Dr. C. Steffens: Die heutigen Überreste der Flagellanten in Amerika.
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allemal durchbohrt sind. Nur einzelne besitzen zwei
Henkel.
Die Netzsenker zeigen nichts auffallendes an ihrer
Form, sie gleichen kleinen cylindrischen Kieseln und
sind ringsum mit einer Vertiefung zur Anbringung der
Befestigungsschnur versehen. Desgleichen die Spirm-
wirtel, welche mit eingedrückten Mustern, Linien und
Punkten versehen und in der Mitte zum Durchlafs der
Spindel durchbohrt sind.
Bei weitem eigentümlicher sind die kleinen Schöpf
kellen oder Löffel, deren Länge zwischen 5 und 9 x / 2 cm
schwankt und die aus rötlichbraunem Thon hergestellt
anderwärts auch Vorkommen? Solche Erklärung liegt
nahe, aber warum finden sich die Gegenstände nur im
See und nicht am Lande ? Auffällig ist auch, dafs nur
solche Miniatursachen, keine gröfseren Gegenstände
gefunden werden. Die Durchbohrung, die mit ein oder
zwei Ausnahmen bei allen sich findet, ist sicher von
Bedeutung. Bei den mit einer Rille versehenen kleinen
Netzsenkern fehlt sie naturgemäfs auch. Die Frage, ob
der See einst eine Stadt und damit die Thonsachen
überschwemmte und begrub, wird auch erwogen und
wiewohl in der Bevölkerung einige Überlieferungen
davon sich erhalten haben, sind sie doch sehr unbe-
sind. Alle zeigen eine Durchbohrung im Stiele, durch
welche ehemals eine Schnur zum Aufhängen hindurch
ging. Der Stiel ist entweder einfach oder zeigt am
Ende klauenförmige Ansätze (Fig. 3, 4).
Die Figuren sind von sehr verschiedener Art und
stellen meistens Tiere dar; in einer vermutet Starr die
Amphisbäna oder „zweiköpfige“ Schlange Mexikos, eine
andere ist vogelartig, auch ein weiblicher Torso ist vor
handen. Am deutlichsten ist ein hundeartiges Tier
(Fig. 5) mit Augen und herausgestreckter Zunge, das
auf dem Rücken eine Art Schale trägt. Länge der
Figur 10 cm, Höhe 5 cm.
Es fragt sich nun: welchem Zwecke dienten
diese im See gefundenen Kleintöpferwaren?
Waren es kleine thönerne Kinderspielzeuge, wie sie
stimmt. Noch ist eine Nachricht vorhanden, dafs Fray
Juan de Almolon allerlei Götzenbilder der Umwohner
(Tarascanen) aus Grünstein, Flint, Thon u. s. w. in den
See (1555 und 1577) geworfen habe.
Starr kommt schliefslich zu der viel Wahrscheinlich
keit beanspruchenden Meinung, dafs diese kleinen
Thongeräte Opfergaben für einen im See hausenden
Geist gewesen sein können, die an Bindfäden — wofür
die Durchbohrung spricht — sorgfältig auf den See
grund hinabgelassen wurden. Dabei aber, fügt er hinzu,
darf nicht übersehen werden, dafs solche Geräte auch
an anderen Orten Mexikos gefunden worden sind, in
Tillo, Oaxaca, Palenque, alles Töpfchen, wie das oben
abgebildete.
Die heutigen Überreste der Flagellanten in Amerika.
Von Dr. C. Steffens. New-York.
In einem Buche, das durch seine klassischen Schilde
rungen , wiewohl sie über ein halbes Jahrhundert alt
sind, noch heute für den Westen der Vereinigten Staaten
Geltung hat, in den „Wanderungen durch die Prärien
und das nördliche Mexiko“ von Josias Gregg (deutsche
Ausgabe, Stuttgart 1847) hatte ich folgendes über eine
Prozession in dem Städtchen Tomé in Neu-Mexiko ge
lesen: „Der Mann, welcher die Prozession am Karfreitag
schlofs, sah ekelhaft aus. Er ging mit ruhigen, ab
gemessenen Schritten, während ihn ein anderer, der
hinter ihm folgte, tüchtig mit einer Peitsche bearbeitete.
Da aber das Ende derselben nur von ungeflochtenem
Seegras war, so dienten dielliebeblofs dazu, die Wunden
auf des Büfsers Rücken offen zu halten, die man ihm
mit der scharfen Ecke eines Feuersteins eingekratzt
hatte und die stark bluteten. Auch wurde das Blut stets
im Flusse erhalten durch den scharfen Saft einer Pflanze,
die ein dritter nachtrug und worin der Geifsler oft seine
Peitsche tauchte. Obgleich die Schauspieler dieser
tragischen Posse ganz vermummt waren, kannten sie
doch viele der Umstehenden, von denen mir einer ver
sicherte, dafs es drei der ärgsten Schurken im Lande
seien, welche dadurch, dafs sie sich dieser Bufsübung
unterwarfen, alljährlich gänzlichen Ablafs für alle im
verflossenen Jahre verübten Sünden erhielten und so
gereinigt von neuem den alten Weg der Ruchlosigkeit
und des Verbrechens betraten.“
Über diese Geifselung und andere in der Karwoche
in Neu-Mexiko vorkommenden Gebräuche hatte ich
Gelegenheit, mit Dr. Farrar, einem Arzte aus Santa Fe,
zu sprechen und er bestätigte mir, dafs Geifselungen
in Neu - Mexiko noch heute Vorkommen und dafs sie
namentlich von dem Los Hermanos - Büfserorden aus
geübt werden, der im Mittelalter in Spanien gegründet
wurde und von da aus sich über Mexiko verbreitete, wo
er heute noch in Überresten vorhanden ist.
Der Zweck des Ordens besteht in den entsetzlichsten
Kasteiungen zur Erlangung der Sündenvergebung. Noch
vor zehn Jahren ging die Zahl der dem Orden Angehörigen
in Neu-Mexiko in die Tausende. Drei Counties zählen
allein 1800 Angehörige desselben. Jedes Town hat
seine unabhängige Brüderschaft, regiert von einem
Bruderchef, genannt Hermanos - Bürgermeister, welcher
keinen Vorgesetzten über sich hatte und nicht ver
pflichtet war, mit einem Nachbar-Hermanos-Bürger
meister zu konferieren. Die sämtlichen Brüderschaften
ei’kannten der katholischen Kirche die Oberhoheit über
sich zu. Seitdem aber die katholische Kirche 1888 ihr