GLOBUS.
ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE.
VEREINIGT MIT DER ZEITSCHRIFT „DAS AUSLAND“.
HERAUSGEBER: Dr. RICHARD ANDREE. VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN.
Bd. LXXII. Nr. 17.
BRAUNSCHWEIG.
30. Oktober 1897.
Nachdruck nur nach Übereinkunft mit der Verlagshandlung gestattet.
Reise durch Neufundland von Ost nach West.
Von Rudolf Bach. Montreal.
400 Jahre waren am 24. Juni 1897 verflossen, seit
der grofse Entdecker John Cabot das heutige grüne Kap
Bonavista sichtete und in der nach dem Kap benannten
Bonavistabai auf Kings Cove die englische Flagge hifste.
Trotzdem es sich hier um die älteste englische Kolonie
handelt, war Neufundland doch durch Jahrhunderte vom
Mutterlande als Aschenbrödel behandelt worden. Es
mufs mit Recht wunder nehmen, dafs das Innere des
selben bis vor wenigen Jahren so gut wie unbekannt
war — man kannte die Küsten und einige Meilen die
Flüsse hinauf auch das Land, aber das eigentliche Innere
war ein Buch mit sieben Siegeln; geologische oder klima
tische Hindernisse lagen aber nicht vor, es war vielmehr
die von England eingeschlagene Politik, die die Insel
sich so zu sagen selbst nicht kennen lernen liefs.
Als 1583 der erste Gouverneur Sir Humphrey Gilbert
nach Neufundland kam, da erkannte er schnell den
hohen Wert, welchen die Insel inmitten der reichsten
Fischgründe der Welt als eine Fischereistation ersten
Ranges für England haben müsse und demgemäfs
handelte er auch schnell und entschieden ; den Bewohnern
wurde verboten, das Land zu kultivieren, alle sollten
und mufsten von der See und ihren Schätzen abhängig
sein, um auf derselben ihre eigentliche Heimat zu finden !
Es mufs ohne Rückhalt zugestanden werden, dafs diese
Politik, welche von 1583 bis 1820 Geltung hatte, ihren
Zweck wohl erreichte, denn die Neufundländer sind bis
auf den heutigen Tag so mit Leib und Seele der See
mit allen ihren Gefahren, der Hochseefischerei, dem
Robbenfang ergeben, dafs es schliefslich, als vor einigen
Jahren endlich der Bau einer das Innere der Insel durch
querenden Bahn in Angriff genommen wurde, schwer
war, aus der Mitte der Neufundländer genügend Arbeiter
zu finden. Von der Beschäftigung in Sägemühlen oder
in der Landwirtschaft halten sie herzlich wenig und
das Geringe, was in letzterer Beziehung bis jetzt ge
leistet wird, besorgen Eingewanderte.
Geologen und einige Regierungsvermesser waren
inzwischen unter vielen Mühen und Entbehrungen in
das wilde, unbekannte Innere eingedrungen und hatten
über allen Zweifel feststellen können, dafs das Land,
aufser einem grofsen Reichtum an Mineralien, insbe
sondere Kupfer und Eisen (namentlich an vielen Stellen
der Ostküste), grofse Kohlenfelder und einen anscheinend
unerschöpflichen Vorrat von Holz aller Arten berge;
aber all dieser Überflufs konnte doch schliefslich nur
von Wert sein, wenn er dem unternehmenden Kapitale
zugänglich gemacht wurde und das war nur durch den
Bau einer diese Gegenden durchschneidenden Bahn
möglich, die dann wiederum durch die zahlreichen
Flüsse und Seen mit den Küsten Verbindung erhielt.
Jedes andere Land wäre nun, falls es sich in einer
so günstigen Lage befände, schnell mit der Ausführung
einer Bahn vorgegangen, aber in Neufundland gehörte
die Eisenbahn bis vor ganz kurzer Zeit zu den Hingen,
die man nicht nötig zu haben glaubte; es war die
Gr o fs kaufm a n n s ch a ft von St. John und Grace
Harbour, der zweitgröfsten Hafenstadt, die einem Bahn
bau sich ganz entschieden widersetzte und sich mit
demselben auch heute noch nicht ausgesöhnt hat, aber
es sind egoistische Gründe, die sie hierzu veranlafst
haben: die Grofskaufleute, alles Engländer, welche,
nachdem sie schweres Geld in Neufundland verdient
haben, dasselbe stets im alten Vaterlande verzehren,
hatten bis jetzt das Monopol nicht nur für den Ver
kauf der Fischereiwaren aller Art, sondern auch für
die sonstigen Ein- und Ausfuhren der Insel und man
war auf die von ihnen beschäftigte Flotte von Fahr
zeugen betreffs des Verkehrs angewiesen. Hie Fertig
stellung der Überlandbahn und das damit voraussicht
lich eintretende fremde Kapital läfst nun die Herren
befürchten, dafs es mit dem Monopol bald zu Ende
gehen wird, eine Befürchtung, die sich im Interesse der
Neufundländer hoffentlich gründlich erfüllen wird.
Hie erste Eisenbahn wurde in Neufundland „schon“
im Jahre 1884 gebaut, sie verband St. John mit Harbour
Grace und Placentia Bay, ist 180km lang, aber von
keinem Werte für das Innere; eine solche Bahn konnte
erst 1892 ins Werk gesetzt werden. Hie Bedingungen
für die etwa 800 km lange Bahn waren sehr günstige
für den Unternehmer, der u. a. eine Landschenkung von
2 ! / 2 Mill. Acker Land erhielt und bis 1903 Eigentümer
der Bahn bleibt, die dann an die Regierung übergeht.
Her Bau begann 1892 und führte quer durch die Insel;
im Oktober 1895 war die Bay of Islands an der West
küste erreicht und im laufenden Jahre wurde das Schlufs-
stück bis Port aux Basques hinzugefügt.
Port aux Basques, an der Südwestspitze der Insel
gelegen, ist deshalb als Endpunkt gewählt, weil sich von
hier aus die kürzeste Verbindung mit dem amerikani
schen Kontinente herstellen läfst, und die Neufundländer
wiegen sich in der Hoffnung, dafs ihre Bahn dazu aus
erkoren sein wird, in Zukunft ein gutes Teil der englischen
Post nach Amerika und zurück zu befördern; allerdings
wäre auf dieser Route nicht nur die schnellste Fahrt,
sondern auch der kürzeste Aufenthalt auf hoher See zu
Globus LXXII. Nr. 17.
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