verzierung
ist, lehnen sich an die östliche Mauer die Überreste
zweier Tempel an, die mit zu den belangreichsten in
Chichen-Itza gerechnet werden dürfen. In der Nähe
ihres südlichen Endes ist die Mauer, nach Osten zu, zu
einer Terrasse von 12 qm verbreitert, welche die Mauer
auch um 1 bis 1,5 m überragt und einen Tempel mit
zwei Gemächern trägt, während an den Fufs der Terrasse
ein kleiner Tempel mit einem Gemache angebaut ist.
Links auf dem Bilde der Fig. 7 sehen wir die West
ansicht dieses Tempels, der den Namen „Tempel der
Tiger und Schilde“ führt, und leider schon zum
gröfsten Teil eingestürzt ist. Der Eingang nahm die
ganze Breite des Tempels ein und war durch zwei
Schlangensäulen in drei Teile getrennt, durch die man
einen Vorraum betrat, der, wie aus handschriftlichen
Notizen Th. Malers hervorgeht, vormals mit reichen
Malereien geschmückt war, die nun gänzlich ver
schwunden sind. Im Hintergemache dagegen sind noch
Reste von Malereien erhalten, die Theobert Maler auch
glücklich kopieren konnte und die vielleicht später zur
Veröffentlichung gelangen werden. Eine ganz vortreff
liche Anschauung der Schlangensäulen dieses Tempels
giebt Fig. 8. Sie sind jetzt noch 2,13 m hoch und
sorgfältig mit Skulpturen, wie Schuppen, Federn und
anderen Dingen bedeckt. Die Augapfel der Schlangen
wurden aus weifsen Seemuscheln hergestellt. Die Köpfe
sind mit Ausnahme der Zungen , die jetzt fehlen, aus
einem Stück gearbeitet. Die Zungen waren vermittelst
eines Zapfens am Unterkiefer befestigt. Die Fangzähne
sind grofs und knollenartig dargestellt. Wie Maler
hervorhebt, hat er bis jetzt Schlangensäulen und
Schlangenpfeiler nur an den Tempeln von Chichen-Itza
gefunden, sonst aber in gar keinen anderen Ruinen
städten von Yucatan. Im fernen Tollan (Tula), der
Hauptstadt des Toltekenreiches, gab es ähnliche Säulen.
Auch der aus einem Gemache bestehende Tempel an
der Basis der Terrasse ist sehr verfallen. Nur die
Hinterwand bis zum Scheitel der Wölbung und die
Reste von zwei viereckigen Säulen, welche die Vorder
front trugen, sind erhalten. Die erhaltenen Teile sind
aber um so wichtiger, da sie über und über mit Relief
bildern bedeckt sind, die Prozessionen merkwürdig
kostümirter Personen darstellen, die zum Teil noch die
brillanten Farben zeigen, mit denen sie ursprünglich
gemalt waren. Es sind wahrscheinlich Teilnehmer eines
Kriegstanzes, die dort abgebildet sind, da die Personen
Waffen tragen und Tiger und Schilde bei den Dekora
tionen zahlreich verwandt sind. Zwischen den beiden
Säulenüberresten steht auch noch die Figur eines Tigers,
der vielleicht als Symbol oder auch nur als Sitz gedient
haben mag.
Die kleinen Bauwerke, die den Spielplatz an seinem
Nord- und Südende begrenzen, sind nicht besonders
wichtig. Das nördliche ist ein kleiner Pyramidentempel
mit einem Gemache und runden Säulen, das südliche,
gröfsere Bauwerk ist sehr stark verfallen. Die Lage
beider ist aus dem Plan (Fig. 1) ersichtlich.
Was ist der allgemeine Grund und Zweck der Pfahlbauten?
Von Eberhard Graf Zeppelin-Ebersberg.
Mit der Herstellung der im vorigen Jahre erschie
nenen neuen Bodenseekarte durch die fünf Bodensee
uferstaaten ist bekanntlich auch eine Reihe auf das
Bodenseegebiet bezüglicher historisch - geographischer,
hydrographischer, naturwissenschaftlicher und anthropo-
geographischer Untersuchungen verbunden worden, deren
Ergebnisse unter dem Titel „Bodenseeforschungen“ als
Beilagen zu den Schriften des Vereins für Geschichte
des Bodensees und seiner Umgebung veröffentlicht und
in ihrer Gesamtheit eine ziemlich vollständige Bodensee
monographie bilden werden. Mir ist hierbei u. a. die
Bearbeitung der Besiedelung der Bodenseegegend
übertragen worden. Selbstverständlich war ich dadurch
veranlafst, mich auch eingehender mit den Pfahl
bauten zu beschäftigen, die ja hier eine besonders
bedeutsame Rolle spielen. Bei dieser Beschäftigung
fiel es mir nun auf, in der ganzen umfangreichen Pfahl-
bautenlitteratur zwar eine überaus grofse Anzahl von
allerhand möglichen und unmöglichen Hypothesen über
den Grund und Zweck der Pfahlbauten, so gut wie