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Full Text: Globus, 72.1897

Dr. C. Steffens: Die heutigen Überreste der Flagellanten in Amerika. 
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allemal durchbohrt sind. Nur einzelne besitzen zwei 
Henkel. 
Die Netzsenker zeigen nichts auffallendes an ihrer 
Form, sie gleichen kleinen cylindrischen Kieseln und 
sind ringsum mit einer Vertiefung zur Anbringung der 
Befestigungsschnur versehen. Desgleichen die Spirm- 
wirtel, welche mit eingedrückten Mustern, Linien und 
Punkten versehen und in der Mitte zum Durchlafs der 
Spindel durchbohrt sind. 
Bei weitem eigentümlicher sind die kleinen Schöpf 
kellen oder Löffel, deren Länge zwischen 5 und 9 x / 2 cm 
schwankt und die aus rötlichbraunem Thon hergestellt 
anderwärts auch Vorkommen? Solche Erklärung liegt 
nahe, aber warum finden sich die Gegenstände nur im 
See und nicht am Lande ? Auffällig ist auch, dafs nur 
solche Miniatursachen, keine gröfseren Gegenstände 
gefunden werden. Die Durchbohrung, die mit ein oder 
zwei Ausnahmen bei allen sich findet, ist sicher von 
Bedeutung. Bei den mit einer Rille versehenen kleinen 
Netzsenkern fehlt sie naturgemäfs auch. Die Frage, ob 
der See einst eine Stadt und damit die Thonsachen 
überschwemmte und begrub, wird auch erwogen und 
wiewohl in der Bevölkerung einige Überlieferungen 
davon sich erhalten haben, sind sie doch sehr unbe- 
sind. Alle zeigen eine Durchbohrung im Stiele, durch 
welche ehemals eine Schnur zum Aufhängen hindurch 
ging. Der Stiel ist entweder einfach oder zeigt am 
Ende klauenförmige Ansätze (Fig. 3, 4). 
Die Figuren sind von sehr verschiedener Art und 
stellen meistens Tiere dar; in einer vermutet Starr die 
Amphisbäna oder „zweiköpfige“ Schlange Mexikos, eine 
andere ist vogelartig, auch ein weiblicher Torso ist vor 
handen. Am deutlichsten ist ein hundeartiges Tier 
(Fig. 5) mit Augen und herausgestreckter Zunge, das 
auf dem Rücken eine Art Schale trägt. Länge der 
Figur 10 cm, Höhe 5 cm. 
Es fragt sich nun: welchem Zwecke dienten 
diese im See gefundenen Kleintöpferwaren? 
Waren es kleine thönerne Kinderspielzeuge, wie sie 
stimmt. Noch ist eine Nachricht vorhanden, dafs Fray 
Juan de Almolon allerlei Götzenbilder der Umwohner 
(Tarascanen) aus Grünstein, Flint, Thon u. s. w. in den 
See (1555 und 1577) geworfen habe. 
Starr kommt schliefslich zu der viel Wahrscheinlich 
keit beanspruchenden Meinung, dafs diese kleinen 
Thongeräte Opfergaben für einen im See hausenden 
Geist gewesen sein können, die an Bindfäden — wofür 
die Durchbohrung spricht — sorgfältig auf den See 
grund hinabgelassen wurden. Dabei aber, fügt er hinzu, 
darf nicht übersehen werden, dafs solche Geräte auch 
an anderen Orten Mexikos gefunden worden sind, in 
Tillo, Oaxaca, Palenque, alles Töpfchen, wie das oben 
abgebildete. 
Die heutigen Überreste der Flagellanten in Amerika. 
Von Dr. C. Steffens. New-York. 
In einem Buche, das durch seine klassischen Schilde 
rungen , wiewohl sie über ein halbes Jahrhundert alt 
sind, noch heute für den Westen der Vereinigten Staaten 
Geltung hat, in den „Wanderungen durch die Prärien 
und das nördliche Mexiko“ von Josias Gregg (deutsche 
Ausgabe, Stuttgart 1847) hatte ich folgendes über eine 
Prozession in dem Städtchen Tomé in Neu-Mexiko ge 
lesen: „Der Mann, welcher die Prozession am Karfreitag 
schlofs, sah ekelhaft aus. Er ging mit ruhigen, ab 
gemessenen Schritten, während ihn ein anderer, der 
hinter ihm folgte, tüchtig mit einer Peitsche bearbeitete. 
Da aber das Ende derselben nur von ungeflochtenem 
Seegras war, so dienten dielliebeblofs dazu, die Wunden 
auf des Büfsers Rücken offen zu halten, die man ihm 
mit der scharfen Ecke eines Feuersteins eingekratzt 
hatte und die stark bluteten. Auch wurde das Blut stets 
im Flusse erhalten durch den scharfen Saft einer Pflanze, 
die ein dritter nachtrug und worin der Geifsler oft seine 
Peitsche tauchte. Obgleich die Schauspieler dieser 
tragischen Posse ganz vermummt waren, kannten sie 
doch viele der Umstehenden, von denen mir einer ver 
sicherte, dafs es drei der ärgsten Schurken im Lande 
seien, welche dadurch, dafs sie sich dieser Bufsübung 
unterwarfen, alljährlich gänzlichen Ablafs für alle im 
verflossenen Jahre verübten Sünden erhielten und so 
gereinigt von neuem den alten Weg der Ruchlosigkeit 
und des Verbrechens betraten.“ 
Über diese Geifselung und andere in der Karwoche 
in Neu-Mexiko vorkommenden Gebräuche hatte ich 
Gelegenheit, mit Dr. Farrar, einem Arzte aus Santa Fe, 
zu sprechen und er bestätigte mir, dafs Geifselungen 
in Neu - Mexiko noch heute Vorkommen und dafs sie 
namentlich von dem Los Hermanos - Büfserorden aus 
geübt werden, der im Mittelalter in Spanien gegründet 
wurde und von da aus sich über Mexiko verbreitete, wo 
er heute noch in Überresten vorhanden ist. 
Der Zweck des Ordens besteht in den entsetzlichsten 
Kasteiungen zur Erlangung der Sündenvergebung. Noch 
vor zehn Jahren ging die Zahl der dem Orden Angehörigen 
in Neu-Mexiko in die Tausende. Drei Counties zählen 
allein 1800 Angehörige desselben. Jedes Town hat 
seine unabhängige Brüderschaft, regiert von einem 
Bruderchef, genannt Hermanos - Bürgermeister, welcher 
keinen Vorgesetzten über sich hatte und nicht ver 
pflichtet war, mit einem Nachbar-Hermanos-Bürger 
meister zu konferieren. Die sämtlichen Brüderschaften 
ei’kannten der katholischen Kirche die Oberhoheit über 
sich zu. Seitdem aber die katholische Kirche 1888 ihr
	        
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