Brix Förster: Die englisch-französischen Streitfragen in Westafrika,
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Frankreichs, Nigeria durch eine Linie von Say nach
der Goldküste im Westen zu begrenzen, einfach als zu
beengend verwarf. Auch in Frankreich mufs damals
der Plan zur Gewinnung des ganzen westafrikanischen
Sudan noch nicht zur vollen Reife gediehen sein.
Das geschah erst, als Frankreich am Golf von
Guinea zwei weitere koloniale Stützpunkte, nämlich die
Elfenbeinküste und Dahome, entwickelungsfähig ge
macht hatte.
Von Grofs-Bassam aus, an der Elfenbeinküste,
arbeitete man, im Rücken der englischen Goldküste,
den Eroberungen im südlichen Nigerbogen, quer ost
wärts nach Kong, entgegen; von Dahome aus gedachte
man direkt in das unangetastete Interessengebiet der
Kärtchen zur Erläuterung der englisch-französischen Landstreitigkeiten
im Hinterland von Guinea.
Die Frage liegt nahe: wie kommt es, dafs Frank
reich bei dieser offen zu Tage getretenen Tendenz
Deutschland ein so tüchtiges Stück, wie Gambaga und
Dagomba, mitten in seiner Interessensphäre, bei dem
Togoabkommen einräumte? Mir scheint es nicht
unwahrscheinlich, dafs Frankreich hauptsächlich die
Absicht verfolgte, südlich der Say- Barua -Linie und
rechts vom Niger festen Fufs zu fassen, nämlich in
Gurma, um die englische Auffassung von der Wirkungs
sphäre der Say-Barua-Linie in Bezug auf das rechte
Nigerufer illusorisch zu machen. Gurma, in Gedanken
schon mit dem französischen Mossi und Massina ver
kittet, soll der Krystall sein, an welchen Splitter von
Gando und zuletzt ganz Borgu naturgemäfs anschiefsen.
Das kulturell ganz armselige Gurma er
schien für das politisch wirksame Vor
rücken gegen die englische Küste so wich
tig, dafs Frankreich gern bereit war, die
Rechnung mit dem weit kostbareren
Gambaga und dem fetten Monodreieck an
Deutschland zu begleichen.
Das Feld der englisch-französi
schen Streitigkeiten liegt bis zum
12. Parallel teils im Hinterlande der Gold
küste, in Mossi, Gurunsi, Daboja und
Dagarta (Wa), teils im Hinterlande von
Lagos, in Borgu und Bussang. Die
Streitigkeiten entstanden durch das ein
seitige, rücksichtslose Vorgehen der Fran
zosen. Zur Rechtfertigung vor Europa
stützten sie sich, je nach Gelegenheit, ent
weder auf die Hinterlandstheorie oder auf
Verträge mit den Eingeborenen oder auf
den Vollzug wirklicher Besitzergreifung
(„effective occupation“). Nach der Hinter
landstheorie gehört in die Interessen
sphäre einer europäischen Macht der Raum
zwischen zwei Linien, welche von zwei
Endpunkten einer Küstenkolonie landein
wärts wirklich gezogen oder verlängei't
gedacht sind. Ein europäisches Abkommen
über die Auffassung und Ausdehnung des
„Hinterlandes“ besteht nicht, so viel mir
bekannt. Die praktische Anwendung dieser
Theorie mufs unvermeidlich zu Konflikten
führen. Denn wenn z. B. eine Kolonie
ihre Interessensphäre von Westen nach
Osten und eine andere die ihrige von
Süden nach Norden ausdehnt, so müssen
sich beide im fernen Binnenlande einmal
durchkreuzen. Bei der Goldküste, Togo
(bis vor kurzem), Dahome und Lagos fehlt
Engländer am rechten Nigenifer hineinzugreifen, um die nöi’dliche Begrenzung. Die mei’idionalen Grenzen
eine ununterbrochene Verkehrsstrafse zwischen Timbuktu von Togo, Dahome und Lagos hören nach Vereinbarung
und dem Guineabusen anzubahnen. Wie es Frankreich bei dem 9. Parallel auf. Sollte es den einzelnen
gelang, Sierra Leone von seinem Hinterlande abzusperren, Kolonieen deshalb verwehrt sein , nördlich dieser Linie
so hat es gegenwärtig die Absicht, auch das Hinterland in dem brachliegenden Kolonisationsgebiete sich aus
der Goldküste und von Lagos auf einen möglichst “ 0 w —
schmalen Küstenstreifen einzuzwängen.
England hat, wie es scheint, die planmäfsig aggressive
westafrikanische Politik Frankreichs nicht rechtzeitig
erkannt. Hätte es die Endziele derselben gleich bei den
ersten Schritten durchschaut, so hätte es 1892 und 1895
bei den Verhandlungen über die Grenzregulierung Sierra
Leones den Nacken gesteift und wäre nicht so zuvor
kommend gegen französische Wünsche gewesen. Erst
im vergangenen und noch mehr in diesem Jahre blitzte
die Einsicht auf, dafs seine Lebensinteressen an der
Goldküste und am Niger von Frankreich bedroht werden.
zubreiten? Wenn nicht verwehrt: nur innerhalb der
senkrecht zur Küste führenden Meridiane, oder, durch
geographische oder politische Verhältnisse bestimmt,
auch fächerartig?
Einen unumstöfslichen, völkerrechtlich begründeten
Landanspruch gewährt die Hinteidandstheorie nicht.
Mossi, Gurunsi und Dagarta verlangt Frankreich als
Hinterland vom französischen Sudan, England dagegen
als Hinterland der Goldküste. Borgu und Bussang
sehen die Engländer als das Hinterland der Say-Barua-
Linie und zugleich als das Hinterland von Lagos an,
während die Franzosen beide Landschaften, wie auch