Zur Erklärung der Überflutungen in Deutschland 1897
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erklärt werden, dafs unsere Pfahlbaukultur und der
Aufschwung der altägyptischen Kultur zeitlich so ziem
lich zusammenfallen.
Vorläufig läfst sich die Frage nur auf vergleichend-
anatomischem Wege entscheiden; leider war die Kennt
nis afrikanischer Rinderrassen bis in die neueste Zeit
zu lückenhaft. Seit mehr als einem Jahrzehnt habe ich
Beobachtungen gesammelt und Schädelmaterial beschafft,
was oft auf ungeahnte Schwierigkeiten stöfst. Afrika
besitzt fast durchweg das Höckerrind, das aber vielfach
durch Zucht den Fetthöcker eingebüfst hat. Die Rassen
und Schläge zeigen so grofse Schwankungen, dafs mir
angesichts der erstaunlichen Variabilität afrikanischer
Zebu im Anfänge die Anknüpfung an die brachyceren
Rinder Europas schwer erschien.
Sobald man aber von den osteologischen Merkmalen,
welche dem Bos braehyceros zugeschrieben werden, das,
was der künstlichen Züchtung unterliegt, auszuschliefsen
beginnt, so wird die Sachlage sofort eine andere. Dann
bleibt ein Betrag von nicht beeinflufsten Kennzeichen
(schiefe Stellung der Zähne, senkrecht aufsteigender
Unterkieferast, Beschaffenheit des Thränenbeins und der
Intermaxilla, häufige Unebenheit der Stirnfläche, feiner
Bau des Schädels, der Extremitäten u. s. w.) übrig,
welche allen afrikanischen Zeburindern und den euro
päischen Braehyceros-Rindern gemeinsam sind, also
die verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit erkennen
lassen. Es läfst sich in Afrika von Süden nach Norden
eine stetige Annäherung an unser kleinhörniges Rind
erkennen; die altägyptischen Wandmalereien führen uns
bereits eine kleine Rasse vor, die sich äufserlich in
nichts vom Braunvieh der Alpen unterscheidet.
Weist somit alles darauf hin, dafs die Pfahlbau
bewohner ihr Torfrind von Nordafrika, d. h. direkt oder
indirekt vom altägyptischen Kulturkreise übernommen
haben, so müfste ein möglichst direkter Beweis gewifs
willkommen sein. Ich glaube diesen mit so viel Wahr
scheinlichkeit bieten zu können, als es möglich ist.
Mehrfach wurden mir Schädelfunde aus den west
schweizerischen Stationen signalisirt, die abweichende
Typen aufwiesen.
Bei der neulichen Durchsicht des enormen Rinder
knochenmaterials , welches das Berner Museum besitzt,
wies^mir Prof. Th. Studer zwei Oberschädel vor, von
denen er mit Recht behauptete, dafs sie sich gar nicht
in das bisherige Rassenschema einreihen lassen; der eine
Schädel ist extrem kurzhörnig, der andere stammt von
einem Schlapphornrinde. Beide Schädel, namentlich
der letztere, sind im Hirnteil schmal und langgestreckt,
fast pferdeartig; die Stirnfläche ist uneben, nach den
Seiten abfallend, die Augenhöhlen kaum aufgetrieben.
Ich kann diese Schädel in ihrem Charakter nicht unter
scheiden von gewissen Formen des Somali-Rindes, auch
die Gröfse ist übereinstimmend. Die Anwesenheit von
Schädeln mit zebuartigem Hinterkopf vom Gepräge ost
afrikanischer Höckerrinder in den Pfahlbauten der
Westschweiz ist gewifs ein überraschender Befund!
Ich will nicht so weit gehen und daran erinnern,
dafs die Altägypter nachweisbar mit ihren Schiffen nach
dem Lande „Punt“, d. h. nach dem heutigen Somali
lande fuhren und dort Rinder holten diese Combi-
nation erschiene mir allzu kühn. Aber es mag nicht
unerwähnt bleiben, dafs auch völlig hornlose Rinder
in Ägypten gehalten wurden und solche auch häufig in
den westschweizerischen Pfahlbauten angetroffen werden;
ich selbst besitze einen Schädel des hornlosen Pfahlbau
rindes.
Häufen sich somit die Anzeichen, dafs schon in vor
geschichtlicher Zeit die Torfrinder von Afrika her auf
unserem Kontinente einwanderten und mit Beginn der
geschichtlichen Periode das Rind, ähnlich wie in Ägypten,
mit Kultvorstellungen begleitet erscheint, so möchte ich
doch der weit verbreiteten Anschauung entgegentreten,
als sei das alte Ägypten das Centrum der afrikanischen
Rinderzucht gewesen. Mehrfach habe ich darauf hin
gewiesen und auch in dieser Zeitschrift begründet, dafs
das Verbreitungscentrum des afrikanischen Höckerrindes
in Äthiopien gesucht werden muss. Die Pharaonenleute
holten zu Wasser und zu Lande ihren Rinderbedarf
vielfach aus dem Süden, der Verkehr mit den Ländern
am oberen Nil war augenscheinlich ein sehr reger. Ich
will damit nicht behaupten, dafs der Bos africanus in
letzter Instanz von einem Wildrind Äthiopiens abstamme.
Afrika besitzt überhaupt keine Wildrinder im eigent
lichen Sinne des Wortes. Die Herkunft der afrika
nischen Höckerrinder weist auf den Süden Asiens, allein
die künstliche Zucht hat die Stammform stark umge
bildet, sogar vielfach neue Formen geschaffen, so dafs
man wenigstens in züchterischem Sinne von einem Bos
africanus als besondere Kulturrasse reden darf. Und
eben solche bereits stark umgezüchtete Formen waren
es, welche Afrika schon zur Pfahlbauzeit an Europa
abgab.
Zur Erklärung der Überflutungen in Deutschland 1S97 1 ).
Die heftigen Regenfälle, welche in dem vergangenen
Frühjahr und Sommer Centraleuropa heimsuchten, stehen
in naturgemäfsem Zusammenhang mit der vorherrschenden
Luftdruckverteilung. Es durchstrich nämlich fast stets eine
Linie niedrigsten Luftdruckes den kontinentaleren Teil
Europas, welcher dann also dem Gebiet intensiveren Regens,
das jene Linie umgiebt, angehörte. Zuweilen war diese
Linie allerdings weniger hervortretend, namentlich dann,
wenn die Gebiete hohen und niedrigen Luftdruckes, wie es
häufig geschah, eine von Nord nach Süd langgestreckte Gestalt
annahmen, d. i. wenn jene Druckverteilung sich einstellte,
bei welcher erfalirungsmäfsig die heftigsten Regenfälle,
schwere Hagelschläge und zerstörende lokalere Sturmerschei
nungen auftreten. Indessen auch in diesen Fällen lassen sich
vielfach Reihen kleinerer Depressionen feststellen, die von
West nach Ost über das kontinentale Europa hinziehen und
somit das Bestehen jener Linie niedrigsten Luftdruckes an
deuten. Die ungünstige Summation einer oder mehrerer
solcher kleinerer Depressionen mit einem gröfseren nur lang
samer sich verändernden von Nord nach Süd langgestreckten
Gebiet niedrigen Luftdruckes führte dann jene extremen Er
scheinungen herbei. Derartig waren die Vorgänge, welche
am Sclilufs des Juni in Württemberg und gegen Ende des
Juli in Schlesien, Sachsen und Nordböhmen die Verheerungen
im Gefolge hatten. In dem letzteren Falle lag eine von
Nord nach Süd langgestreckte Depression über dem östlichen
Centraleuropa; kleinere Depressionen drangen über Mittel
deutschland ostwärts vor und riefen in jenen betroffenen
Gegenden tiefere Barometerstände und ein lebhafteres Auf
steigen der Luft liervoi’. Dies Aufsteigen wurde noch be
sonders verstärkt durch die den Winden entgegenstehenden
Gebirgsketten, heftige Regenfälle waren die weitere Folge.
Herrmann verlädst daher die bisherige Ansicht, dafs in diesem
Falle und auch in anderen Fällen, in denen Wolkenbrüche
über Ostdeutschland stattfanden, das Fortschreiten eines
Minimums von dem Adriatischen Meer nordwärts nach der
Ostsee anzunehmen sei. Über die Summation mehrerer Er
scheinungen vergl. Globus 1896, Bd. LXX, S. 197.
*) E. Herrmann. Uber die allgemeineren atmosphärischen Vor
gänge vor und während der diesjährigen Überflutungen in Schlesien,
Sachsen und Nordböhmen. S.-A. aus den Ann. d. Hydr. u. marit.
Meteor. 1897.