304
Bücherschau.
versprechend erweitert und mit Rücksicht auf die
vorhandenen Mittel intensiv entwickelungsfähig
gemacht worden ist. Den Sudan durch Verbindung
mit dem östlichen und nördlichen Niger in den Macht
bereich von Togo zu ziehen, mufste ein unerfüllbarer
frommer Wunsch bleiben. Vor dreizehn Jahren haben
wir uns harmlos zwischen zwei mächtigen Konkurrenten
auf einem Streifchen Küste eingenistet und heute be
haupten wir eine Stellung, die mit Recht den Neid der
Nachbarnationen hervorruft und die wir uns geschaffen
durch die Überzeugung, dafs es bei Handelskolonieen
nicht auf den Besitz von möglichst vielen Quadratmeilen
i Landes ankommt, sondern auf die Möglichkeit der Stei
gerung des jährlichen Warenumsatzes.
Biicherscliau.
Hermann Reiche: Die ältesten berufsmäfsigen Dar
steller des griechisch - italienischen Mimus.
Wissenschaftliche Beilage zum 22. Jahresbericht 1896/97
über das Königliche Wilhelmsgymnasium zu Königs
berg i. Pr.
Es ist noch nicht lange her, dafs sich die Ethnologie
mit methodischem Bewufstsein der primitiven Kunst, zumal
der bildenden, anzunehmen und damit ihre Wurzeln blofszu-
legen begann. Reiche Ergebnisse werden dabei auch für die
Entwickelungsgeschichte der dramatischen Poesie zum Vor
schein kommen, wenn man erst die Fülle bisher völlig unbe
nutzten Materials aufräumt. Bekanntlich nehmen die
mimischen Darstellungen in den Tiertänzen einen grofsen
Raum ein, ohne dafs die Ideen, um derentwillen die Tänze
einst ins Leben gerufen wurden, realistische Nachahmung
der Vorbilder erforderten. Auch die Darstellung mensch
licher Handlungen finden wir bei den Wildstämmen häufig.
Kärnbach schildert einen Tanz in Arkona am Huongolf in
Kaiser Wilhelmsland, in welchem sechzehn mit Paddeln ver
sehene Eingeborene und einer, der eine Segelstange mit
Segel trug, auftraten. Sie tanzten so zu sagen eine Boot
fahrt. Es erhebt sich ein Sturm, angestrengter arbeiten die
Leute mit ihren Rudern, endlich ist auch das nicht mehr
möglich. Der Mast bricht, und aus dem Gesang hört man
heraus, dafs das Boot umstürzt und alle zu schwimmen be
ginnen. Nach und nach erlahmen die Kräfte , die Stimmen
verhallen. — (Deutsche Kolonialzeitung, 1893, S. 73.) Mag
auch hier der Anlafs ein historischer, das Ganze ursprüng
lich eine Erinnerungsfeier gewesen sein — der mimische
Realismus tritt überwiegend in den Mittelpunkt des Inter
esses , und anderwärts ist es ebenso. Verf. führt uns in die
ersten Anfänge der mimischen Kunst katexochen, des grie
chisch-italischen Mimus, für den ja auch in weiteren gelehrten
Kreisen das Interesse geweckt wurde durch den Fund des
Mimiamben Herondas, jener köstlichen Genrebilder aus der
beginnenden alexandrinischen Epoche des Hellenismus. Schein
bar unvermittelt tauchen im vierten Jahrhundert vor Chr.
diese kurzen Genrestückchen auf, die ohne Tendenz die
Charaktertypen des gewöhnlichen Lebens in Rede und
Gegenrede dem Publikum vorführen. Doch die Natur macht
keine Sprünge. Während der Heldengesang Homers und
später die ideale dramatische Poesie ganz allein zu herrschen
schienen, vergnügten sich seit uralter Zeit im Verborgenen
die griechischen Bauern an mimischen Tänzen und realisti
schen Darstellungen (S. 6) Längst erheiterte die Klasse der
Parasiten, die gut leben, aber nicht arbeiten wollten, die
Gäste ihres jeweiligen Wirtes, um doch etwas zu den Freuden
des Mahles beizutragen, mit Schwänken und Späfsen und
realistischen Darstellungen mannigfacher Art (S. 7 f.). Keime
zum „Mimus“ also waren von jeher genug vorhanden, sie zu einer
grofsen Kunst emporwachsen zu lassen, dazu gehörte berufs-
mäfsige Ausübung. Verf. weist nun durch viele in der
weiten klassischen Litteratur zerstreute Stellen nach, wie
sich der in der griechisch-römischen Welt verbreitete Stand
der fahrenden Leute, der Jongleure, den Wünschen des Publi
kums anpafste und neben seiner äquilibristischen, akroba
tischen Thätigkeit sich der Pflege der mimischen Kunst zu
wandte. Welch merkwürdige, bisher gröfstenteils unbeachtete
Rolle diese Künstler damals spielten, wie ihr Beruf von vorn
herein gewisse mimische Fertigkeiten zur Ausbildung brachte,
wie die französische und deutsche Bühne bis weit in die
Neuzeit hinein in gleicher enger Verbindung mit der Jon-
glerie stand, das alles finden wir eingehend erörtert und mit
Glück zu dem Endergebnis verwertet, dafs sich der Stand
der Mimen aus dem der Jongleure entwickelte. Auf die rein
philologischen Resultate einzugehen, ist hier nicht der Ort.
Zu erwähnen dagegen ist, dafs Verf. mit Bewufstsein seine
Ausführungen den Erscheinungen im Bereich der
Naturvölker angereiht und sich eine Anschauung da
rüber aus den Berichten der Reisenden zu verschaffen ge
sucht hat (S. 6, Anm. 2). Zweifelsohne müssen wir die
Anfänge der Kulturvölker in das ethnologische Gebiet auf
nehmen, und so kann unsere Wissenschaft nur mit Freude
derartige fachwissenschaftliche Monographieen begriifsen, die
so wertvolle Bausteine zum Aufbau der allgemeinen Völker
psychologie gewähren. K. Th. Preufs.
Adalbert v. Majersky: Eine Frühlingsfahrt durch
Italien nach Tunis, Algerien und Paris. Mit 4
chromolithographischen und 15 Crayondrucktafeln, 22 Voll
bildern und 12 Textabbildungen nach photographischen
Originalaufnahmen. Frankfurt a. M., Gebrüder Knauer.
Dafs ein Bedürfnis nach einem Reisewerke vorläge,
welches in gebundener und ungebundener Rede eine
Frühlingsfahrt von 71 Tagen nach Italien und Nordafrika
auf gerade nicht unerforschten Wegen schildert, läfst sich
wohl kaum behaupten und den Drang, italienische Eindrücke
niederzuschreiben, haben wohl alljährlich viele Tausende von
Männlein und Weiblein. Zum Glück für Papier und Bib
liotheken bleibt es aber meistens beim Drange.
Wenn wir trotzdem lobend das Werk des Herrn v. Ma
jersky hier anzeigen, so liegt der Grund hierfür in den
wirklich vorzüglich und künstlerisch schönen Abbildungen,
deren Anzahl und Herstellungsweise der Titel anführt. Es
ist eine Freude, sie zu betrachten, Land und Volk daraus,
kennen zu lernen oder die Erinnerung daran aufzufrischen
Des Verf. Verdienst ist es, diese Bilder hergestellt und mit
seinen Plaudereien versehen zu haben ; letztere mögen uns
im allgemeinen gefallen, aber unterschreiben können wir sie
nicht* immer, denn — man liest es dort — „Wer kein
Ruinenfex ist, dem vermag Rom ungeheuer wenig zu bieten“.
Wirklich?
Pli. Fr. v. Siebold: Nippon. Archiv zur Beschreibung
von Japan und dessen Neben- und Schutzländern. Jezo
mit den südlichen Kurilen, Sachalin, Korea und den Liu-
kiuinseln. 2. Band. 2. Auflage herausgegeben von dessen
Söhnen. Würzburg und Leipzig, Leo Woerl, 1897.
Das verdienst- und pietätvolle Unternehmen der Söhne
v. Siebolds ist mit dem vorliegenden zweiten Bande zum
glücklichen Ende gelangt. Bei der Seltenheit der ersten
Auflage ist nun das klassische Werk Jedermann zugängig
und trotzdem im Verlaufe von 60 Jahren, die seit der ur
sprünglichen Veröffentlichung verflossen sind, vieles überholt
erscheint, bleibt der Wert dieses Standwerkes unangetastet;
für die Zeit Siebolds und vieles, was heute in Japan schon
dahingeschwunden ist, wird es stets eine Quelle ersten Ranges
bleiben. Die Geschichte, die Religion, die Altertümer Japans
sind jetzt eingehender erforscht, als es zu Siebolds Zeiten
möglich war; und wenn er, als der ersten Einer, uns damals
willkommene Kunde über die Ainos, Sachalin, Korea u. s. w.,
diese japanischen Nebenländer, brachte, so sind auch diese
Kapitel überholt, wiewohl es einen eigentümlichen Reiz ge
währt, gerade diese Abschnitte im Lichte der ersten Kunde
geschildert zu sehen. Es geht in dieser Beziehung Siebold
nicht anders wie seinem Vorläufer Engelbert Kämpfer aus
Lemgo.
Mit acht Abhandlungen zur Mythologie, Geschichte und
Altertumskunde Japans wird dieser zweite Band eröffnet.
Was Siebold hier über die Schöpfungsmythen, Zeiteinteilung,
Kalender und Uhren der Japaner in früherer Zeit sagt, kann
auch heute nicht besser gegeben werden. Wertvoll ist auch
der Abschnitt über die frühgeschichtlichen Magakama, eigen
tümliche gekrümmte Edelsteine, die in der Erde und in
Urnen gefunden wurden. Dagegen ist die Urgeschichte des
Landes durch die Ausgrabungen der Europäer und Japaner
heute in ein ganz anderes Licht gerückt worden, als es zu
Siebolds Zeit möglich war.
Geltung behält, was über die Mafsen und Münzen und
einige eigentümliche medizinische Verfahrungsweisen, z. B.
das Moxen, gesagt wird, wo die ärztlichen Kenntnisse dem
Verfasser eine genaue Beschreibung ermöglichten. In den