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Bücherschau.
schlage erteilen. In den meisten Fällen besteht seine
Klugheit aber nur darin, dafs er einen Schatz von Sym
pathiemitteln im Gedächtnis hat, zu denen der Bauer ja
das allergröfste Vertrauen besitzt. Die Zahl der im
Volke forterbenden Besprechformeln oder Segen ist grofs;
sie beziehen sich nicht nur auf die verschiedensten
Krankheiten des Viehes, sondern selbst auf das Ent
wöhnen der Kälber und auf günstigen Viehverkauf. Sie
sind zum Teil von recht hohem Alter; denn sie haben
in ihrem Aufbau und in der Form die gröfste Ähnlich
keit mit einem der berühmten Merseburger Zauber
sprüche, in dem noch drei germanische Gottheiten ge
nannt werden, an deren Stelle jetzt meist Christus, die
Jungfrau Maria, ein Apostel oder ein Heiliger getreten
sind. Der zweite Merseburger Spruch, durch den die Fufs-
verrenkung eines Pferdes geheilt werden sollte, lautet:
„Phohl und Wuodan
Da ward Balders Fohlen
Da besang es Sinhtgunt,
Da besang es Friia,
Da besang es Wuodan,
Sei es Beinverrenkung,
Sei es Blutverrenkung,
Sei es Gliederverrenkung.
fuhren zu Holz,
sein Fufs verrenkt.
Sunna ihre Schwester,
Volla ihre Schwester,
wie er wohl konnte:
Bein zu Bein, . Blut zu Blut
Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien!“
Es ist ja selbstverständlich, dafs trotz der Anwen
dung von derartigen Krankheitssegen das Unglück oft
genug seinen Gang geht, so dafs der Bauer nicht selten
tief erschüttert neben einer Tierleiche steht. In solchem
Falle läuft er in der Regel wieder zu einem klugen Manne
oder zum Scharfrichter, der nun weiteres Unglück ver
hüten soll. Der zu Rate gezogene veranstaltet neben
Räucherungen gewöhnlich eine Nachgrabung im Stalle
und findet auch immer das Zaubermittel, durch welches
das Unglück herbeigeführt worden ist; er mur
melt dann seine Sprüche her, bringt seinen Gegenzauber,
der selbstverständlich stärker sein mufs, im Stalle unter
und macht sich mit dem Gelde des Bauern auf und da
von. Der Bauer thut natürlich auch noch das Seine,
soweit ihm Mittel bekannt geworden sind, um weiteres
Unheil zu verhüten. So hatte er schon dem Scharf
richter, der die Tierleiche abholte, mehrere Steine nach
geworfen , damit er nicht gleich wiederkomme. Jetzt
hält er es noch für nützlich, einen Kamm im Stalle zu
verbrennen und das Stück Vieh, das das gefallene er
setzen soll, nicht für sich, sondern für seine Kinder zu
kaufen.
Bücherschau.
Dr. A. Philippson: Thessalien und Epirus. Reisen 1
und Forschungen im nördlichen Griechenland. Heraus
gegeben von der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin. —
Mit acht Tafeln. — Berlin, W. H. Kühl, 1897.
Das vorliegende Werk bietet im nochmaligen Abdruck
die Berichte über eine im Jahre 1893 ausgeführte Reise des
Verf., die auch in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erd
kunde 1895 bis 1897 enthalten sind. Es ist gewifs ein Dank
verdienendes Vorgehen der Gesellschaft, so die Berichte auch
denjenigen zugänglich gemacht zu haben, die nicht ihre Mit
glieder sind. Sind dieselben ja auch in erster Linie für den Fach
mann geschrieben, so werden es doch manche mit Freuden be-
grüfsen, in der lebendigen und doch wissenschaftlichen Weise des
Verf., welche schon an anderen Orten öfter gewürdigt worden
ist, in diese gerade jetzt im Vordergründe des Interesses
stehenden Landschaften geführt zu werden. Freilich hat ja
die von Philippson auch schon früher bei seiner Darstellung
der Reiseerlebnisse aus dem Peloponnes gewählte Form der
Itinerarbeschreibung den Nachteil, dafs es etwas schwerer
fällt, bestimmte Sachen aufzufinden, jedoch gestattet dieselbe
anderseits durch die auch im vorliegenden Buch oft ergriffene
Gelegenheit zur Einschaltung persönlicher Erlebnisse die
Wiedergabe lebendiger und anschaulicher zu gestalten, was
entschieden dem dadurch gezeichneten Bilde des Landes zu
gute kommt. Übrigens sind kurze zusammenfassende Ab
schnitte besonders geologischen Inhalts beigefügt, aus denen
nur die wenigstens zum gröfsten Teil — wie es scheint —
geglückte Beilegung der Meinungsdifferenzen mit Hilber über
das Alter der dortigen Flyschschichten erwähnt werden
möge. Wie schon oben gesagt, wird das Werk aus den an
geführten Gründen auch dem Nichtfachmann grofsen Genufs
bereiten, es dem Fachmann besonders zu empfehlen, ist nicht
nötig.
Darmstadt. Dr. Greim.
Ontario, premier province of Canada. Description,
political institutions, natural resources, attractions for
tourist, sportsman and settler. Published by the Ontario
Departement of Agriculture. Toronto, Warwick Bro’s and
Rutter, 1897.
Die Zeit scheint gekommen, dafs Kanada, das bisher ver
nachlässigte , in den Vordergrund tritt und dafs Britisch-
Nordamerika den gleich mächtigen Entwickelungsgang
einschlagen wird, wie die Vereinigten Staaten. Die Gold
entdeckungen, nicht nur am Yukon, sondern auch im westlichen
Teile von Ontario, geben einen Anstofs, der erfalirungsgemäfs,
wenn der Goldtaumel vorüber, zur ruhigeren und solideren
Besiedelung und Ausbeutung des Landes führen mufs, das
auf den verschiedensten Gebieten einen gewaltigen Reichtum
besitzt und Ackerboden zur Besiedelung noch in Hülle und Fülle
zu vergeben hat. Rasch entwickeln sich die Verkehrswege in
das Innere, unterstützt durch ein unabsehbares Netz von
Wasserläufen und Seen, und die politischen Verhältnisse sind
so gut geordnet wie in Europa.
Die landwirtschaftliche Abteilung der Regierung in To
ronto am Ontariosee hat es daher für angezeigt gefunden,
jetzt dieses auf amtlichen Quellen beruhende Handbuch
herauszugeben, welches die Verhältnisse Ontarios — das bei
läufig gesagt ungefähr so grofs wie das Deutsche Reich ist
— nach allen Seiten hin erläutert. Es beginnt mit einem
geographischen Überblick, in dem wir zu unserer Über
raschung erfahren, dafs dux-ch den Sault Sainte Marie-Kanal,
welcher den Huronsee und Lake Superior verbindet, schon
jetzt eine bedeutendere Schiffahrt stattfindet, als durch den
Suezkanal. Durch Vertiefung und Erweiterung dieses natür
lichen Kanals kann man erreichen, dafs Oceandampfer durch
den Lorenzstrom bis nach Duluth am Westrande des Lake
Superior, 3800 km vom Meere, fahren. Bei der Schilderung
der klimatischen Verhältnisse werden die herrlichen Winter
mit blau - sonnigem Himmel und fest gefrorenem Schnee
hervorgehoben. Es folgt eine Schilderung der Hauptstädte
und Industriecentren mit zahlreichen Abbildungen der grofs-
artig angelegten öffentlichen Bauten, ein Kapitel über die
politischen Verhältnisse und die Erziehung, die den Touristen
einladenden Naturschönheiten, um dann den Mineralreichtum
(Gold im Westen) und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse
hervorzuheben. Die Abbildungen sind zahlreich und gut,
die Karte nur zum allgemeinen Überblick genügend, v. F.
Dr. MaxEsser: An der Westküste Afrikas. Wirtschaft
liche und Jagdstreifzüge. Mit Abbildungen und Karten.
Berlin, Köln, Leipzig, Albert Ahn, 1898.
Die Reise des Dr. Esser erstreckte sich über die Inseln
im Guineabusen, Kamerun, die portugiesische Kolonie Angola
und den nördlichsten Teil von Deutsch-Südwestafrika. Das
Buch ist vortrefflich und unterhaltend geschrieben und sieht,
ohne überschwänglich zu sein, für die deutschen Kolonieen in
Westafrika, namentlich Kamerun, eine gute Zukunft voraus.
In den kolonialen Betrachtungen und den Schilderungen der
Plantagen beruht der eine Schwerpunkt des Werkes; der
zweite ist geographischer Art, denn die Umgebung der
Mündung des deutsch - portugiesischen Grenzflusses Kunene
war so gut wie unbekannt; hier hat Dr. Esser Wandel
geschaffen und die eine der Karten zeigt hier seine Ent
deckungen.
In Kamerun ist es, abgesehen von der Beschreibung der
wirtschaftlichen Verhältnisse, die im Verein mit seinen Be
gleitern Dr. Zintgraff und Hoesch nach Norden zu ins Innere