Skip to main content
Page Banner

Full Text: Globus, 72.1897

354 
Bücherschau. 
schlage erteilen. In den meisten Fällen besteht seine 
Klugheit aber nur darin, dafs er einen Schatz von Sym 
pathiemitteln im Gedächtnis hat, zu denen der Bauer ja 
das allergröfste Vertrauen besitzt. Die Zahl der im 
Volke forterbenden Besprechformeln oder Segen ist grofs; 
sie beziehen sich nicht nur auf die verschiedensten 
Krankheiten des Viehes, sondern selbst auf das Ent 
wöhnen der Kälber und auf günstigen Viehverkauf. Sie 
sind zum Teil von recht hohem Alter; denn sie haben 
in ihrem Aufbau und in der Form die gröfste Ähnlich 
keit mit einem der berühmten Merseburger Zauber 
sprüche, in dem noch drei germanische Gottheiten ge 
nannt werden, an deren Stelle jetzt meist Christus, die 
Jungfrau Maria, ein Apostel oder ein Heiliger getreten 
sind. Der zweite Merseburger Spruch, durch den die Fufs- 
verrenkung eines Pferdes geheilt werden sollte, lautet: 
„Phohl und Wuodan 
Da ward Balders Fohlen 
Da besang es Sinhtgunt, 
Da besang es Friia, 
Da besang es Wuodan, 
Sei es Beinverrenkung, 
Sei es Blutverrenkung, 
Sei es Gliederverrenkung. 
fuhren zu Holz, 
sein Fufs verrenkt. 
Sunna ihre Schwester, 
Volla ihre Schwester, 
wie er wohl konnte: 
Bein zu Bein, . Blut zu Blut 
Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien!“ 
Es ist ja selbstverständlich, dafs trotz der Anwen 
dung von derartigen Krankheitssegen das Unglück oft 
genug seinen Gang geht, so dafs der Bauer nicht selten 
tief erschüttert neben einer Tierleiche steht. In solchem 
Falle läuft er in der Regel wieder zu einem klugen Manne 
oder zum Scharfrichter, der nun weiteres Unglück ver 
hüten soll. Der zu Rate gezogene veranstaltet neben 
Räucherungen gewöhnlich eine Nachgrabung im Stalle 
und findet auch immer das Zaubermittel, durch welches 
das Unglück herbeigeführt worden ist; er mur 
melt dann seine Sprüche her, bringt seinen Gegenzauber, 
der selbstverständlich stärker sein mufs, im Stalle unter 
und macht sich mit dem Gelde des Bauern auf und da 
von. Der Bauer thut natürlich auch noch das Seine, 
soweit ihm Mittel bekannt geworden sind, um weiteres 
Unheil zu verhüten. So hatte er schon dem Scharf 
richter, der die Tierleiche abholte, mehrere Steine nach 
geworfen , damit er nicht gleich wiederkomme. Jetzt 
hält er es noch für nützlich, einen Kamm im Stalle zu 
verbrennen und das Stück Vieh, das das gefallene er 
setzen soll, nicht für sich, sondern für seine Kinder zu 
kaufen. 
Bücherschau. 
Dr. A. Philippson: Thessalien und Epirus. Reisen 1 
und Forschungen im nördlichen Griechenland. Heraus 
gegeben von der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin. — 
Mit acht Tafeln. — Berlin, W. H. Kühl, 1897. 
Das vorliegende Werk bietet im nochmaligen Abdruck 
die Berichte über eine im Jahre 1893 ausgeführte Reise des 
Verf., die auch in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erd 
kunde 1895 bis 1897 enthalten sind. Es ist gewifs ein Dank 
verdienendes Vorgehen der Gesellschaft, so die Berichte auch 
denjenigen zugänglich gemacht zu haben, die nicht ihre Mit 
glieder sind. Sind dieselben ja auch in erster Linie für den Fach 
mann geschrieben, so werden es doch manche mit Freuden be- 
grüfsen, in der lebendigen und doch wissenschaftlichen Weise des 
Verf., welche schon an anderen Orten öfter gewürdigt worden 
ist, in diese gerade jetzt im Vordergründe des Interesses 
stehenden Landschaften geführt zu werden. Freilich hat ja 
die von Philippson auch schon früher bei seiner Darstellung 
der Reiseerlebnisse aus dem Peloponnes gewählte Form der 
Itinerarbeschreibung den Nachteil, dafs es etwas schwerer 
fällt, bestimmte Sachen aufzufinden, jedoch gestattet dieselbe 
anderseits durch die auch im vorliegenden Buch oft ergriffene 
Gelegenheit zur Einschaltung persönlicher Erlebnisse die 
Wiedergabe lebendiger und anschaulicher zu gestalten, was 
entschieden dem dadurch gezeichneten Bilde des Landes zu 
gute kommt. Übrigens sind kurze zusammenfassende Ab 
schnitte besonders geologischen Inhalts beigefügt, aus denen 
nur die wenigstens zum gröfsten Teil — wie es scheint — 
geglückte Beilegung der Meinungsdifferenzen mit Hilber über 
das Alter der dortigen Flyschschichten erwähnt werden 
möge. Wie schon oben gesagt, wird das Werk aus den an 
geführten Gründen auch dem Nichtfachmann grofsen Genufs 
bereiten, es dem Fachmann besonders zu empfehlen, ist nicht 
nötig. 
Darmstadt. Dr. Greim. 
Ontario, premier province of Canada. Description, 
political institutions, natural resources, attractions for 
tourist, sportsman and settler. Published by the Ontario 
Departement of Agriculture. Toronto, Warwick Bro’s and 
Rutter, 1897. 
Die Zeit scheint gekommen, dafs Kanada, das bisher ver 
nachlässigte , in den Vordergrund tritt und dafs Britisch- 
Nordamerika den gleich mächtigen Entwickelungsgang 
einschlagen wird, wie die Vereinigten Staaten. Die Gold 
entdeckungen, nicht nur am Yukon, sondern auch im westlichen 
Teile von Ontario, geben einen Anstofs, der erfalirungsgemäfs, 
wenn der Goldtaumel vorüber, zur ruhigeren und solideren 
Besiedelung und Ausbeutung des Landes führen mufs, das 
auf den verschiedensten Gebieten einen gewaltigen Reichtum 
besitzt und Ackerboden zur Besiedelung noch in Hülle und Fülle 
zu vergeben hat. Rasch entwickeln sich die Verkehrswege in 
das Innere, unterstützt durch ein unabsehbares Netz von 
Wasserläufen und Seen, und die politischen Verhältnisse sind 
so gut geordnet wie in Europa. 
Die landwirtschaftliche Abteilung der Regierung in To 
ronto am Ontariosee hat es daher für angezeigt gefunden, 
jetzt dieses auf amtlichen Quellen beruhende Handbuch 
herauszugeben, welches die Verhältnisse Ontarios — das bei 
läufig gesagt ungefähr so grofs wie das Deutsche Reich ist 
— nach allen Seiten hin erläutert. Es beginnt mit einem 
geographischen Überblick, in dem wir zu unserer Über 
raschung erfahren, dafs dux-ch den Sault Sainte Marie-Kanal, 
welcher den Huronsee und Lake Superior verbindet, schon 
jetzt eine bedeutendere Schiffahrt stattfindet, als durch den 
Suezkanal. Durch Vertiefung und Erweiterung dieses natür 
lichen Kanals kann man erreichen, dafs Oceandampfer durch 
den Lorenzstrom bis nach Duluth am Westrande des Lake 
Superior, 3800 km vom Meere, fahren. Bei der Schilderung 
der klimatischen Verhältnisse werden die herrlichen Winter 
mit blau - sonnigem Himmel und fest gefrorenem Schnee 
hervorgehoben. Es folgt eine Schilderung der Hauptstädte 
und Industriecentren mit zahlreichen Abbildungen der grofs- 
artig angelegten öffentlichen Bauten, ein Kapitel über die 
politischen Verhältnisse und die Erziehung, die den Touristen 
einladenden Naturschönheiten, um dann den Mineralreichtum 
(Gold im Westen) und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse 
hervorzuheben. Die Abbildungen sind zahlreich und gut, 
die Karte nur zum allgemeinen Überblick genügend, v. F. 
Dr. MaxEsser: An der Westküste Afrikas. Wirtschaft 
liche und Jagdstreifzüge. Mit Abbildungen und Karten. 
Berlin, Köln, Leipzig, Albert Ahn, 1898. 
Die Reise des Dr. Esser erstreckte sich über die Inseln 
im Guineabusen, Kamerun, die portugiesische Kolonie Angola 
und den nördlichsten Teil von Deutsch-Südwestafrika. Das 
Buch ist vortrefflich und unterhaltend geschrieben und sieht, 
ohne überschwänglich zu sein, für die deutschen Kolonieen in 
Westafrika, namentlich Kamerun, eine gute Zukunft voraus. 
In den kolonialen Betrachtungen und den Schilderungen der 
Plantagen beruht der eine Schwerpunkt des Werkes; der 
zweite ist geographischer Art, denn die Umgebung der 
Mündung des deutsch - portugiesischen Grenzflusses Kunene 
war so gut wie unbekannt; hier hat Dr. Esser Wandel 
geschaffen und die eine der Karten zeigt hier seine Ent 
deckungen. 
In Kamerun ist es, abgesehen von der Beschreibung der 
wirtschaftlichen Verhältnisse, die im Verein mit seinen Be 
gleitern Dr. Zintgraff und Hoesch nach Norden zu ins Innere
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.