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Full Text: Globus, 72.1897

Bücherschau. 
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beigegeben, um die Zucbt und Behandlung der Renntiere von 
ihnen zu erlernen. Nebenbei erhalten dieselben auch in ge 
eigneter Zeit Schulunterricht. Aufser Nahrung, Kleidung 
und Schulunterricht erhält jeder Gehülfe, welcher sich ein 
Jahr hindurch gut führt, zwei weibliche Benntiere, am Ende 
des zweiten Jahres fünf Stück, am Ende des dritten und jeden j 
folgenden Jahres, die er auf der Station verbringt, 10 Stück. 
Nach fünf Jahren würde ein Eingeborener also 37 Benntiere j 
erhalten. 
Am 30. September 1892 zählte man 343 Benntiere auf 
der Station. 20 Stück gingen im darauffolgenden Winter ein, 
doch wurden von April bis Juni 186 Junge geboren, wovon 
41 eingingen, da während der Periode grofse Kälte herrschte. 
Im Sommer 1894 wurden wiederum 120 Benntiere aus Sibirien 
eingeführt, so dafs die Herde in „Teller Station“ bereits 588 
Stück zählte. Die Lappen haben sich ganz ausgezeichnet als 
Benntierhirten bewährt. Während im Jahre 1894 von 186 
neugeborenen Benntieren 41 verloren gingen, betrug der 
Verlust im Jahre 1895 von 200 Stück nur 10 Stück, was auf 
die gute Fürsorge der Lappen für die Tiere zurückzuführen 
ist. — Bereits im Jahre 1894 hat man auch bereits den An 
fang gemacht, Zweigstationen für Benntierzucht einzurichten. 
So erhielt die Missionsstation in Cape Prince of Wales 119 
Benntiere, die sich im Jahre 1895 bereits um 68 vermehrt 
hatten. Im Februar 1895 wurde eine Herde von 112 Stück 
auch drei Alaskaeskimos anvertraut, die sich als Gehülfen 
besonders tüchtig erwiesen hatten. Sie hatten im nächsten 
Frühjahr einen Zuwachs von 73 Stück, von denen nur eins 
umkam. Leider geht die Vermehrung im ganzen nur langsam 
vorwärts, um gröfsere Erfolge zu haben. Jackson, dessen 
„Beports of the Commissioner of Education in Alaska for 
1892/93, 1893/94 und 1894/95“ wir diese Mitteilungen ent 
nommen haben, hat der Begierung vorgeschlagen, mit Ge 
nehmigung der russischen Begierung eine Ankaufsstation für 
Benntiere an der sibirischen Küste anzulegen, wo jährlich 
2000 bis 3000 Stück zusammengebracht würden, die dann 
während der kurzen Schiffahrtsperiode nach Alaska gebracht 
werden könnten. 
Die Feier des Jubiläums der Königin Victoria bei den 
Eingeborenen Australiens. 
Sydney, 9. Mai. „Auch die australischen Eingeborenen 
sollen bei der Becordfeier der Kaiserin-Königin Victoria be 
dacht werden.“ 
Vorher eine Bemerkung zu dem Wort: „Eingeborenen“. 
Würde mau dieselben, wie etwa in Indien oder Afrika, 
„Natives“ nennen, so würde man bei den Herren und Damen, 
die in Australien geboren sind, in ganz bedenklicher Weise 
Anstofs erregen. Diese bezeichnen sich nämlich selbst mit 
„Natives“, also „Eingeborene“. Die Schwarzen aber werden 
in der Schriftsprache „Aborigines“, oder „Aboriginals“, sonst 
kurzweg „blacks“ oder „blackfellows“, die Frauen und Mäd 
chen „Gins“, die Kinder „Piccaninnies“ (von portug. pequeno) 
genannt. 
Man findet hier zu Lande noch manche kleine dialek 
tische Unterschiede, die Einen bisweilen in Verlegenheit 
bringen können. So würde es sich ein hiesiger Schafzüchter 
und Grofsgrundbesitzer auf das dringendste verbitten, als 
„Farmer“, wie in Südafrika, bezeichnet zu werden. Er ist 
ein „Squatter“; „Farmer“ bedeutet hier soviel als „Bauer, 
kleiner Landwirt“ u. s. w. Es geht den Herren Squatters 
übrigens augenblicklich recht schlecht. Infolge anhaltender 
Trockenheit und damit verbundenen Futtermangels sterben 
die Schafe zu Millionen! In einem kleinen Distrikt, den ich 
kürzlich besuchte, starben täglich — Tausend; der Geruch 
war furchtbar. 
Kommen wir aber von den „moutons“ auf die Schwarzen 
zurück. 
Der „Aborigines Protection Board“ hat also beschlossen, 
am 22. Juni alle Eingeborenen, so sich darum bewerben, in 
folgender grofsartiger Weise zu beschenken und zu beglücken: 
Es erhalten: 
1. Ein Kleidungsstück, einen (alten) Bock oder Überzieher, 
jeder männliche oder weibliche Aborigine, der über 60 (!) 
Jahre alt, oder der verkrüppelt ist. 
2. Alle Schwarzen eine wollene Decke (die sie beim 
nächsten Juden in Schnaps umsetzen). 
3. Alle Schwarzen, die keinen festen Wohnsitz haben, 
a special dinner and a little tobacco. (Beides sehr dehnbare 
Begriffe.) 
4. Die schwarzen Kinder, die regelmäfsig eine Schule 
besuchen, eine kleine Kupferdenkmünze. (Wert etwa zwei 
Pfennige.) 
Sie sehen, dafs man hier keine Gelegenheit vorübergehen 
läfst, ohne die Schwarzen in ebenso zarter wie grofsherziger 
Weise daran zu erinnern, dafs sie weise und wohl thaten, 
sich ihr Land ohne einen Heller Entschädigung von den Eng 
ländern wegnehmen zu lassen. 
Da waren und sind die Maori andere Kerle! Ich habe 
mich zwei Monate auf Neu-Seeland aufgehalten und hätte 
Ihnen längst einen kleinen Bericht über Nasengrufs, Völker- 
geruch, Tangi, Läuseessen u. s. w. geschickt, wenn ich nicht 
die Absicht hatte, nach Neu-Seeland zurückzukehren. Über 
Tättowieren habe ich nur sehr wenig Neues erfahren. 
Übermorgen reise ich nach Pt. Moresby und von dort 
auf einem „trader“ (aber nicht labour trader) auf sechs Wochen 
nach den Salomonsinseln. Ich nehme 144 Films mit. 
W. J o e s t. 
Bücherscliau. 
Alfred Vierkandt: „Naturvölker und Kulturvölker“. 
Leipzig, Duncker u. Humblot, 1896. 
Vierkandt hat uns in diesem Werke ein schönes, bedeu 
tendes Buch geschenkt. Zum ei’stenmale, soviel ich weifs, 
wird hier der grofse Gegensatz zwischen den beiden Typen 
der Natur- und der Kulturvölker ausführlich und tiefgehend 
erörtert. Der Verfasser fafst den Gegensatz auf als einen 
zwischen unwillkürlichem und willkürlichem selbstbewufstem 
Seelenleben, im ersten herrscht das Triebleben, im zweiten die 
Überlegung; zwischen beiden giebt es eine Übergangszeit, die 
Halbkultur, auf die Vierkandt aber weniger eingeht. Aus 
diesem Grundunterschiede deduziert der Verfasser die weiteren 
Charakterzüge der beiden Typen bis auf Einzelheiten, z. B. 
macht er sehr gute Bemerkungen über die verschiedene Auf 
fassung des Selbstmordes bei den Natur- und den Kultur 
völkern, denen ich nur beistimmen kann. Überhaupt scheint 
mir die Charakteristik der zwei Typen in der Hauptsache 
vollständig gelungen, und ebenso die Anweisung ihrer Zu 
sammenhänge mit den Grundeigenschaften. Nur ist, wie ge 
sagt, die ganze Behandlung deduktiv; der ganze Verlauf der 
Erörterung geht aus Principien hervor, welche wahrschein 
lich nur nach einer allgemeinen Umschau aufgestellt wurden, 
nicht aber aus der Generalisation der besonderen Erklärungen 
und Gesetze gewonnen wurden. Und auch weiter werden 
die Einzelbestimmungen aus den Principien deduziert und 
nur mit wenigen Beispielen belegt; nie werden sie aus den 
Thatsachen bewiesen, und ebensowenig die widersprechenden 
Thatsachen hei'beigezogen, geschweige gesucht, um durch 
Hebung des Widerspruches die Einsicht zu vertiefen, auf 
neue speciellere und ganz gültige Gesetze zu kommen. Des 
halb lassen die öfter tiefsinnigen und immer interessanten 
Erörterungen manchmal ein gewisses Unbehagen zurück; 
man sagt sich, es ist möglich so, aber könnte es nicht auch 
ganz anders sein? Um die grofsen Gedanken war es dem 
Verfasser zu thun, nicht um ihre methodisch richtige Durch 
führung. Mehr Philosophie, als Forschung. Man fürchtet 
sich bei der Lektüre vor Abstraktion und Schematismus, und 
was die Naturvölker anbetrifft, wird diese Furcht nicht auf 
gehoben durch die Entdeckung, dafs fast nur die Negervölker 
als Beispiele herangezogen wurden, was Einseitigkeit sehr 
wahrscheinlich macht, und was die Kulturvölker betrifft, so 
sind die angeführten Thatsachen öfter etwas unbestimmt und 
nicht interessant. 
Es freut mich, dafs Dr. Vierkandt den psychologischen 
Charakter der Ethnologie offen anerkennt, die groben Irr- 
tiimer der Post, Dürkheim und Gumplowicz somit verwirft. 
Dem Ethnologen wird nur durch diese psychologischen Erörte 
rungen manches deutlicher werden, was ihm sonst unklar 
oder rein äufserlich bleiben mufste. 
Ausgezeichnet ist Vierkandts Darstellung der Entwickelung 
socialpsy chologis- eher Vorstellungen, besonders nützlich ist seine 
Beleuchtung der normativen Betrachtungsweise sowie der mytho - 
logischen, weil das grofse gebildete Publikum noch in beiden 
befangen ist, wodurch bekanntlich der schnellere Fortschritt 
aller Social- und Geisteswissenschaften zurückgehalten wird. 
Der ruhigen, einsichtsvollen Weisheit wegen, welche das Buch 
beseelt, möchte man wünschen, dafs viele Menschen, Men 
schen aus dem praktischen Leben, Staatsmänner und Solche
	        
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