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Martins Forschungsreise zu den juga'nschen Ostjaken.
Mg. 1. Ostjakische junge Mädchen aus Juganskoi.
welcher durch seine Kenntnisse und weiten Verbin
dungen unter den Ostjaken dem Reisenden ungemein
förderlich wurde und nur dessen Einflüsse war es zuzu
schreiben, dafs die Ostjaken sich messen und photo
graphieren liefsen. Als echte Naturmenschen hatten sie
vor derlei Beschäftigungen grofsen Abscheu, zumal das
Gerücht ging, Martin wolle sie zu Soldaten ausheben
und ihre Kinder fressen. Indessen zuletzt kam ein
freundschaftliches Verhältnis zu Stande, dem die reichen
ethnographischen Ergebnisse der Reise zu danken sind.
Die anthropologischen Ergebnisse sollen später veröffent
licht werden. Einige interessante Typen (Fig. 1 und 2)
teilt aber Martin schon im vorliegenden Werke mit.
Wie das alte Kirchenbuch der schon am Ende des
16. Jahrhunderts getauften Ostjaken am Jugan beweist,
betrug 1790 die Einwohnerzahl von Juganskoi 946
Seelen; sie war 1889 nur wenig, auf 1081 gestiegen.
Der Ort ist aber zu Zeiten belebter, wenn die Ostjaken
des Stromes sich zum Sommerjahrmarkt versammeln, teils
um dann ihre Erzeugnisse abzusetzen und sich zu be
trinken, teils um dann die Steuern zu bezahlen. Alles geht
durch die Hände des genannten Tituwski, dem sämtliche
Ostjaken verschuldet sind und der das gesamte erbeutete
Pelzwerk der Ostjaken in Empfang nimmt. Dafür er
halten sie Mehl, Thee, Salz und andere unentbehrliche
Sachen auf Kredit. Der Verkauf von Branntwein an
die Ostjaken ist freilich verboten, im Geheimen erhalten
sie aber trotzdem den Göttertrank. Die Händler lassen
sich für einen Schnaps ein Eichhörnchenfell zahlen.
Zur Zeit des Sommerjahrmarktes liegen die ostjakischen
Fahrzeuge mit Dächern aus Birkenrinde dicht am Strande
des Flusses. Die Frauen beschäftigen sich mit dem
Zubereiten der Speisen, mit Nähen, dem Anfertigen von
Fäden aus Sehnen; die Männer
thun nichts, als sich betrinken
und ihren Rausch ausschlafen, die
älteren Kinder belustigen sich
mit Spielen, bei denen das
Schiefsen mit Bogen und Pfeil
obenan steht.
Von Juganskoi fuhr Martin
den von Süden her mündenden
Jugan aufwärts, um bei den
fast frei vom russischen Einflüsse
lebenden Ostjaken seine Studien
zu machen. Bei Hochwasser war
der Jugan an seiner Mündung
V 2 Werst breit; seine Länge
schätzt Martin auf nahezu 1000
Werst (= 940 km; Länge des
Rheins 1160 km). Er soll aus
dem Bärensee der Barahinzischen
Steppe kommen und ist noch
wenig erforscht. Wo ihn Martin
befuhr, hatte er niedrige Ufer,
die sich höchstens bis zu 15 m
hohen Sandplateaus erheben und
dicht mit Cedern, Kiefern, Fich
ten, Eiben, Birken, Ebereschen,
Espen und Weiden bestanden
sind. Von den früheren statt
lichen Cedernwäldern sind nur
noch Reste vorhanden, die durch
Waldbrände in den fünfziger
Jahren gröfstenteils vernichtet
sind. Bei Hochwasser bildet der
Jugan unzählige Arme, in trocke
nen Sommern ist er aber sehr
wasserarm und wenig befahren.
Mit derDemianka, einem rechten Nebenflüsse des Irtisch,
steht der Jugan im Frühling bei Hochwasser in Ver
bindung und es sollen sogar jugansche Ostjaken auf
diesem Wege nach Tobolsk gereist sein.
Die Reise auf dem Jugan begann am 27. Juni und
dauerte bis zum 10. Juli, an welchem Tage die Rückkehr
nach Juganskoi erfolgte. Auf ziemlich weite Entfernung hin
lagen die Jurten der Ostjaken, bald einzeln, bald mehrere
zusammen am Ufer des Stromes, der für Fischfang,
Handel und Schiffahrt ihre Lebensader bildet. Bei den
Raksakinij urten, wo Martin sich auf hielt, benahmen
sich die Eingeborenen anfangs so scheu vor dem fremden
weifsen Mann, wie wir dieses von den Wilden Afrikas
Fig. 2. Ostjaken aus den Ruskini-Jurten.