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Full Text: Globus, 72.1897

Die neueste englisch-chinesische Grenze in Hinterindien. — Aus allen Erdteilen. 
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Die neueste englisch-chinesische Grenze in 
Hinterindien. 
In dem Grenzvertrage mit China vom 1. März 1894 hatte 
England an jene Macht zwei am linken Ufer des oberen 
Mekong belegene Schanstaaten überlassen, allerdings mit dem 
Zusatze, dafs dieselben niemals weder ganz noch teilweise 
an irgend eine andere Nation abgetreten werden dürften. 
Nun haben aber die Chinesen ihr Wort nicht voll gehalten, 
sondern schon l 1 /, Jahr nach obigem Vertrage einen Teil 
von Muong-Lem an Frankreich abgegeben! Es ist dies der 
Bezirk Muong-U, den die Franzosen notwendig zur Sicherung 
ihrer Hauptzugangsstrafse von Tongking über das Quell 
gebiet des Schwarzen Flusses an den Nam-U und damit 
nach Luang - Prabang brauchten. Aufserdem hat Birma, ob 
wohl ihm die rechtsseitigen — vom Mekong gerechnet — 
Schanstaaten zeitweilig tributär waren, doch nie irgend einen 
nennenswerten Einflufs auf dem linken Stromufer ausgeübt. 
Gerade, den an Frankreich ausgefolgten Bezirk konnten die 
Chinesen mit gutem Recht seit 1729 den ihrigen nennen, und 
ähnlich liegen die Verhältnisse mit den übrigen Bezirken der 
beiden östlichen Schanstaaten. 
Trotzdem haben sich die Engländer ob des chinesisch 
französischen Handels gewaltig aufgeregt. Als Strafersatz 
j für den kleinen, arg verwüsteten Bezirk Muong-U wurde den 
„Himmlischen“ eine neueste Grenzberichtigung aufgenötigt, 
nach welcher zwar der östliche Abschnitt bis zur Kunglong- 
Fähre am Saluin unverändert bleibt. Im Westen dagegen 
soll die Grenze nicht mehr mit dem Saluin thalab laufen, 
sondern sich fortan nach Nordosten zurückwenden und die 
chinesischen Landschaften Kokang und Wanting in einer 
Länge von 60 und in einer gröfsten Breite von 25 englischen 
Meilen zu Britisch - Birma einbeziehen. Auch weiter im 
Norden am Schweliflusse und in dem Dreieck zwischen dem 
Nam-Wan und dem Nam-Mak sind etliche kleinere Ab 
tretungen zu Gunsten Englands gemacht worden. Überdies 
haben die Briten das Zugeständnis erhalten, dafs sie in 
Momein oder Schuningfu und sogar in Ssumao Konsulate 
errichten dürfen. Endlich hat noch — laut eines „Special 
artikels“ im jüngsten Vertrage — die Verkehrsfreiheit eng 
lischer Schiffe und Waren in den Häfen, Flüssen und Städten 
des eigentlichen Chinas eine Erweiterung erfahren. Und das 
alles, weil die Chinesen einen winzigen Bezirk ihres Landes 
mit einem Schein des Unrechts den Franzosen abgetreten 
haben ! Wahrlich, darob kann eine Zuschrift in der Times 
wohl ausrufen: „We have made a very good bargain.“ 
H. Seidel. 
Aus allen Erdteilen. 
Abdruck nur mit Quellenangabe gestattet. 
— Die russische Eisenbahn bis zum Eismeer. Es 
war im Mai 1553, als eine englische Flotte die Themse vei-liefs, 
welche die Nordküste Rufslands entdeckte. Die gesuchte 
nordöstliche Durchfahrt nach Amerika fand diese Flotte 
nicht, aber eines der Schiffe unter dem Befehle von Richard 
Chancellor drang in das Weifse Meer bis zur Mündung der 
Dwina vor, wohin die Russen erst vor kurzem gekommen 
waren und eine kleine, dem heiligen Nikolaus geweihte 
Kapelle errichtet hatten, aus der später die Stadt Archangel 
erwuchs. Die Berührung beider Völker, der Briten und 
Russen, hier im hohen Norden führte zu lebhaften Handels 
beziehungen, und 120 Jahre lang blieb die Stadt Archangel 
der einzige Seehafen und Ausfuhrplatz für russische Erzeug 
nisse, der anderseits die nach Rufsland gehenden euro 
päischen Kulturprodukte empfing. Erst durch das Aufblühen 
von St. Petersburg wurde Archangel als Hafen brach gelegt, 
und es blieb eine stille Stadt von 17 000 Einwohnern. 
Ein neuer Abschnitt beginnt mit dem 1. Oktober dieses 
Jahres, denn an diesem Tage erfolgt die Eröffnung der 
Eisenbahn nach Archangel. Von Wologda aus, dem 
bisherigen nördlichen Endpunkte russischer Bahnen, führt in 
ziemlich gerader Linie die Bahn jetzt bis zur Dwina 
mündung ; in den nächsten drei Jahren soll, das Gouverne 
ment Olonez durchschneidend, die Bahn auch von St. Peters 
burg nach Archangel geführt werden, das damit einen Teil 
seiner alten Bedeutung wiedergewinnen kann. 
— Die grofse englische Handelsflotte, die der englische 
Reeder F. W. Popham nach dem Mündungsgebiete des Ob 
und Jenissei gesandt hat, ist Anfang Oktober glücklich 
nach der Themse zurückgekehrt und zwar befriedigt mit den 
Handelsergebnissen. Schon August Petermann hatte lebhaft 
den Weg durch das Karische Meer nach Nordsibirien als 
Handelsstrafse befürwortet; der englische Kapitän Wiggins 
hatte diese Fahrt wiederholt, wenn auch mit wechselndem 
Erfolge, durchgeführt; im grofsen Mafsstabe hat aber erst 
im laufenden Sommer Popham die Sache unternommen. Er 
sandte Ende Juli gleich zwei Flotten von der Themse, die 
eine aus sechs, die andere aus vier Schiffen bestehend, welche 
am 12. August Vardö in Norwegen verliefsen und durch die 
Jugorsche Strafse in das Karische Meer eindrangen, nachdem 
sie dort (bei der Samojedenniederlassung Chabarowka) durch 
ein Kohlenschiff mit neuem Brennvorrat versehen worden 
waren. Sie folgten der Westküste der Jalmallialbinsel, an 
der sie das Meer seicht und mit vielen Sandbänken versehen 
fanden, so dafs fortwährend das Lot gebraucht werden 
mufste. Die englischen Admiralitätskarten erwiesen sich 
hier als unzuverlässig, besser waren die russischen. Die 
Weifse Insel wurde im Norden umschifft, dann fuhr die eine 
Flotte in den Obbusen ein, während die andere, Kap Mata 
Sale passierend, sich dem Jenissei zuwandte. 
Die Einfahrt in den Obbusen war wegen der vielen 
Brücken und des unbekannten Fahrwassers schwierig, doch 
erreichten die Fahrzeuge glücklich die Nachodkainsel in der 
Tazbai, dem östlichen Arme des Obbusens. Hier in einer 
sumpfigen, niedrigen Gegend, wo bei zwei Fufs Tiefe der 
Boden ewig gefroren ist (ungefähr unter 68° nördl. Br.), 
zahlreiche Flüsse mit sandigen Barren münden und ein 
grofser Reichtum an nordischen Vögeln sich zeigt, aber 
keine ständigen Bewohner leben, soll die Sommerhandels 
station entstehen. Obdorsk, die nächste Stadt, ist 300 Werst 
westlich gelegen. Von Tjumen aus waren aber etwa 
100 Mann, zur Hälfte Russen, zur Hälfte Samojeden, der 
Flotte entgegengesendet, um beim Ausladen u. s. w. zu 
helfen. Sie kamen nicht mit leeren Händen. In ihren 
langen Kähnen hatten sie (von Tjumen, Obdorsk und To- 
bolsk) auf dem Ob Weizen, Mehl, Gerste, Hanf und Rofs- 
haare gebracht, welche die Rückfracht bildeten, während die 
Engländer ihnen Ziegelthee brachten, der in Sibirien aufser- 
ordentlich stark verbraucht wird. Trotzdem der Landweg 
von China aus ein weit kürzerer ist, als der ungeheure See 
weg um Ost- und Südasien und ganz Europa herum , glaubt 
man doch erfolgreich in Wettbewerb treten zu können. 
Auch die Jenisseiexpedition erreichte ihr Ziel und löschte 
ihre Ladung, erhielt aber keine Rückfracht. Der Heimweg 
war der gleiche, wie der Hinweg. Ob aber diese Expedi 
tionen bei wechselnden Eisverhältnissen im Karischen Meere 
stets so gut wieder gelingen, wie diese grofse Unternehmung 
Pophams, ist sehr die Frage. 
— Die jüdischen Dörfer in Palästina. Die 
Rabbiner bezeichnen den Zustand der Juden aufserhalb 
Palästinas als Exil (Goluth) und am Passahfeste bei der 
Feier des Seder wird dem Gefühle „heute hier, nächstes 
Jahr in Jerusalem“ Ausdruck gegeben. Solche Gedanken 
sind auch auf dem sogenannten „Zionistenkongresse“ zu 
Basel im August d. J. laut geworden, auf dem es sich um 
die Gründung eines neuen jüdischen Staates in Palästina 
handelte, ein Unternehmen, welches allerdings den Wider 
spruch zahlreicher deutscher Rabbiner und derjenigen Juden 
fand, die mit Metastasio denken: Chi sta bene non si muove, 
wobei freilich das „bene“ nicht immer zutrifft. Indessen eiu 
Anfang zur jüdischen Kolonisation Palästinas ist immerhin 
schon gemacht worden, wenn auch gerade das Stammland 
verhältnismäfsig schwach gegenüber anderen Ländern von 
Juden besiedelt war. Gelegentlich aber erwachte einmal die 
Liebe zur alten Heimat, wie denn Safet, wo nach jüdischem 
Glauben der Messias sich offenbaren sollte, im Jahre 1633 
grofse Scharen Juden einwandern sah, welche dort vergeblich 
ihren Heiland erwarteten. Jerusalem zählte noch in den 
fünfziger Jahren nur etwa 6000 Juden, die 1893 schon auf 
28 000 (nach Boutrou, Compt. rendus, soc. geogr. 1894, p. 117) 
angewachsen waren. Diese starke Vermehrung war auf 
Rechnung der aus Rufsland vertriebenen Juden zu setzen. 
Die Alliance israelite universelle verbreitet dort französische 
Anschauungen unter diesen Juden und läfst ihnen franzö 
sischen Unterricht erteilen. Aber nicht blofs Jerusalem, 
sondern auch das übrige Palästina hat einen bedeutenden 
Zuzug an Juden in neuer Zeit erhalten und die Bestrebungen 
eines Moses Montefiore, welcher bereits 1840 mit dem Vice-
	        
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